Was zunächst banal klingt, musste ein Arbeitnehmer eines mittelständischen Betriebs dennoch durch zwei Gerichtsinstanzen über das Büro Pirmasens der DGB Rechtsschutz GmbH durchfechten. Nur so kam er zu seinem Recht und an sein Geld.
Der Kläger übernahm 2 Jahre nach seinem Eintritt in den Betrieb eine wesentlich anspruchsvollere Tätigkeit. Zwar wurde er höher eingruppiert, seine Leistungszulage von 5 Prozent wurde jedoch vom Arbeitgeber trotz größerer Erfahrung ohne nachvollziehbare Begründung seitdem nicht mehr angepasst; seine Leistung wurde schlicht nicht mehr beurteilt. Der Arbeitgeber blieb aber nicht untätig und nahm bei rund 50 anderen Arbeitnehmer*innen Erhöhungen der Leistungszulage oder der Eingruppierung vor. Der Kläger und andere Beschäftigte waren jedoch nicht unter den Begünstigten.
Der Kläger sah sich das 5 Jahre lang an, dann machte er seinen Anspruch auf eine höhere Leistungszulage über seine Gewerkschaft IG Metall in Homburg geltend. Als der Arbeitgeber erneut jede Anpassung verweigerte, setzte das Büro Pirmasens des DGB Rechtsschutzes den Anspruch für ihn vor dem örtlichen Arbeitsgericht und dem Landesarbeitsgericht in Mainz durch.
Tarifliche Grundlagen des Entgeltrahmenabkommens
An sich wäre der Kläger für eine Neubeurteilung längst „an der Reihe“ gewesen. Nach § 8 Ziff. 6 ERA soll der Arbeitgeber die Leistungsbeurteilung einmal jährlich durchführen. Geregelt ist auch anhand welcher Kriterien diese Beurteilungen zu erfolgen haben.
§ 8 Ziff. 1 ERA bestimmt, dass Arbeitgeber und Betriebsrat gemeinsam Kriterien für eine sachgerechte Beurteilung der im Zeitentgelt tätigen Arbeitnehmer*innen vereinbaren sollen. Einigen sich Arbeitgeber und Betriebsrat, schließen sie über die gefundenen betrieblichen Eingruppierungskriterien eine Betriebsvereinbarung, die der Arbeitgeber umsetzen muss. Einigen sie sich nicht, kann zur weiteren Konfliktlösung die Einigungsstelle angerufen werden.
Kommt letztlich keine Einigung zustande, muss der Arbeitgeber die Beurteilung nach dem Anhang A des ERA durchführen (§ 8 Ziff. 3 ERA). Macht der Arbeitgeber auch dies nicht und verzichtet auf eine methodisch-individuelle Beurteilung der Beschäftigten, haben diese Anspruch auf eine persönliche Leistungszulage von mindestens 10 Prozent zum tariflichen Grundentgelt. Diese Zulagenhöhe ergibt sich aus dem Grundsatz, dass der Arbeitgeber mindestens 10 Prozent der betrieblichen Lohnsummer als Leistungsprämien an Beschäftigten zahlen muss.
„Grau ist alle Theorie, das Leben ist immer komplizierter“
Tatsächlich gab es in dem Betrieb zunächst sogar eine Betriebsvereinbarung über die Leistungsbeurteilungskriterien. Schon die erste Beurteilungsrunde im Jahr 2008 führte jedoch zu großer Unruhe in der Belegschaft. Arbeitgeber und Betriebsrat vereinbarten daher die Beurteilungskriterien bis zur Jahresmitte 2009 neu zu verhandeln und die bereits getroffene Betriebsvereinbarung nicht nochmals anzuwenden.
An einer Neuverhandlung hatte der Arbeitgeber dann kein Interesse mehr, Verhandlungen kamen nicht mehr zustande. Er stellte zwar weiterhin Arbeitnehmer*innen neu ein und zahlte ihnen auch eine frei bestimmte Leistungsprämie bzw. gruppierte sie ohne erkennbares System um oder erhöhte nach Gutdünken bestehende Leistungsprämien. Dieses „Glück“ hatte der Kläger nicht, er wartete vergeblich auf seine Neubeurteilung.
Nach besagten 5 Jahren war es auch dem Geduldigsten zuviel: der Arbeitgeber profitierte von der jahrelang gesammelten Erfahrung und besseren Leistung des Klägers, wollte diese aber nicht über eine höhere Leistungsprämie vergüten. Der Streit war reif für eine gerichtliche Entscheidung.
Verfahren vor dem Arbeits- und Landesarbeitsgericht
Der tarifgebundene Arbeitgeber und dessen Arbeitgeberverband wehrten sich bereits im erstinstanzlichen Verfahren vor dem Arbeitsgericht in Pirmasens vehement gegen die korrekte Anwendung des ERA und die Zahlung einer erhöhten Leistungszulage.
Zunächst mit dem Argument, der „Verzicht“ auf die methodisch-individuelle Beurteilung nach § 8 Ziff. 5 ERA müsse rechtsgeschäftlich erklärt werden. Es würde nicht ausreichen wenn der Arbeitgeber einfach keine betrieblichen Beurteilungen durchführt. Die vom Landesarbeitsgericht aufgeworfene Frage, ob die Aufhebungsvereinbarung aus dem Jahr 2008 als neue Betriebsvereinbarung über die künftige Nichtanwendung der betrieblichen Beurteilungskriterien keinen rechtsgeschäftlichen Verzicht beinhalte, blieb dann aber unbeantwortet.
Weiter argumentierte der Arbeitgeber, er habe in den letzten 5 Jahren rund 50 Beurteilungen durchgeführt. „Methodisch-individuell“ waren diese vom Arbeitgeber vorgenommenen Erhöhungen der Leistungszulage oder Eingruppierungen der letzten 5 Jahre keinesfalls. Wo es der Arbeitgeber sehen wollte, führten schon kleinste Leistungsänderungen zu einer wesentlich erhöhten Zulage. Wer Entwicklungspotential hatte wurde auch schon einmal zum AT-Angestellten gemacht.
Das Landesarbeitsgericht ließ keinen Zweifel daran, dass der Anspruch auf die pauschale 10-prozentige Leistungszulage aus § 8 Ziff. 5 ERA immer dann entsteht, wenn in der Praxis Arbeitnehmer*innen in ihrem Betrieb vom Arbeitgeber nicht methodisch-individuell beurteilt werden. Dabei spielt es auch keine Rolle, ob der Arbeitgeber nach seinem „Beurteilungssystem“ bereits 10 Prozent der Grundentgeltsumme als Leistungszulage an die Beschäftigten ausgeschüttet hat oder nicht.
Die „Moral von der Geschichte“
Und die ist immer gleich: Gerechtigkeit muss immer wieder neu erkämpft werden. Ab einem gewissen Zeitpunkt wird es sinnlos zu hoffen, der Arbeitgeber werde den Anspruch anerkennen und die korrekte Zulage bezahlen. Oft muss man für die Gerechtigkeit und korrekte Vergütung vor Gericht ziehen und dabei starke Partner an der Seite haben. Unser Kläger erhält nun ab dem Zeitpunkt der Geltendmachung eine um weitere 1.700,- EUR jährlich erhöhte Leistungszulage.
Es gibt es auch eine negative Lehre aus der Sache: neben dem Kläger warten noch rund 10 weitere Arbeitnehmer*innen auf ihr Geld, die nicht geklagt haben. Hier hat im Ergebnis der Arbeitgeber gewonnen.
Der Arbeitgeber wollte die Berufung nicht zurücknehmen, trotz deutlicher Hinweise der LAG-Kammer. Im Verhandlungstermin wurde der Verzicht auf Tatbestand und Entscheidungsgründe erklärt. Dies sind die Hintergründe zu den beiden Entscheidungen, die leider nicht nachgelesen werden können.
Im Praxistipp: § 8 EntgeltRahmen-Tarifvertrag (ERA-TV) Zeitentgelt mit Beurteilung
Rechtliche Grundlagen
§ 8 EntgeltRahmen-Tarifvertrag (ERA-TV) Zeitentgelt mit Beurteilung
Für alle im Zeitentgelt Beschäftigten erfolgt die Beurteilung auf der Basis sachgerechter und betrieblich zu vereinbarender Kriterien. Sie erhalten aufgrund ihrer persönlichen Leistung -entsprechend dem Ergebnis der betrieblichen Beurteilung- eine Leistungszulage. Diese ist in Prozenten auszuweisen und in schriftlicher Form mitzuteilen.
Die Beurteilung der Leistung obliegt dem Arbeitgeber oder seinem Beauftragten.
Die Leistungszulagen der Beschäftigten im Zeitentgelt müssen mindestens 10 % der Summe der tariflichen Grundentgelte der nach dem Entgeltgrundsatz "Beurteilung" erfassten Beschäftigten im jeweiligen Geltungsbereich betragen. Daraus kann nicht abgeleitet werden, dass jeder Beschäftigte eine Leistungszulage beanspruchen kann.
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Die Leistungszulage soll einmal im Jahr überprüft werden.
Ist im Einzelfall der Arbeitgeber oder der Beschäftigte der Auffassung, dass die gezeigte Leistung der vorliegenden Beurteilung nicht oder nicht mehr entspricht, so ist eine Überprüfung vorzunehmen.
Ergibt die Überprüfung eine höhere Leistungszulage, so wird diese vom darauf folgenden Entgeltabrechnungszeitraum an gezahlt.
Ergibt die Überprüfung eine geringere Leistungszulage so ist die Leistungszulage auf Verlangen des Beschäftigten nach einer Karenzzeit von vier Wochen zu überprüfen. Ergibt die nochmalige Leistungsbeurteilung wiederum eine verminderte Leistungszulage, so wird diese vom darauf folgenden Entgeltabrechnungszeitraum an gezahlt.
Gegen das Ergebnis der Leistungsbeurteilung kann der Beschäftigte binnen einer Woche seit Zugang der schriftlichen Mitteilung Einspruch einlegen. Findet der Einspruch keine Erledigung, so kann der Beschäftigte binnen einer weiteren Woche die Paritätische Kommission anrufen. Das Verfahren richtet sich nach § 11.