Das beklagte Unternehmen hat die Inflationsausgleichsprämie freiwillig nach einem bestimmten und verallgemeinernden Prinzip ausgezahlt. Sie leistete dabei unterschiedlich hohe Zahlungen an ihre Arbeitnehmer:innen und nahm bestimmte Gruppen von der Zahlung aus.
Die Zahlung hing konkret von den Beschäftigungsjahren, dem Kriterium Vollzeit/Teilzeit sowie der Höhe der Vergütung ab.
Die Gruppenbildung des Arbeitgebers
- Arbeitnehmer, die in Vollzeit tätig waren, mehr als acht Beschäftigungsjahre und ein Bruttomonatsgehalt von mindesten 4.000 € aufweisen, erhielten eine Zahlung in Höhe von 1.000 €.
- Arbeitnehmer, die in Vollzeit tätig waren, mehr als fünf Beschäftigungsjahre und ein Bruttomonatsgehalt zwischen 3.000 € und 4.000 € aufwiesen, erhielten eine Zahlung in Höhe von 500 €.
- Arbeitnehmer, die in Vollzeit tätig waren, zwischen zwei und fünf Beschäftigungsjahre und ein Bruttomonatsgehalt zwischen 2.800 € und 3.000 € aufwiesen, erhielten eine Zahlung in Höhe von 300 €.
- Arbeitnehmer, die in Teilzeit tätig waren, weniger als zwei Beschäftigungsjahre und ein Bruttomonatsgehalt von weniger als 2.700 € aufwiesen, erhielten eine Zahlung in Höhe von 200 €.
Rechtsprechung des BAG zum Gleichbehandlungsgrundsatz
Der Gleichbehandlungsgrundsatz verpflichtet den Arbeitgeber, seine Beschäftigten oder Gruppen von Arbeitnehmer:innen, die sich in vergleichbarer Lage befinden, bei Anwendung einer selbst gegebenen Regelung gleich zu behandeln. Damit verbietet er nicht nur die willkürliche Schlechterstellung Einzelner innerhalb der Gruppe, sondern auch eine sachfremde Gruppenbildung.
Der Gleichbehandlungsgrundsatz findet im Bereich der Vergütung - unter Beachtung des Grundsatzes der Vertragsfreiheit - Anwendung, wenn Arbeitsentgelte durch eine betriebliche Einheitsregelung generell angehoben werden und der Arbeitgeber die Leistungen nach einem bestimmten erkennbaren und generalisierenden Prinzip gewährt, indem er bestimmte Voraussetzungen oder einen bestimmten Zweck festlegt.
Dem Arbeitgeber ist es verwehrt, einzelne Arbeitnehmer:innen oder Gruppen aus unsachlichen oder sachfremden Gründen von einer Erhöhung der Arbeitsentgelte auszuschließen. Nach dem mit der Gehaltserhöhung verfolgten Zweck ist zu beurteilen, ob der ausgeschlossene Personenkreis zu Recht ausgenommen wird. Bei einer Gruppenbildung hat der Arbeitgeber die Gründe für die Differenzierung offen zu legen und zwar so, dass beurteilt werden kann, ob die Gruppenbildung sachlichen Kriterien entspricht. Sind die Unterscheidungsmerkmale nicht ohne weiteres erkennbar, legt der Arbeitgeber seine Differenzierungsgesichtspunkte nicht dar oder ist die unterschiedliche Behandlung nach dem Zweck der Leistung nicht gerechtfertigt, hat die benachteiligte Arbeitnehmergruppe ein Anspruch darauf, so behandelt zu werden wie die begünstigten Arbeitnehmergruppe und die vorenthaltene Leistung zu erhalten.
Die Ungleichbehandlung ist sachlich nicht gerechtfertigt
Ein Ausgleich der inflationsbedingten Teuerungsrate muss nach dem Arbeitsgericht Hagen zwar nicht allen Arbeitnehmer:innen gleichmäßig gewährt werden, sofern sachliche Gründe für eine Differenzierung bestehen. Der Arbeitgeber müsse jedoch nach sachlichen Gründen differenzieren, welcher Gruppe er einen Inflationsausgleich in welcher Höhe zukommen lassen will und welcher nicht.
Da eine Gruppenbildung nur dann sachlich gerechtfertigt ist, wenn die Unterscheidung einem legitimen Zweck dient und zur Erreichung dieses Zwecks erforderlich und angemessen ist, schauten sich die Richter:innen die unterschiedliche Leistungsgewährung genau an. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass sie im Sinne materieller Gerechtigkeit nicht sachgerecht ist. Den Zweck, den die Beklagte mit den Auszahlungen der unterschiedlich hohen Beträge verfolge, erschließe sich nicht hinreichend. Ihre genaue Zwecksetzung habe die Beklagte nicht klar offengelegt. Denn für die Zahlungen in verschiedener Höhe gäbe es unterschiedliche, zum Teil widersprüchliche Zwecke.
Bevorzugung von lang beschäftigten Vollzeitkräften
Das Unternehmen hat dem Grunde nach jene in Vollzeit tätige Arbeitnehmer bevorzugt behandelt, die eine lange Beschäftigungszeit aufweisen und ein hohes Gehalt erzielen. Dies allein begründet nach dem Arbeitsgericht noch nicht, dass das angewandten Verteilungsprinzips unsachlich wäre.
Zwar verfolge der Gesetzgeber mit der Möglichkeit, eine Inflationsausgleichsprämie zu zahlen, einen im öffentlichen Interesse liegenden steuergesetzlichen Sozialzweck. Jedoch habe diese gesetzgeberische Intention nicht zur Folge, dass der Arbeitgeber neben dieser Zwecksetzung nicht auch weitere Zwecke verfolgen dürfe, solange seine Zwecke die soziale Zwecksetzung des Gesetzgebers nicht konterkarieren. Aus der Finanzierungsverantwortung des Arbeitgebers erwachse vielmehr ein entgeltrechtlicher Gestaltungsspielraum, den sich der Arbeitgeber für die Setzung weiterer Zwecke zunutze machen könne. So widerspreche die Honorierung von Betriebstreue, die die Beklagte wohl unter anderem bezwecke, nicht bereits dem steuergesetzlichen Sozialzweck, die gestiegenen Verbraucherpreise abzumildern.
Bevorzugung von Besserverdienern
Fraglich sei jedoch, so das Arbeitsgericht weiter, ob die Beklagte die Höhe der Zahlungen neben den Beschäftigungsjahren auch an die Höhe der Gehälter koppeln durfte.
Schließlich seien es im Regelfall Geringverdiener, die besonders stark von dem Kaufkraftverlust betroffen sind. Man könne somit zu dem Ergebnis gelangen, die Bevorzugung von Besserverdienern laufe dem Sozialzweck der Inflationsausgleichsprämie zuwider und sei somit unzulässig.
Diese Überlegungen führte das Gericht letztlich in seinem Urteil nicht zu Ende, da es das Verteilungsprinzip der Beklagten schon an anderer Stelle scheitern ließ.
„Selbst wenn man annähme, der Zweck der Beklagten, Besserverdiener gegenüber Geringverdienern besonders zu würdigen, sei von dem entgeltrechtlichen Gestaltungsspielraum der Beklagten gedeckt und laufe der sozialen Zwecksetzung nicht zuwider, so ergibt sich die Unsachlichkeit des Verteilungsprinzips der Beklagten aus der unterschiedlichen Behandlung von Vollzeit-Arbeitnehmern und in Teilzeit tätigen Arbeitnehmern.“
Unterschiedliche Behandlung von Vollzeit- und Teilzeitkräften
Wir schauen uns noch einmal das Prinzip an, nachdem das Unternehmen die Prämie verteilt hat:
Die Vollzeit-Arbeitnehmer erhalten umso höhere Zahlungen, je mehr sie verdienen. Teilzeit-Arbeitnehmer hingegen erhalten nur dann eine Zahlung, wenn sie weniger als 2. 700 € brutto monatlich verdienen.
Vollzeit-Arbeitnehmer mit einer Beschäftigungsdauer von unter zwei Jahren erhalten keine Zahlung während bei der Gruppe der Teilzeit-Arbeitnehmer nur solche Arbeitnehmer eine Zahlung erhalten, die weniger als zwei Jahre beschäftigt sind.
Welchem Zweck die unterschiedliche Behandlung beim Thema Gehalt dienen soll, erschließt sich den Hagener Arbeitsrichtern nicht. Auch für den Widerspruch beim Kriterium der Beschäftigungsdauer ließe sich im Vortrag der Beklagten keine Begründung finden. Warum sich bei Vollzeit-Arbeitnehmern eine längere Beschäftigungsdauer positiv auswirke, während sich bei Teilzeit-Mitarbeitern eine längere Beschäftigungsdauer negativ auswirke, erschließe sich nicht.
Manche Gruppen von Arbeitnehmer:innen gehen leer aus
Ebenso sei es nicht nachvollziehbar, warum bestimmte Arbeitnehmergruppen von dem Verteilungsprinzip der Beklagten nicht erfasst werden. Die Beklagte gab an, dass die Kriterien, der jeweiligen Gruppe stets kumulativ vorliegen müssen, damit es zu einer entsprechenden Auszahlung komme. Das führe jedoch dazu, dass ein Beschäftigter in Vollzeit, der mehr als fünf Beschäftigungsjahre aufweist, aber weniger als 3.000 € verdient, von dem Verteilungssystem der Beklagten nicht umfasst werde. Zudem sei für in Vollzeit tätige Arbeitnehmer keine Zahlung vorgesehen, die zwischen zwei und fünf Jahre bei der Beklagten beschäftigt sind und mehr als 3.000, € brutto monatlich verdienen. Auch in Vollzeit tätige Arbeitnehmer die mehr als fünf Jahre aber weniger als acht Jahre beschäftigt sind und mehr als 4.000 € verdienen, sei keine Zahlung vorgesehen. Auch für diese Differenzierungen sei kein sachlicher Grund erkennbar.
Der Arbeitgeber verhält sich widersprüchlich
Zum einen lege er für die Höhe der Zahlungen die Kriterien Beschäftigungsdauer und Vergütungshöhe zugrunde. Zum anderen schließe er bestimmte Arbeitnehmer von der Zahlung vollständig aus, die nach ihrer Beschäftigungsdauer zwar einer Gruppe angehören, aber mehr verdienen als die Arbeitnehmer dieser Gruppe. Wenn nach dem grundsätzlichen Verteilungssystem Besserverdienern eine höhere Zahlung zukommen soll, sei es nicht nachvollziehbar, wieso Arbeitnehmer mit einer höheren Vergütung weniger erhalten (nämlich nichts) als Arbeitnehmer mit derselben Beschäftigungsdauer und einer geringeren Vergütung.
Gleichbehandlungsgrundsatz ist verletzt
Da die Differenzierungsgesichtspunkte nicht hinreichend darlegt wurden und die unterschiedliche Behandlung der Arbeitnehmergruppen in sich widersprüchlich ist, folgert das Arbeitsgericht eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes.
Daraus resultiere ein Anspruch der benachteiligten Arbeitnehmergruppe, nach Maßgabe der begünstigten Arbeitnehmergruppe behandelt zu werden.
Das sagen wir dazu:
In einem weiteren Rechtsstreit gegen das Unternehmen ging das Urteil der Hagener Arbeitsrichter mit dem gleichen Ergebnis aus. Die Klägerin hatte nur 200 € als Inflationsausgleichsprämie erhalten und bekam weitere 800 € vom Gericht zugesprochen. Da hier der Streitwert für eine Berufung erreicht ist, könnte das Beklagte Unternehmen in die zweite Instanz gehen.
Martin Kühtz aus dem Hagener Büro des DGB Rechtsschutz hat ein kurzes und klares Statement zu seinen beiden Verfahren:
„Eine Leistungsprämie als Inflationsausgleichsprämie zu verkleiden, ist keine gute Idee.“
Das sagen wir dazu