Missglückt die Tarifflucht, stehen Beschäftigten weiterhin die tarifvertraglichen Ansprüche zu.
Missglückt die Tarifflucht, stehen Beschäftigten weiterhin die tarifvertraglichen Ansprüche zu.


Die Mitgliedschaft eines Arbeitgebers in einem Arbeitgeberverband ist nicht immer gleichbedeutend mit einer (weiteren) Bindung des Arbeitgebers an einen Tarifvertrag. Das BAG hat entschieden, welche Anforderungen an die Satzung eines Arbeitgeberverbandes zu stellen sind, um eine sog. OT-Mitgliedschaft zu ermöglichen.

Ursprünglich Tarifgebundenheit der Arbeitgeberin

Der Kläger war seit 1999 bei der Beklagten als Müllwerker in Chemnitz beschäftigt. Die Beklagte ist im Bereich Abfall-und Entsorgungswirtschaft tätig. Der Arbeitsvertrag des Klägers mit der Beklagten sah zunächst vor, dass sich die Entlohnung des Klägers nach einer von der Beklagten vorzunehmenden Eingruppierung ergeben sollte.

Die Eingruppierung in die Vergütungsgruppe 5, Stufe 1 des damals maßgeblichen Tarifvertrages erfolgte dann nach Ablauf der Probezeit. Seit Beginn des Jahres 2004 ist der Kläger Mitglied der Gewerkschaft Ver.di.

Die Beklagte war ihrerseits seit Mai 1991 Vollmitglied im Bundesverband der Deutschen Entsorgungswirtschaft e.V. (BDE). In den Jahren 1995 und 1999 erfolgten beim BDE Satzungsänderungen. Seitdem kann auf „besonderen Antrag“ eines Mitgliedes für dieses eine Mitgliedschaft nur (!) im Wirtschaftsbereich des Verbandes bestehen.

In § 17 der Satzung des BDE hieß es demgegenüber in Hinblick auf die Tarifkommission nach wie vor:

„Für die Wahrnehmung der Aufgaben des Arbeitgeberverbandes bildet der Bundesverband eine […] Tarifkommission, deren Mitglieder sich ausschließlich aus den Mitgliedern des Arbeitgeberverbandes zusammensetzen“

Verband schafft OT-Mitgliedschaft

Mit den Satzungsänderungen sollte aus Sicht des BDE die Möglichkeit für seine Mitglieder geschaffen werden, die sich aus der Mitgliedschaft resultierende Tarifbindung gleichsam „abzustreifen“. Die dann noch weiterbestehende Mitgliedschaft im Verband in der „Wirtschafts-Sparte“ des Verbandes, hat dann für das Mitglied nur noch den Sinn und Zweck, von der Lobbyarbeit und der Beratung des Verbandes zu profitieren.

Ein Aushandeln und Weiterentwickeln von Tarifnormen und Tarifbindung ist dann ausdrücklich nicht mehr von dem antragstellenden Arbeitgeber gewünscht.

In der Geschäftsordnung des BDE ist normiert, dass Vertreter von Arbeitgebern, welche lediglich Mitglied des Wirtschaftsverbandes sind, nicht Vorsitzende in den Fachkommissionen bei Tarifverhandlungen sein können. 

Arbeitgeberin beantrag OT-Mitgliedschaft

Im April 2002 kündigte die Beklagte mit sofortiger Wirkung ihre Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband. Die Kündigung war mit der Erklärung verbunden, die Mitgliedschaft im BDE beibehalten zu wollen. Der BDE bestätigte dies.

Die Beklagte teilte ihre „neu gestaltete“ Mitgliedschaft im BDE sodann der Gewerkschaft Ver.di mit. Die Gewerkschaft Ver.di antwortete hierauf sogleich mit der Aufforderung an die Beklagte, Verhandlungen über einen Haustarifvertrag aufzunehmen.

Der Kläger partizipierte in den folgenden Jahren an Gehaltserhöhungen. Das Gehalt betrug zuletzt monatlich 1.900 EUR brutto. In den Jahren 2009 und 2010 erhielt der Kläger Jahressonderzahlungen in Höhe von je 1.425 EUR. Im Jahr 2011 fiel die von der Beklagten gezahlte Jahressonderzahlung jedoch mit 690 EUR deutlich geringer aus.

Hiergegen wehrte sich der Kläger. Er klagte die Differenz in Höhe von 735 EUR vor dem Arbeitsgericht ein und berief sich auf die noch immer bestehende beiderseitige Tarifbindung. Die tariflichen Regelungen sahen einen Anspruch auf eine Jahressonderzahlung in Höhe von 75% des jeweiligen Novemberlohnes vor. Der Kläger wurde er in allen Instanzen von der DGB Rechtsschutz GmbH vertreten.

Arbeitgeberin bestreitet Tarifbindung

Die Beklagte lehnte einen Anspruch des Klägers strikt ab. Sie verwies auf ihre neu gestaltete Mitgliedschaft im BDE. Diese umfasse nur noch die Mitgliedschaft im „Wirtschaftsverband“. Aus dem „Arbeitgeberverband“ im BDE sei sie schließlich ausgetreten. Damit sei sie auch nicht mehr an die tariflichen Bestimmungen gebunden.

Jedenfalls sei in der Geschäftsordnung ein Mitwirken der OT-Mitglieder in Fachkommissionen ausgeschlossen. Daher hätte sie als OT-Mitglied nun auch keine Einflussmöglichkeit mehr bei tarifpolitischen Entscheidungen. Auch gehe die Gewerkschaft Ver.di von einer nicht mehr bestehenden Tarifbindung aus. Das werde durch ihre Forderung auf Abschluss eines Haustarifvertrages deutlich.

Zudem habe der Kläger gar kein Gehalt bezogen, welches gemäß den tariflichen Bestimmungen „aufgrund tariflicher Regelungen gezahlt werde“. Dies aber setze der Tarifvertrag aber voraus. Ein Anspruch des Klägers bestehe daher nicht.

Sowohl Arbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht im Berufungsverfahren entschieden zugunsten der Beklagten. Im Revisionsverfahren wurde der Kläger vom Gewerkschaftlichen Centrum für Revision und Europäisches Recht vertreten, einer auf Revisionsrecht spezialisierten Einrichtung der DGB Rechtschutz GmbH.

OT-Mitgliedschaft grundsätzlich möglich

Vor dem Bundesarbeitsgericht hatte der Kläger nun Erfolg. In der Revisionsinstanz wurde das Urteil des LAG aufgehoben und die Beklagte verurteilt, den ausstehenden Teil der Sonderzahlung in Höhe von 735 Euro zu zahlen.

Das BAG stellt einerseits klar: Die Mitgliedschaft eines Arbeitgebers in einem Arbeitgeberverband, der Tarifverträge abschließt, begründet für den Arbeitgeber auch eine Bindung an diese Tarifverträge.

Andererseits verfügt aber auch ein Arbeitgeberverband über eine verfassungsrechtlich garantierte Satzungsautonomie. Damit ist ein Arbeitgeberverband berechtigt, eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung (OT-Mitgliedschaft)für seine Mitglieder anzubieten.

Großes „Aber!“ vom Gericht

Allerdings muss für einen Statuswechsel eine wirksame satzungsmäßige Grundlage bestehen. Eine solche besteht nach Ansicht des BAG nicht, wenn die Regelung in der Satzung nicht jeden Einfluss des OT-Mitgliedes auf die tarifpolitischen Entscheidungen des Arbeitgeberverbandes ausschließt. Nur tatsächlich tarifgebundene Arbeitgeber dürfen an der Gestaltung von Tarifverträgen mitwirken.

Konkret sind OT-Mitglieder in der Satzung von jeder möglichen tarifpolitischen Einflussnahme auszuschließen. Dies umfasst etwa die Entsendung von Vertretern in Tarifkommissionen und die Verfügungsgewalt über Streik-und Aussperrungsfonds.

Stets zu bedenken ist: Der BDE schließt als im Außenverhältnis „einheitlicher“ Verband Tarifverträge mit den Gewerkschaften ab.

Satzung differenziert nicht ausreichend

Im vorliegenden Fall verneint das BAG eine hinreichend unterscheidende Regelungen in der Satzung des BDE. So vermisst das BAG eine differenzierende Nennung der Mitgliedschaftsformen als „Vollmitglieder“ und „OT-Mitglieder“. Lediglich eine Regelung zu sog. „ordentlichen Mitgliedern“ findet das BAG in der Satzung des BDE  - zu wenig nach Ansicht des BAG.

Die Satzung des BDE hält keine Trennung der Bereiche „Wirtschaftsverband“ und „Arbeitgeberverband“ bereit. Anders als noch das LAG sieht das Bundesarbeitsgericht diese Trennung gerade nicht in § 17 der Satzung.

Die Regelung sieht nach Ansicht des BAG nicht vor, dass den Tarifkommission jene Mitglieder nicht angehören können, die lediglich im „Wirtschaftsverband“ Mitglied sind. Die Satzung nennt im Wortlaut „ausschließlich (…) Mitglieder des Arbeitgeberverbandes“. Was dem Bundesarbeitsgerichts fehlt, ist ein positiv gewendeter wörtlicher Ausschluss der OT-Mitglieder. 

Urteil des Bundesarbeitsgerichts

Tarifflucht missglückt

Tariflicher Urlaubsanspruch auch bei “Gastmitgliedschaft“

Bundesverwaltungsgericht untersagt Handwerksinnungen die Tarifflucht

Das sagen wir dazu:

Dem Urteil des BAG ist beizupflichten. Deutlich stellt das Gericht heraus, welche Anforderungen an Rechtsgrundlagen für den Wechsel in die OT-Mitgliedschaft zu stellen sind. 

Das Urteil stärkt die Sozialpartnerschaft

Denn für die Gewerkschaften muss erkennbar sein, wer bei Tarifkommissionen berechtigterweise „mit am Tisch sitzt“. Tarifverträge gehen grundsätzlich nur diejenigen Parteien an, die auch vom tarifvertraglichen Geltungsbereich umfasst sind: Gewerkschaften und tarifgebundene(!) Arbeitgeber.

Sowohl Gewerkschaften, als auch tarifgebundene Arbeitgeber müssen vor der Einflussnahme von OT- Arbeitgebern geschützt werden. Hierzu trägt das Urteil des BAG in erfreulicher Weise bei.

Die Gewerkschaft ging gleichzeitig auf Nummer sicher indem sie den Abschluss eines Haustarifvertrag von der Beklagten forderte.

Kein Risiko dank Rechtsschutz durch die Gewerkschaft 

Der Kläger konnte im vorliegenden Fall seinen Anspruch bis in die dritte Instanz verfolgen. In seinem Mitgliedsbeitrag ist der Rechtsschutz durch die DGB Rechtsschutz GmbH enthalten. Ein Kostenrisiko musste der Kläger daher nicht eingehen. In der zweiten und dritten Instanz trägt die unterliegende Prozesspartei auch die Kosten der anderen Partei.

Ohne Rechtsschutz durch die Gewerkschaft kann ein Prozess schnell teuer werden. Nicht jede Rechtsschutzversicherung geht ein solches Kostenrisiko ein. Und wenn, dann meist nur mit Eigenbeteiligung des Arbeitnehmers.

Die Vertretung durch die DGB Rechtsschutz GmbH im Prozess vor den Arbeitsgerichten gibt es nur für Gewerkschaftsmitglieder.