DGB Rechtsschutz in Magdeburg klagte für eine Fleischerei-Fachverkäuferin erfolgreich auf Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns.
DGB Rechtsschutz in Magdeburg klagte für eine Fleischerei-Fachverkäuferin erfolgreich auf Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns.

Das beklagte Fleischunternehmen in Stendal beschäftigt ca. 550 Arbeitnehmer. Davon werden ca. 150 im Schlachtbetrieb eingesetzt und ca. 400 Arbeitnehmer in den 60 eigenen Verkaufsfilialen im Großraum Berlin, Brandenburg und Sachsen-Anhalt. Die Klägerin war im Verkauf tätig. Neben der eigentlichen Verkaufstätigkeit: Kunden bedienen, informieren, kassieren, musste sie auch Fleisch portionieren, also Schnitzel, Koteletts, Rouladen und Gulasch schneiden, Fleisch zubereiten, also Geschnetzeltes und Hackfleisch anfertigen, Braten wickeln, Grillspezialitäten herstellen, Schnitzel panieren und braten. Nach Auffassung des Stendaler Unternehmens soll es sich hierbei um Fleisch verarbeitende Tätigkeiten handeln, die nichts mehr mit dem Verkauf der Waren zu tun haben.

Tarifvertrag für Arbeitnehmer*innen in der Fleischwirtschaft 

Aus diesem Grund stellte sich das beklagte Fleischunternehmen auf den Standpunkt, für seinen Betrieb gelte der Tarifvertrag zur Regelung der Mindestbedingungen für Arbeitnehmer in der Fleischwirtschaft der Bundesrepublik Deutschland (TV Mindestbedingungen). Nach diesem Tarifvertrag dürfen Unternehmen der Fleischwirtschaft noch bis September 2015 statt des gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 EUR einen Stundenlohn von 8 EUR zahlen. Unter die tariflichen Bestimmungen fallen z. B. Schlachthöfe und Produktionsunternehmen, in denen Fleisch verarbeitet wird. Das Mindestlohngesetz (§ 24 Abs.1 S.1 Mindestlohngesetz - MiLoG) erlaubt übergangsweise Ausnahmen vom Mindestlohn, wenn dies in bestimmten repräsentativen Tarifverträge vorgesehen ist. Der TV Mindestbedingungen für Fleischunternehmen ist ein solcher Tarifvertrag.

Tarifliche Ausnahmen gelten nur für Betriebe der Fleischwirtschaft

Auf die tarifliche Ausnahmeregelung kann sich nur ein Arbeitgeber berufen, für dessen Betrieb der Tarifvertrag gilt. Das sind im Bereich der Fleischwirtschaft Betriebe oder Betriebsabteilungen, in denen Schweine und Rinder oder Geflügel geschlachtet bzw. zerlegt werden oder in denen überwiegend Fleisch und Fleischwaren verarbeitet, portioniert und verpackt werden. Bei der Frage, wann diese Tätigkeiten überwiegend ausgeübt werden, wird auf die Gesamtarbeitszeit aller Arbeitnehmer abgestellt. Die im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer müssen also mehrheitlich ihre Arbeitszeit pro Kalenderjahr mit den tariflichen Tätigkeiten verbringen. Es kommt also nicht auf die Zahl der Arbeitnehmer und auch nicht darauf an, in welchem Bereich das Unternehmen den meisten Umsatz oder Gewinn erwirtschaftet; entscheidend ist die Arbeitszeit aller im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer. Verbringen also die Beschäftigten die meiste Arbeitszeit im Verkauf und nicht z. B. im Schlachthof oder Produktionsbetrieb, ist der TV nicht anwendbar.

Verarbeiten und Portionieren von Fleisch im Laden gehört zum Verkauf

Das Fleischunternehmen in Stendal meinte, auch seine Verkäufer*innen im Laden wären an der Herstellung und Verarbeitung des Fleisches beteiligt wie dies die tarifliche Vorschrift voraussetzt. Aus diesem Grund ging es davon aus, dass seine Arbeitnehmer*innen unter Einbeziehung der Verkaufskräfte ihre überwiegende Arbeitszeit mit der Verarbeitung von Fleisch und Fleischwaren zubringen würden. Dem folgte das Arbeitsgericht Magdeburg nicht. Wenn Verkäufer*innen im Laden für ihre Kunden Fleisch zuschneiden und Fleischzubereitungen anfertigen, dient dies der Herstellung verkaufsfähiger Portionen, die der Kunde an der Fleischtheke mitnehmen kann. Die Tätigkeit hängt also eng mit dem Verkauf zusammen und ist nicht etwa „verkaufsfremd“. Es handelt sich bei diesen Tätigkeiten im Laden also nicht um eine Weiterverarbeitung der Fleischwaren. Damit ist das Unternehmen nicht überwiegend im Bereich der Fleischherstellung tätig. Es kann sich nicht auf die tarifliche Ausnahmevorschrift berufen und muss seinen Beschäftigten mindestens 8,50 EUR/Stunde zahlen.

Anmerkung: 

Es ist schon abenteuerlich, auf welche Ideen Unternehmen kommen, um nur nicht den gesetzlichen Mindestlohn an ihre Beschäftigten zahlen zu müssen. Da mutet es schon skandalös an, dass die ausgebildete Fleischerei-Fachverkäuferin nicht mehr als den gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 EUR erstreiten kann. Aber auch dieser Betrag ist dem Unternehmen noch zu viel; nur 8 EUR ist ihm die ausgebildete Fachkraft wert. Und nicht genug: es wird sogar noch um 0,50 EUR/Stunde ein aufwändiger Prozess geführt, obwohl die Arbeitgeberin bei verlorenem Prozess für die vergangenen 9 Monate nur Nachzahlungsbeträge in Höhe von insgesamt 585 EUR brutto leisten muss.

Sicher: dieser Betrag ist möglicherweise nicht nur der Klägerin sondern auch anderen Verkäufer*innen nachzuzahlen, so dass insgesamt eine höhere Summe anfällt. Nur dieses Risiko hat das Unternehmen bewusst in Kauf genommen, als es ab Januar 2015 sich nicht an das MiLoG gehalten und keinen Mindestlohn gezahlt hat. Und ernsthaft kann das Unternehmen selbst nicht daran geglaubt haben, dass Verkäufer*innen, die für ihre Kunden Fleisch zuschneiden und Fleischwaren im Laden herstellen, Tätigkeiten in der Fleischverarbeitung wie in einem Produktionsbetrieb ausüben. Die Herstellung und Zubereitung verkaufsfähiger Portionen an den Kunden, die über die Fleischtheke gereicht werden, ist selbstverständlich Teil des Verkaufs. Was denn sonst?

Das vollständige Urteil des Arbeitsgerichts Magdeburg kann hier nachgelesen werden.


Hier ein weiterer Fall, wo der Mindestlohn erfolgreich durchgesetzt werden konnte:

„Akkordzuschlag nicht auf den Mindestlohn anrechenbar“

Weiteres zum Thema Mindestlohn finden Sie in unserem Sonderthema „Happy Birthday Mindestlohn“