Keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung hat eine Arbeitnehmerin, die in Folge einer künstlichen Befruchtung arbeitsunfähig wird.
Keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung hat eine Arbeitnehmerin, die in Folge einer künstlichen Befruchtung arbeitsunfähig wird.


Das Bundesarbeitsgericht hat die Klage einer schwangeren Arbeitnehmerin abgewiesen, die auf Vergütung während der Arbeitsunfähigkeit geklagt hatte.
 

Arbeitgeber verweigert Zahlung wegen In-vitro-Fertilisation

 
Die zum Zeitpunkt der Schwangerschaft 42-jährige Arbeitnehmerin war bei dem Beklagten als Erzieherin in einer Kindertagesstätte beschäftigt. Da ihr Partner nur eingeschränkt zeugungsfähig war, unterzog sie sich einer In-vitro-Fertilisationen.
 
In der Folgezeit legte die Erzieherin mehrere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor. Der Arbeitgeber leistete jeweils Entgeltfortzahlung. Als er jedoch erfuhr, dass die Arbeitnehmerin aufgrund künstlicher Befruchtung schwanger war, stellte er die Zahlungen ein und zog ihr die geleisteten Beträge in Höhe von etwa 3.300 Euro netto von ihrem Lohn ab.
 
Diesen Betrag forderte die Arbeitnehmerin nun von ihrem Arbeitgeber zurück. Sie sei tatsächlich arbeitsunfähig gewesen, daher stehe ihr die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zu.
 

Arbeitsunfähigkeit selbst verschuldet?

 
Der Arbeitgeber rechtfertigte den Abzug damit, dass ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung in diesem Fall ausgeschlossen sei. Die Klägerin habe die Arbeitsunfähigkeit selbst verschuldet, weil sie einen ärztlichen Eingriff habe durchführen lassen.
 
Hierfür spreche auch die gesetzgeberische Wertung, wonach Frauen nach Vollendung des 40. Lebensjahres keinen Anspruch mehr auf Kostenübernahme eines solchen Eingriffs gegen die Krankenkasse haben.
 
Das Arbeitsgericht hatte der Klägerin noch einen Betrag in Höhe von 2.301,83 Euro netto zugesprochen, vor dem Landesarbeitsgericht hatte sie jedoch verloren. Auch vor dem Bundesarbeitsgericht hatte sie keinen Erfolg.
 

BAG: Kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung

 
Das Bundesarbeitsgericht lehnte einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung ab. Die In-vitro-Fertilisation stelle keinen notwendigen ärztlichen Heileingriff dar, da weder die Unfruchtbarkeit des Partners, noch der unerfüllte Kinderwunsch eine Krankheit darstellten.
 
Dementsprechend bestehe kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung für Zeiten, in denen die Klägerin aufgrund des Eingriffs arbeitsunfähig krankgeschrieben war.
 
Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung diene dem Zweck, Arbeitnehmer bei unverschuldeter krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit finanziell abzusichern. Dabei geht der Gesetzgeber davon aus, dass der Arbeitnehmer ein Interesse daran hat, seine eigene Arbeitskraft zu erhalten. Dies sei bei einer künstlichen Befruchtung wegen eines bisher unerfüllten Kinderwunsches aber nicht der Fall.
 

Entgeltfortzahlung nicht komplett ausgeschlossen


Ausgehend von dieser gesetzgeberischen Zielsetzung sei das zu wahrende Eigeninteresse allein das Interesse des Arbeitnehmers, seine Gesundheit zu erhalten und zur Arbeitsunfähigkeit führende Erkrankungen zu vermeiden. Die Erfüllung eines Kinderwunsches entspreche diesem Interesse nicht.
 
Der Kinderwunsch betreffe daher die individuelle Lebensgestaltung des Arbeitnehmers. Wenn sich also in der Arbeitsunfähigkeit das spezifische Risiko des Eingriffs verwirkliche, liege ein Eigenverschulden vor.
 
Andererseits habe die Arbeitnehmerin trotzdem Anspruch auf Entgeltfortzahlung, wenn während der künstlich herbeigeführten Schwangerschaft eine Erkrankung auftrete, die nicht auf den Eingriff selbst zurückzuführen sei. Insofern gelten die gleichen Grundsätze wie bei einer „natürlichen“ Schwangerschaft.
 
Worauf die Erkrankung in diesem Fall beruhten, konnte das BAG nicht feststellen und hat die Sache daher zur weiteren Aufklärung an das zuständige Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.


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Urteil des Bundesarbeitsgerichts


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Das sagen wir dazu:

Das Urteil erscheint zunächst seltsam: Natürlich ist eine Schwangerschaft keine Krankheit. Aber wenn die Herbeiführung einer Schwangerschaft durch künstliche Befruchtung als schuldhaft angesehen wird, müsste dies nicht genauso für die „klassische“ Befruchtung gelten? Auch dieser Zustand wird schließlich in der Regel „schuldhaft“ herbeigeführt.
 
Das Bundesarbeitsgericht hat jedoch diese Diskrepanz erkannt und eine sachdienliche Unterscheidung vorgenommen: Erkrankungen, die wegen der Schwangerschaft auftreten - egal ob künstlich oder natürlich herbeigeführt  - unterliegen der Entgeltfortzahlung.
 
Die Entgeltfortzahlung entfällt nur, wenn die Erkrankung wegen des Eingriffs auftreten, da dieser auf einer bewussten Entscheidung beruht und der bei einer natürlichen Befruchtung nicht notwendig ist.
 
Damit sind solche Paare schlechter gestellt, die nicht auf natürlichem Wege Kinder bekommen können. Die Situation ist aber durchaus vergleichbar mit dem „Augenlasern“, durch das mittelschwere Sehschwächen ausgeglichen werden.
 
Wer eine solche OP durchführen lässt, hat ebenfalls keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung, weil er sich ja bewusst für den Eingriff entscheidet. Er steht insofern schlechter als Menschen, die von Natur aus gut sehen können. Der Gesetzgeber hat sich dafür entschieden, diese Situationen der persönlichen Lebensgestaltung zuzurechnen. Es ist insofern sachgerecht, hier keine Entgeltfortzahlung zu gewähren.

Rechtliche Grundlagen

§ 3 EFZG

Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall

(1) Wird ein Arbeitnehmer durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert, ohne daß ihn ein Verschulden trifft, so hat er Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen. Wird der Arbeitnehmer infolge derselben Krankheit erneut arbeitsunfähig, so verliert er wegen der erneuten Arbeitsunfähigkeit den Anspruch nach Satz 1 für einen weiteren Zeitraum von höchstens sechs Wochen nicht, wenn
1. er vor der erneuten Arbeitsunfähigkeit mindestens sechs Monate nicht infolge derselben Krankheit arbeitsunfähig war oder
2. seit Beginn der ersten Arbeitsunfähigkeit infolge derselben Krankheit eine Frist von zwölf Monaten abgelaufen ist.

(2) Als unverschuldete Arbeitsunfähigkeit im Sinne des Absatzes 1 gilt auch eine Arbeitsverhinderung, die infolge einer nicht rechtswidrigen Sterilisation oder eines nicht rechtswidrigen Abbruchs der Schwangerschaft eintritt. Dasselbe gilt für einen Abbruch der Schwangerschaft, wenn die Schwangerschaft innerhalb von zwölf Wochen nach der Empfängnis durch einen Arzt abgebrochen wird, die schwangere Frau den Abbruch verlangt und dem Arzt durch eine Bescheinigung nachgewiesen hat, daß sie sich mindestens drei Tage vor dem Eingriff von einer anerkannten Beratungsstelle hat beraten lassen.

(3) Der Anspruch nach Absatz 1 entsteht nach vierwöchiger ununterbrochener Dauer des Arbeitsverhältnisses.