Ein Stundenlohn von 3,40 € ist für eine Pizzafahrerin sittenwidrig.
Ein Stundenlohn von 3,40 € ist für eine Pizzafahrerin sittenwidrig.

Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat über die Klage eines Jobcenters entschieden, das aufgrund von sittenwidriger Entlohnung ergänzende Leistungen erbringen musste. Bei ordnungsgemäßer Entlohnung wäre dies nicht oder in jedenfalls geringerem Umfang notwendig gewesen.

Jobcenter nimmt Rückgriff bei Arbeitgeber

Das Jobcenter hat in den Jahren 2011 bis 2014 ergänzende Leistungen an eine Arbeitnehmerin erbracht. Mit der Klage forderte sie diese Leistungen von ihrem Arbeitgeber zurück. Der Arbeitgeber betreibt eine Pizzeria im östlichen Brandenburg.

Die Arbeitnehmerin war bei ihm seit 2001 als Auslieferungsfahrerin tätig und erhielt in dieser Zeit immer pauschal 136 Euro. Die Arbeitszeit betrug je nach Bedarf zwischen 35 und 40 Stunden im Monat.

Das Jobcenter hat geltend gemacht, die Vergütung dieser Arbeitnehmerin sei sittenwidrig niedrig. Hätte der Arbeitgeber die übliche Vergütung gezahlt, wären geringere Leistungen an Grundsicherung angefallen. Die Differenz habe der Arbeitgeber zu erstatten.

LAG: „Kein Lohn, von dem man leben kann“

Das Landesarbeitsgericht hat der Klage in Höhe von 5.744,18 Euro stattgegeben. Die Vergütung mit pauschal 136 € im Monat entspreche einem Stundenlohn von 3,40 Euro. Dies sei ein „Hungerlohn“, so die Richter des LAG wörtlich.

Selbst wenn man davon ausgehe, dass die Pizzafahrerin in Vollzeit tätig gewesen ist, könne man von dem erzielten Einkommen nicht leben. Die Vereinbarung dieses Hungerlohns sei sittenwidrig und damit unwirksam. Die übliche Vergütung ergebe sich aus den Feststellungen des statistischen Landesamtes.

Für das Jahr 2011 sei das klagende Jobcenter zutreffend von einem Stundenlohn von 6,77 € ausgegangen, der sich bis zum Jahr 2014 auf 9,74 € steigere. Ob sich eine Sittenwidrigkeit daneben auch aus Wertungen der Europäischen Sozialcharta ergeben kann, wurde nicht entschieden.

Anmerkung

Obwohl sich der Fall vor In-Kraft-Treten des Mindestlohngesetzes abspielt, ist er auch heute noch interessant. Allerdings müssten die Richter sich heute nicht mehr die Mühe machen, eine übliche Vergütung herauszufinden: Jeder Lohn unter 8,50 € ist unwirksam.

Es verbleibt aber die Frage, welches der angemessene Lohn ist. Der Mindestlohn von derzeit 8,50 € ist hier keine Ober- sondern eine Untergrenze. Liegt der durchschnittliche Lohn deutlich über 8,50 €, dann kann sich durchaus ein höherer Anspruch ergeben.

In diesem Bereich entfalten auch die Tarifverträge eine gestaltende Wirkung: Im Anwendungsberiech eines Tarifvertrags gilt der dort festgelegte Lohn als der übliche und angemessene. Bei der Frage, welches der übliche Lohn ist, ist vom Tariflohn auszugehen.

Pressemitteilung des LAG Berlin-Brandenburg


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Rechtliche Grundlagen

§ 138 BGB

Sittenwidriges Rechtsgeschäft; Wucher

(1) Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig.

(2) Nichtig ist insbesondere ein Rechtsgeschäft, durch das jemand unter Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche eines anderen sich oder einem Dritten für eine Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lässt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung stehen.