Tarifliche Leistungszulagen
In der Elektro- und Metallindustrie gilt ein zwischen der Gewerkschaft IG Metall und dem Arbeitgeberverband Gesamtmetall abgeschlossenes Entgeltrahmenabkommen (abgekürzt ERA-TV).
Das Abkommen sieht vor, dass Leistungszulagen durch Leistungsbeurteilungen des Arbeitgebers oder seiner Beauftragten festgesetzt werden. Dazu sind bestimmte Beurteilungsbögen zu verwenden.
Leistungsminderung führt zu geringerer Leistungszulage
Die Beurteilung kann dazu führen, dass eine Leistungsminderung festgestellt wird. Diese muss dem Arbeitnehmer, der Arbeitnehmerin unverzüglich mitgeteilt werden.
Nach einer Übergangszeit führt die Leistungsminderung unmittelbar dazu, dass eine geringere Leistungszulage ausgezahlt wird.
Information an den Betriebsrat
Der ERA-TV sieht weiter vor, dass dem Betriebsrat die Leistungszulagen und deren Änderungen mitzuteilen sind.
Außerdem können die betroffenen Beschäftigten Einspruch gegen die Beurteilung beim Betriebsrat einlegen.
Gesamtbetriebsvereinbarung im Unternehmen
In dem Metallunternehmen, dessen Fall beim Landesarbeitsgericht München verhandelt wurde, galt außerdem noch eine Gesamtbetriebsvereinbarung. Diese sah unter anderem vor, dass die Leistungsbeurteilen im Juni/Juli vorgenommen werden. Außerdem mussten alle Führungskräfte wegen der von ihnen vorzunehmenden Beurteilungen eine Schulung besuchen.
Die Arbeitgeberin teilte im Prozess mit, dass sie die Führungskräfte während der Schulung ausdrücklich daraufhin hingewiesen habe, dass sie bei der Beurteilung evtl. Leistungseinschränkungen von behinderten Beschäftigten berücksichtigen müssten.
Leistungsbeurteilungen führten zur Minderung
In 16 Fällen waren schwerbehinderte Arbeitnehmer*innen von der Leistungsabsenkung betroffen.
Sie sollten deshalb zukünftig eine geringere Leistungszulage erhalten.
Information an die Schwerbehindertenvertretung
Die Arbeitgeberin informierte die Schwerbehindertenvertretung nur in der Weise, dass sie dieser eine Liste der Leistungsbeurteilungen aller schwerbehinderter und gleichgestellter Arbeitnehmer- und Arbeitnehmerinnen übergab.
Nähere Informationen erhielt die Schwerbehindertenvertretung nicht.
Schwerbehindertenvertretung verlangt Aussetzung
Die Schwerbehindertenvertretung rügte daraufhin, dass sie über die festgestellte Leistungsminderung nicht unverzüglich und umfassend informiert wurde. Außerdem sei sie auch nicht vorher angehört worden.
Aus diesem Grund verlangt sie, dass die Entscheidung über die Leistungsminderung erst einmal ausgesetzt wird.
Schwerbehindertenvertretung beim LAG München erfolgreich
Das Landesarbeitsgericht München hat der Schwerbehindertenvertretung Recht gegeben und die Entscheidung über die Leistungsbeurteilung erst einmal ausgesetzt. Sie konnte deshalb auch zunächst einmal nicht umgesetzt werden.
Da das Ergebnis der Leistungsbeurteilung sich unmittelbar auf die zu zahlende Leistungszulage auswirkt, blieb es vorerst auch bei der bisherigen höheren Zulage.
Schwerbehindertenvertretung hat ein Recht auf Beteiligung
Aus Vorschriften des Sozialgesetzbuches IX ergibt sich die Verpflichtung der Arbeitgeber, Schwerbehindertenvertretungen an Entscheidungen zu beteiligen. So stehen Schwerbehindertenvertretungen umfassende Unterrichtungs- und Anhörungsrechte zu, wenn es um Angelegenheiten geht, die schwerbehinderte Beschäftigte betreffen.
Schwache Beteiligungsrechte
Echte Mitbestimmungsrechte erwachsen ihr dadurch jedoch nicht. Entscheidungen des Arbeitgebers, die sich über Stellungnahmen der Schwerbehindertenvertretung hinwegsetzen oder ihre Beteiligungsrechte verletzen, bleiben nämlich dennoch wirksam.
Wird die Schwerbehindertenvertretung nicht informiert oder wird ihr vor einer Entscheidung keine Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben, hat sie nur einen Aussetzungsanspruch. Sie kann eine Aussetzung der Entscheidung und die Nachholung der Beteiligung binnen sieben Tagen verlangen. Diesen Anspruch kann sie auch im gerichtlichen Beschlussverfahren durchsetzen. Dies gilt jedoch nur, solange der Arbeitgeber die Entscheidung noch nicht umgesetzt hat.
Mit einem derartigen Antrag war die Schwerbehindertenvertretung im Fall des Landesarbeitsgerichts München erfolgreich.
Beteiligung bei Angelegenheiten, die Belange von schwerbehinderten Menschen berühren
Die Beteiligungsrechte der Schwerbehindertenvertretung beziehen sich auf alle Angelegenheiten, die sich auf schwerbehinderte Menschen auswirken. Das ist weit zu verstehen. Nur, wenn sie gar nicht anders als andere Beschäftigte betroffen sind, besteht das Beteiligungsrecht nicht.
Beispielsweise wird eine Reisekostenordnung zwar für alle Arbeitnehmer gleichermaßen erlassen. Sie kann aber für schwerbehinderte Menschen ganz andere Auswirkungen haben, etwa, wenn sie öffentliche Verkehrsmittel nur ganz eingeschränkt oder nur mit Hilfen nutzen können. Das Gleiche gilt für die Benutzungsordnung eines Betriebsparkplatzes. Auch da kann zu berücksichtigen sein, dass wegen fehlender Mobilität schwerbehinderten Beschäftigten vorrangig Parkplätze und zudem in der Nähe des Eingangs zur Verfügung gestellt werden müssen.
Schwerbehinderte Arbeitnehmer spezifisch bei Leistungsbeurteilung betroffen
Schwerbehinderte Menschen haben gesetzlich Anspruch auf eine leidensgerechte Beschäftigung (§ 81 Absatz 4 Sozialgesetzbuch IX, seit dem 1.1.2018: § 164 Absatz 4 Sozialgesetzbuch IX). Dazu gehört auch, dass sie so eingesetzt werden, dass behindertenbedingte Leistungsmängel möglichst nicht eintreten. Wenn - wie im Fall des Landesarbeitsgerichts München - daher Leistungsbeurteilungen durchgeführt werden, darf die Behinderung nicht ohne weiteres zum Nachteil der schwerbehinderten Beschäftigten berücksichtigt werden.
Das Landesarbeitsgericht München stellte fest, dass auch das Metallunternehmen hiervon ausgegangen war. Denn die Arbeitgeberin hatte im Prozess vorgetragen, dass sie ihre Führungskräfte in den Schulungen darauf hingewiesen habe, Behinderungen bei der Anwendung des Leistungsbeurteilungssystems zu berücksichtigen.
Schwerbehindertenvertretung muss einbezogen werden
Die Schwerbehindertenvertretung hat die Aufgabe zu überwachen, ob der Arbeitgeber bei seiner Leistungsbeurteilung die Belange der schwerbehinderten Arbeitnehmer auch ausreichend berücksichtigt. Dazu muss sie jedoch in die Beurteilung einbezogen und unterrichtet und angehört werden, bevor der Arbeitgeber über eine Leistungsminderung entscheidet.
Nur so kann die Schwerbehindertenvertretung feststellen, ob der Arbeitgeber seinen Verpflichtungen gegenüber schwerbehinderten Mitarbeitern im Betrieb auch nachgekommen ist. Nur dann kann sie sich gegebenenfalls im Vorfeld noch einschalten und z. B. Vorschläge machen, wie der Leistungsabfall aufgefangen und zukünftig vermieden werden kann.
Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung unabhängig von der Beteiligung des Betriebsrats
Die Schwerbehindertenvertretung ist ein eigenständiges Gremium. Ihr stehen daher Rechte neben den Beteiligungsrechten des Betriebsrates zu. Wenn Arbeitgeber und Betriebsrat Vereinbarungen treffen, können diese Ansprüche der Schwerbehindertenvertretung nicht aushebeln.
Die Beteiligungsrechte bleiben auch erhalten, wenn tarifliche Regelungen wie der ERA-TV die Ansprüche nicht eigens erwähnen.
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Das sagen wir dazu:
Beteiligungsrechte der Schwerbehindertenvertretung gestärkt
Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts München ist zu begrüßen. Sie nimmt die selbständigen Beteiligungsrechte der Schwerbehindertenvertretung ernst und verleiht dem üblicherweise stumpfen Schwert der Beteiligung wenigstens etwas Schärfe.
Das Urteil stärkt den wirksamen Einsatz der Schwerbehindertenvertretung für die Belange schwerbehinderter Beschäftigter. Denn nur dann, wenn die Schwerbehindertenvertretung sich bereits effektiv im Vorfeld von Entscheidungen des Arbeitgebers einsetzen kann, kann sie auch Maßnahmen zum Nachteil Schwerbehinderter entgegenwirken.
Es ist daher zum einen richtig, dass die Schwerbehindertenvertretung bereits bei der Leistungsbeurteilung einbezogen wird, bevor daraus Leistungskürzungen entstehen. Zum anderen ist wichtig, dass Schwerbehindertenvertretungen zügig bei Verletzung ihrer Beteiligungsrechte die Aussetzung der Entscheidung beantragen. Denn nur dann besteht die Chance, dass sie noch rechtzeitig nachteilige Entscheidungen des Arbeitgebers verhindern können.
Mitbestimmungsrecht bei Kündigungen schwerbehinderter Menschen
Seit dem 30.12.2016 hat auch der Gesetzgeber die Rolle der Schwerbehindertenvertretung gestärkt und ihr ein Mitbestimmungsrecht im Falle der Kündigung schwerbehinderter Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen zugebilligt.
Seit der Neuregelung (§ 95 Absatz 2 Satz 3 SGB IX; seit dem 1.1.2018: § 178 Absatz 2 Satz 3 SGB IX) ist die Schwerbehindertenvertretung wie der Betriebsrat vor Ausspruch einer Kündigung unverzüglich zu unterrichten und anzuhören. Wird die Schwerbehindertenvertretung nicht oder nicht ordnungsgemäß beteiligt, ist die Kündigung unwirksam.
Beteiligung vor Zustimmungsantrag
Will der Arbeitgeber einen schwerbehinderten Menschen entlassen, muss er zuvor die Zustimmung einer Behörde, nämlich des Integrationsamtes, einholen. Gerichtlich noch nicht geklärt ist, ob die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung bereits vor der Einreichung des Zustimmungsantrags erfolgen muss.
Das ist zu bejahen. Zweck der vorherigen Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung ist es, dass sie noch auf die Entscheidung des Arbeitgebers Einfluss nehmen kann. Ihre Erwägungen sollen in den Entscheidungsprozess noch einfließen und den Arbeitgeber von seinem Entschluss abhalten können.
Das ist aber nicht mehr möglich, wenn der Arbeitgeber seine Kündigungsentscheidung getroffen hat. Dieser Entschluss besteht aber, wenn der Arbeitgeber die Zustimmung zur Kündigung beim Integrationsamt beantragt. Dann hat er die Entscheidung in gleicher Weise endgültig getroffen wie ein Arbeitgeber, der bei nicht behinderten Beschäftigten das Kündigungsschreiben verfasst und abschickt.
Das sagen wir dazu