Im Arbeitsvertrag stand geschrieben:
Soweit von der Firma Sonderleistungen/-vergütungen zusätzlich zu dem Lohn geleistet/gezahlt werden, sind diese in jedem Fall freiwillige Leistungen und begründen auch bei wiederholter Leistung/Zahlung keinen Rechtsanspruch.
Und:
Leistungszulagen
zuzüglich zu dem Stundenlohn nach Ziff. 4.1.1 erhält der Mitarbeiter eine freiwillige Leistungszulage = Sondervergütung in Höhe von € 0,80 pro Stunde.
Darauf folgend errechnete der Arbeitgeber eine Gesamtvergütung unter Einschluss dieser Zulage. Daran wollte er sich später nicht mehr halten und zahlte den Lohn ohne Berücksichtigung der Zulage. Beim Kläger machten das teilweise über 300 € im Monat aus.
Der Mann beschritt den Rechtsweg
Er klagte die Lohnforderung mit Unterstützung des DGB Rechtsschutzbüros Koblenz ein. Das Arbeitsgericht gab seiner Klage statt. Der Arbeitgeber dürfe den Lohn nicht ohne Weiteres kürzen, denn die Zulage sei Bestandteil des Arbeitsentgelts geworden, entschieden die Richter:innen.
Die Beklagte beharrte im Prozess darauf, sie habe die Leistungszulage im Vertrag als „freiwillige“ Leistung bezeichnet. Die könne sie jederzeit einstellen. Es sei individualrechtlich grundsätzlich zulässig, aus Anlass von Lohnerhöhungen den erhöhten Lohn auf freiwillige Zulagen anzurechnen - solange die Parteien nicht vereinbart hätten, dass die Zulage neben dem jeweiligen Lohn als selbstständiger Lohnbestandteil gezahlt werden solle, argumentierte sie. Letzteres sei vorliegend nicht geschehen. Sie, die Beklagte, habe die Zulage nur als freiwillige Leistung gewährt und diese im Vertrag auch nur so bezeichnet.
Das Arbeitsgericht überzeugte das nicht
Es legte den Vertrag aus und kam zu dem Ergebnis, dass die Beklagte mit der Zahlung der Leistungszulage eine Verpflichtung eingegangen sei, die sie nicht einseitig widerrufen konnte.
Die Beklagte verwende vorformulierte Arbeitsverträge . Dabei handele es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB), die einer Inhaltskontrolle unterlägen, denn der Ausschluss eines Rechtsanspruchs bei der Zusage einer monatlich zusammen mit der Grundvergütung zahlbaren Leistungszulage weiche von Rechtsvorschriften im Sinne des AGB-Rechts ab.
Schon 2009 hat das Bundesarbeitsgericht hierzu entschieden. Danach sind Rechtsvorschriften nach dem AGB-Recht nicht nur die Gesetzesbestimmungen selbst, sondern die dem Gerechtigkeitsgebot entsprechenden allgemein anerkannten Rechtsgrundsätze, d.h. auch alle ungeschriebenen Rechtsgrundsätze, die Regeln des Richterrechts oder die auf Grund ergänzender Auslegung und aus der Natur des jeweiligen Schuldverhältnisses zu entnehmenden Rechte und Pflichten.
Das Gericht darf solche Klauseln prüfen
Einseitige Leistungsbestimmungsrechte, die dem Verwender das Recht einräumen, die Hauptleistungspflichten einzuschränken, zu verändern, auszugestalten oder zu modifizieren, unterliegen einer gerichtlichen Inhaltskontrolle nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch. Solche Klauseln weichen von dem allgemeinen Grundsatz ab, dass Verträge und die sich aus ihnen ergebenden Verpflichtungen für jede Seite bindend sind.
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gilt: Das Arbeitsverhältnis begründet als Dauerschuldverhältnis regelmäßige beiderseitige Hauptleistungspflichten. Ein vertraglicher Vorbehalt, der dem Arbeitgeber die allmonatlich zu wiederholende Entscheidung über die Leistung einer Zulage zuweist, weicht hiervon ab. Nach § 611 BGB ist der Arbeitgeber zur Gewährung der vereinbarten Vergütung verpflichtet. Der:die Arbeitnehmer:in kann in dem als Dauerschuldverhältnis ausgestalteten Arbeitsverhältnis grundsätzlich auf die Beständigkeit der monatlich zugesagten Zahlung einer Vergütung, die nicht an besondere Voraussetzungen geknüpft ist, vertrauen. Er erbringt im Hinblick hierauf seine Arbeitsleistung und stellt auch sein Leben darauf ein.
Das Gericht legt seinem Urteil die höchstrichterliche Rechtsprechung zugrunde
Darauf bezieht sich das Arbeitsgericht Koblenz in seinem Urteil und führt weiter aus, behalte sich der Arbeitgeber vor, monatlich neu über die Vergütung zu entscheiden, weiche dies von dem in § 611 BGB gekennzeichneten Wesen eines Arbeitsvertrags ab. Dies gelte nicht nur für die Grundvergütung, sondern auch für zusätzliche regelmäßige Zahlungen, die von den Parteien als Teil der Arbeitsvergütung und damit als unmittelbare Gegenleistung für die vom Arbeitnehmer zu erbringende Arbeitsleistung vereinbart würden.
Im Streitfall des Klägers handele es sich bei der zugesagten Leistungszulage um laufendes Arbeitsentgelt. Der Kläger sollte die Leistungszulagen ohne weitere Voraussetzungen oder Anforderungen für seine Arbeitsleistung pro Stunde jeweils zusätzlich zu dem vereinbarten Stundenlohn erhalten. Ein vertraglich vereinbarter Ausschluss jeden Rechtsanspruchs bei laufendem Arbeitsentgelt benachteilige den:die Arbeitnehmer:in entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen und sei nach AGB-Recht unwirksam.
Die Leistung beider Vertragsparteien sind miteinander verknüpft
Der Ausschluss jeden Rechtsanspruchs bei laufendem Arbeitsentgelt widerspreche dem Zweck des Arbeitsvertrags. Denn dem Arbeitgeber solle ermöglicht werden, von seinen Beschäftigten die vollständige Erbringung der geschuldeten Leistung zu verlangen und seinerseits über die von ihm geschuldete Gegenleistung zu disponieren. Damit verhindere der Ausschluss des Rechtsanspruchs die Verwirklichung des Prinzips der Vertragsbindung. Er löse die Verknüpfung der Leistungen beider Vertragsparteien.
Die Möglichkeit, die zugesagte Zahlung grundlos einzustellen, beeinträchtige die Interessen von Arbeitnehmer:innen grundlegend. Dies gelte auch dann, wenn es sich bei den unter einem Vorbehalt stehenden Leistungen nicht um die eigentliche Grundvergütung, sondern um eine zusätzliche Abgeltung der Arbeitsleistung in Form einer Zulage handele. Auch derartige Zulagen stellten laufendes Arbeitsentgelt dar. Es handele sich hierbei also um Leistungen, die in den gegenseitigen Vertrag eingebunden seien. Der Umfang der unter einem "Freiwilligkeitsvorbehalt" zugesagten Leistungen spiele demgegenüber keine Rolle.
Freiwilligkeitsvorbehalte sind nur bei Sondervergütungen möglich
Ein das Arbeitsentgelt betreffender "Freiwilligkeitsvorbehalt" sei nicht durch objektiv feststellbare Besonderheiten des Arbeitsrechts gerechtfertigt. Das Bundesarbeitsgericht habe in der Vergangenheit die Wirksamkeit sog. "Freiwilligkeitsvorbehalte" nur in Bezug auf Sondervergütungen (wie Weihnachtsgeld und andere Gratifikationen) anerkannt. War das laufende Arbeitsentgelt betroffen, habe es den vertraglichen Ausschluss von Rechtsansprüchen als Widerrufsvorbehalt ausgelegt.
Seit der Schuldrechtsreform 2002 sei jedoch ein Widerrufsvorbehalt, wonach freiwillige Leistungen "jederzeit unbeschränkt" widerrufen werden könnten, unwirksam.
Im Fall des Klägers dürfe der Arbeitgeber im Übrigen Lohnerhöhungen nicht anrechnen; denn es sei kein Entgelt vereinbart, das sich aus einem Tarifentgelt und einer Zulage zusammensetze.