In seiner Entscheidung vom 12. Januar 2016 hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg über die Anrechnung von Sonderzahlungen auf den gesetzlichen Mindestlohn und die Berechnungsgrundlage für vereinbarte Zuschläge entschieden.
Der Entscheidung liegt ein arbeitsvertraglich vereinbarter Stundenlohn der Klägerin von weniger als 8,50 Euro brutto pro Stunde zu Grunde. Mit der Klägerin und mit weiteren Beschäftigten wurde im Arbeitsvertrag eine Sonderzahlung vereinbart, die zweimal jährlich jeweils in Höhe eines halben Monatslohnes zu zahlen war.
Betriebsparteien setzen einzelvertragliche Sonderzahlungsvereinbarung außer Kraft
Abweichend von der einzelvertraglichen Vereinbarung zwischen der Klägerin und der Beklagten haben die Arbeitgeberin und der Betriebsrat vereinbart, diese Sonderzahlungen gleichmäßig auf alle zwölf Monate zu verteilen, das heißt jeden Monat ein Zwölftel der Sonderzahlung auszuzahlen.
Mit dieser zusätzlichen anteiligen Sonderzahlung ergibt sich ein Stundenlohn der Klägerin von mehr als 8,50 Euro. Daneben sind arbeitsvertraglich Überstunden-, Sonn- und Feiertags- sowie Nachtzuschläge vorgesehen, die die Arbeitgeberin weiterhin auf der Grundlage des vereinbarten Stundenlohnes von weniger als 8,50 Euro berechnet.
Klägerin besteht auf arbeitsvertraglicher Vereinbarung
Gegen die vom Arbeitsvertrag abweichenden und zwischen der Beklagten und deren Betriebsrat vereinbarten Auszahlungsmodalitäten hat sich die Klägerin gewandt und geltend gemacht, ihr stünden die Sonderzahlungen weiter zusätzlich zu einem Stundenlohn von 8,50 Euro zu. Der gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro, so die Klägerin, sei auch bei der Berechnung der Zuschläge zugrunde zu legen.
Diesen Argumenten der Klägerin ist das LAG nur bezüglich der Nachtarbeitszuschläge gefolgt.
LAG sieht keinen Verstoß gegen den Arbeitsvertrag der Klägerin
Bei den Sonderzahlungen, so die Richter*innen des LAG, handle es sich im vorliegenden Fall um Arbeitsentgelt für die normale Arbeitsleistung der Klägerin, weshalb eine Anrechnung auf den gesetzlichen Mindestlohn möglich sei.
Die Betriebsvereinbarung, die die Fälligkeit der Sonderleistungen zu einem Zwölftel auf jeden Monat verschiebe, sei wirksam und verstoße nicht gegen den Arbeitsvertrag der Klägerin.
LAG: Nachtarbeitszuschläge sind auf der Basis des Mindestlohns von 8,50 Euro zu berechnen
Die vertraglich geregelten Mehrarbeits-, Sonntags- und Feiertagszuschläge habe die Arbeitgeberin zulässig auf der Basis der vereinbarten vertraglichen Vergütung berechnet.
Dagegen seien die Nachtarbeitszuschläge auf der Basis des Mindestlohns von 8,50 Euro zu berechnen, weil das Arbeitszeitgesetz einen angemessenen Zuschlag auf das dem Arbeitnehmer „zustehende Bruttoarbeitsentgelt“ vorschreibe.
Wegen grundsätzlicher Bedeutung Revision zum Bundesarbeitsgericht (BAG) zugelassen
Gegen dieses Urteil können beide Parteien Revision beim Bundesarbeitsgericht einlegen. Das LAG Berlin - Brandenburg hat diese wegen der grundsätzlichen Bedeutung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen zugelassen.
Anmerkung:
Da die Entscheidungsgründe des am 12.01.2016 verkündeten Urteils noch nicht vorliegen, kann zu den „vertraglich geregelten Mehrarbeits-, Sonntags- und Feiertagszuschlägen“, die aus Sicht des LAG zutreffend berechnet worden sein, noch nichts konkret gesagt werden.
Zu sagen aber gibt es aus der Sicht des Autors etwas zu der Vereinbarung zwischen der Arbeitgeberin und dem Betriebsrat. Denn abweichend von der einzelvertraglichen Vereinbarung zwischen der Klägerin und der Beklagten haben die Betriebsparteien vereinbart, diese Sonderzahlungen auf zwölf Monate zu verteilen. Ergebnis dieser Vereinbarung ist die „Aushebelung“ des § 2 I Nr. 2 Mindestlohngesetz (MiLoG): Danach muss der Mindestlohn spätestens am Ende des Monats, „der auf den Monat folgt, in dem die Arbeitsleistung erbracht wurde“, gezahlt werden.
Wenn die Klägerin, wie arbeitsvertraglich vereinbart, weiterhin die Sonderzahlungen in zwei Raten erhalten würde, müsste die Arbeitgeberin den ursprünglichen, unter 8,50 Euro liegenden Bruttostundenlohn anpassen und weiterhin die vereinbarte Sonderzahlung in zwei Raten jeweils in Höhe eines halben Monatslohnes an die Klägerin zahlen.
Bedenken gegen Eingriff der Betriebsparteien in einzelvertragliche Sonderzahlungsvereinbarung zum Nachteil der Klägerin.
Offensichtlich geht das LAG davon aus, dass einzelvertraglich getroffene Vereinbarungen im Hinblick auf die jährlichen Sonderzahlungen durch eine Vereinbarung zwischen Arbeitgeberin und Betriebsrat außer Kraft gesetzt werden können. Dies ist nicht nachvollziehbar. Man darf auf die Begründung der LAG Entscheidung gespannt sein.
Es bleibt abzuwarten, ob die Klägerin die Möglichkeit nutzt, das Bundesarbeitsgericht (BAG) anzurufen und wie sich das BAG zu dieser doch leicht befremdlichen Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg erklärt.
Link zur Pressemitteilung des LAG Berlin-Brandenburg vom 27.01.2016:
Im Praxistipp: § 2 Mindestlohngesetz
Rechtliche Grundlagen
§ 2 Mindestlohngesetz
§ 2 Fälligkeit des Mindestlohns
(1) Der Arbeitgeber ist verpflichtet, der Arbeitnehmerin oder dem Arbeitnehmer den Mindestlohn
1. zum Zeitpunkt der vereinbarten Fälligkeit,
2. spätestens am letzten Bankarbeitstag (Frankfurt am Main) des Monats, der auf den Monat folgt, in dem die Arbeitsleistung erbracht wurde,
zu zahlen. Für den Fall, dass keine Vereinbarung über die Fälligkeit getroffen worden ist, bleibt § 614 des Bürgerlichen Gesetzbuchs unberührt.
(2) Abweichend von Absatz 1 Satz 1 sind bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern die über die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit hinausgehenden und auf einem schriftlich vereinbarten Arbeitszeitkonto eingestellten Arbeitsstunden spätestens innerhalb von zwölf Kalendermonaten nach ihrer monatlichen Erfassung durch bezahlte Freizeitgewährung oder Zahlung des Mindestlohns auszugleichen, soweit der Anspruch auf den Mindestlohn für die geleisteten Arbeitsstunden nach § 1 Absatz 1 nicht bereits durch Zahlung des verstetigten Arbeitsentgelts erfüllt ist. Im Falle der Beendigung des Arbeitsverhältnisses hat der Arbeitgeber nicht ausgeglichene Arbeitsstunden spätestens in dem auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses folgenden Kalendermonat auszugleichen. Die auf das Arbeitszeitkonto eingestellten Arbeitsstunden dürfen monatlich jeweils 50 Prozent der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit nicht übersteigen.
(3) Die Absätze 1 und 2 gelten nicht für Wertguthabenvereinbarungen im Sinne des Vierten Buches Sozialgesetzbuch. Satz 1 gilt entsprechend für eine im Hinblick auf den Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vergleichbare ausländische Regelung.