Der Altenheimbetreiber pro seniore ist ein bundesweit tätiges Unternehmen. Auch in der Universitätsstadt Göttingen besteht eine Betreibergesellschaft, die gegenwärtig zwei Heime betreibt. Gegen diese Gesellschaft führt das örtliche DGB Rechtsschutz Büro seit Jahren Klagen um tarifliches Entgelt.
Holding schließt Tarifvertrag mit ver.di
Die Auseinandersetzung hat ihre Wurzel im Jahre 2004, als die Konzernmutter der örtlichen pro seniore Betriebsgesellschaft mit der Gewerkschaft ver.di einen Manteltarifvertrag über die Entlohnung der Mitarbeiter*innen geschlossen hatte.
Dieser Manteltarifvertrag vom 24.09.2004 sah eine Eingruppierung der Beschäftigten nach Tätigkeit und Erfahrungsstufen vor. Für die Beschäftigten bedeutete der Tarifvertrag zum einen eine Anhebung des bisherigen Entgelts, zum anderen erhöhte sich der Entgeltanspruch automatisch mit der Dauer der Beschäftigung. Weiterhin sah der Tarifvertrag diverse Zuschläge vor.
Die Göttinger Betreibergesellschaft wendete die Tarifnormen schlichtweg nicht an und verweigerte ihren Beschäftigten die Löhne, die ja die Konzernmutter mit ver.di rechtsverbindlich vereinbart hatte.
DGB Rechtsschutz unterstützt klagende Mitarbeiter
Etwa 30 gewerkschaftliche organisierte Mitarbeiterinnen der beiden Einrichtungen wendeten sich daraufhin an das örtliche Büro der DGB Rechtsschutz GmbH und machten ihren Lohn geltend.
Als auch dies zu keinem Ergebnis führte, klagte der DGB Rechtsschutz die Lohndifferenz ein. Der Unterschied belief sich auf wenigstens 170 € monatlich, bei einem Bruttogehalt von 2.254 € eine erhebliche Summe.
Die ersten Klagen auf tarifliche Entlohnung gingen beim Arbeitsgericht Göttingen im Oktober 2006 ein. Diese betrafen die Zahlungsansprüche für die Zeit ab Januar 2005. Im Laufe des Verfahrens wurden auch die dann anfallenden Löhne in die Klage einbezogen.
Pro seniore ist kein Argument zu billig
Vor dem Arbeitsgericht ließ pro seniore kein Argument aus, um sich gegen die Forderung zu wehren. So bestritt der Prozessvertreter tatsächlich, dass die Klägerinnen als Altenpflegerinnen beschäftigt seien und daher keinen Anspruch auf Entgelt gemäß der Eingruppierung hätten.
Für diesen durchschaubaren Trick hatte das Arbeitsgericht nur milden Spott übrig: es sei zwar bedauerlich, dass die Konzernzentrale offenbar nicht wisse, welche Tätigkeiten ihre Beschäftigten ausüben, gleichwohl sei das Bestreiten hier prozessual unerheblich.
Auch das Argument, eine Höhergruppierung nach längerer Betriebszugehörigkeit fände bei Teilzeitkräften erst nach der doppelten Zeit statt, weil sie ja auch weniger arbeiten, wurde vom Gericht mit dem Hinweis auf das Diskriminierungsverbot beiseite gefegt.
Tarifvertrag gilt unmittelbar und zwingend!
Schließlich stellte sich pro seniore auf den Standpunkt, der Tarifvertrag gelte noch nicht für das Unternehmen. Eine Wirkung für die Beschäftigten bestehe erst, wenn er durch neue Arbeitsverträge „umgesetzt“ worden sei.
Dies widerspricht natürlich den Regelungen des Tarifvertragsgesetzes, wonach Tarifverträge unmittelbar und zwingend auf das Arbeitsverhältnis wirken. Die Rechtsansicht von pro seniore lasse sich „aus keiner anerkannten Auslegungsmethode entnehmen“, so das erkennende Arbeitsgericht.
Das Gericht sprach den Klägerinnen die Differenz zum Tariflohn zu und verurteilte pro seniore zur Zahlung.
Was der Rechtsweg hergibt – pro seniore ist jedes (Rechts)mittel recht
Aber trotz der deutlichen Worte des Arbeitsgerichts ging pro seniore in Berufung – und verlor. Schließlich musste sich sogar das Bundesarbeitsgericht mit dem Tarifvertrag befassen. Auch die Erfurter Richter kamen, wenig überraschend, zu dem Ergebnis, dass den Klägerinnen ihr Differenzlohn zu zahlen ist.
Da aber die Differenz für jeden Monat wieder anfiel und wegen der Ausschlussfristen sonst verfallen wäre, musste der DGB Rechtsschutz die inzwischen anfallenden Monatslöhne der etwa 20 verbliebenen Klägerinnen auch einklagen – über Jahre.
Um pro seniore nicht erneut die Möglichkeit zu eröffnen, aus reinem Mutwillen heraus wiederum in Berufung zu gehen, klagen die Rechtsschutzsekretär*innen des Büros Göttingen jeden Monatslohn einzeln ein, so dass die Berufungssumme von 600 € nicht erreicht wurde.
Auch einem Gericht platzt mal der Kragen
Obwohl also die Rechtsfrage schon längst zu Lasten von pro seniore geklärt war, nutzen sie alle formell zulässigen Mittel – auf dem Rücken der Beschäftigten und auch der Gerichte und damit letztlich der Steuerzahler.
Schon im Jahre 2011 hatte das Landesarbeitsgericht seinem Unmut über diese Tatsache in ungewöhnlich scharfen Worten Luft gemacht: „ Warum die Beklagte nach wie vor trotz einer Vielzahl der bereits entschiedenen Verfahren und der Klärung durch das Bundesarbeitsgericht ihre Arbeitnehmer nicht freiwillig korrekt bezahlt sondern stattdessen ihre Anwälte zu jedem Termin aus dem Saarland anreisen lässt und stets auf eine schriftliche Begründung besteht, ist nicht nachvollziehbar. Die Beklagtenvertreter verweigerten auch auf mehrfache Nachfrage jegliche Erklärung für dieses höchst ungewöhnliches Prozessverhalten.“
Ob es an dem Nachhall dieses Donnerwetters lag oder ob an anderen Gründen: Das zermürbende Schauspiel hat nun ein Ende: Im Frühjahr diesen Jahres meldete sich ein Vertreter Konzernzentrale bei den Kollegen des Göttinger Büros: „Man werde den Tariflohn ab jetzt freiwillig zahlen.“
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