Das Bundesarbeitsgericht hat geurteilt, dass eine Vereinbarung von Vertrauensarbeitszeit der Führung eines Arbeitszeitkontos nicht entgegensteht. Dementsprechend schließt diese auch die Abgeltung eines Überstundenkontos nicht aus.
Überstunden zunächst auf Arbeitszeitkonto geführt
Die Klägerin wurde von der Beklagten, zum 1. Juni 2007 als Bürofachkraft eingestellt. Ihre Hauptaufgaben verrichtete sie im Vorzimmer der Geschäftsführung. Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund einer von der Klägerin ausgesprochenen Kündigung am 31. März 2012.
Mit der Klage machte sie nun Vergütungsansprüche für geleistete Überstunden geltend. Im Arbeitsvertrag war eine monatliche Arbeitszeit von zuletzt 173 Stunden festgelegt. Dabei sollten die Mehr bzw. Minderstunden über ein Zeitkonto abgerechnet und bei Austritt aus dem Unternehmen verrechnet werden.
Für den Zeitraum 1. Juni 2007 bis 25. November 2008 händigte die Beklagte der Klägerin eine Zeitaufstellung aus, aus der sich eine Plus-Differenz von 414 Stunden ergab. In der Folgezeit erfasste die Beklagte die Arbeitszeit der Klägerin nicht mehr und händigte ihr auch keine weiteren Berichte aus.
Dann dokumentiert Klägerin Überstunden selbst
Ab dem 26. November 2008 führte die Klägerin eine eigene Arbeitszeitaufstellung. Aus dieser Aufstellung ergaben sich für den Zeitraum 26. November 2008 bis 30. Dezember 2011 eine Plus-Differenz von 643 Stunden.
Mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses forderte die Klägerin die Abgeltung der gesamten Überstunden. Die Beklagte teilte ihr daraufhin mit, das Arbeitszeitkonto stehe auf null, dementsprechend bestehe kein Anspruch auf Auszahlung.
Ein Arbeitszeitkonto sei zudem nicht mehr zu führen gewesen, weil die Parteien bereits kurz nach Beginn des Arbeitsverhältnisses Vertrauensarbeitszeit vereinbart hätten. Überstunden seien von ihr nicht angeordnet, gebilligt oder geduldet worden. Sie seien auch nicht zur Erledigung der Arbeit notwendig gewesen.
Das Bundesarbeitsgericht hat der Klägerin die vom Arbeitgeber dokumentierten Überstunden zugesprochen und die Klage im Übrigen abgewiesen.
Arbeitszeitkonto stellt Überstunden streitlos
Das Bundesarbeitsgericht ging davon aus, dass die im Arbeitszeitkonto erfassten Stunden unstreitig vorliegen, da die Beklagte diese nicht wirksam habe entkräften können.
Ein Arbeitszeitkonto hält fest, in welchem Umfang der Arbeitnehmer seine Arbeitspflicht erbracht hat oder aufgrund eines Entgeltfortzahlungstatbestands nicht erbringen musste und deshalb Vergütung beanspruchen kann, bzw. in welchem Umfang er noch Arbeitsleistung für die vereinbarte Vergütung erbringen muss.
Das Zeitguthaben ist nur eine andere Form, den Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers auszudrücken. Daher genügt es, dass der Kläger die Vereinbarung eines Arbeitszeitkontos und das Bestehen eines Guthabens zum vereinbarten Auszahlungszeitpunkt darlegt. Dies sei hier der Fall gewesen.
Die Beklagte habe demgegenüber keine Tatsachen dargelegt, die geeignet wären, den sich aus dem Arbeitszeitkonto ergebenden Saldo zu entkräften.
Weitere Überstunden nicht schlüssig dargelegt
Das über die 414 Stunden hinausgehende Zeitguthaben sah das BAG hingegen nicht als schlüssig dargelegt an. Denn hierfür ist die Klägerin voll beweispflichtig.
Im Falle von selbst geführten Arbeitszeitkonten seien zunächst vom Arbeitnehmer die den behaupteten Saldo begründenden Tatsachen im Einzelnen darzulegen. Erst wenn dies geschehen ist, habe sich der Arbeitgeber hierzu zu erklären. Dies gelte grundsätzlich auch dann, wenn der Arbeitgeber die Führung eines Arbeitszeitkontos vertragswidrig unterlassen habe.
Wie im Überstundenprozess habe der Kläger darzulegen, dass er Arbeit in einem die Normalarbeitszeit übersteigenden zeitlichen Umfang verrichtet hat und geleistete Überstunden vom Arbeitgeber veranlasst wurden oder diesem zumindest zuzurechnen sind. Der Arbeitgeber müsse sich Leistung und Vergütung von Überstunden nicht aufdrängen lassen, und der Arbeitnehmer könne nicht durch überobligatorische Mehrarbeit seinen Vergütungsanspruch selbst bestimmen.
Diesen Nachweis konnte die Klägerin nicht führen. Das BAG hat noch einmal festgestellt, dass es nicht ausreiche, wenn die Überstunden allein aufgrund des Umfangs der Aufgaben und auch deshalb angefallen seien, weil auf Weisung des Geschäftsführers sämtliche Geschäftsanfälle sofort zu bearbeiten gewesen seien. Dass die Beklagte die weitere Führung des Arbeitszeitkontos vertragswidrig unterlassen habe, rechtfertige keine abweichende Verteilung der Darlegungslast.
Anmerkung:
Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts bringt Licht und Schatten. Einerseits hat es erfreulicherweise festgestellt, dass auch Vertrauensarbeitszeit kein Freibrief zur Umgehung gesetzlicher und vertraglicher Regelungen ist, andererseits hat es seine harte Linie bei der Darlegung von Überstunden fortgesetzt.
Vertrauensarbeitszeit bedeutet letztlich nur, dass der Arbeitnehmer selbst entscheidet, wann er die geschuldete Leistung erbringt. Sowohl die Regelungen des Arbeitszeitrechts, als auch die vertraglich vereinbarte Stundenzahl sind zu beachten.
Gleichzeitig bleibt es bei der hohen Hürde, dass Arbeitnehmer für die Überstunden voll beweispflichtig sind. Das Bundesarbeitsgericht hat im vorliegenden Urteil noch einmal klar gestellt, dass allein die Anwesenheit der Klägerin im Betrieb begründet keine Vermutung dafür, Überstunden seien zur Erbringung der geschuldeten Arbeit notwendig gewesen.
Fragwürdig erscheint zudem, dass das BAG es für scheinbar völlig unerheblich gehalten hat, dass der Arbeitgeber vertragswidrig kein Stundenkonto mehr geführt hat. Selbst in diesem Fall will das BAG den Aufzeichnungen des Arbeitnehmers keinen erhöhten Beweiswert zuerkennen. Dass also Arbeitgeber letztlich für eine Vertragsverletzung noch belohnt werden, ist schwer nachzuvollziehen.
Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 23.9.2015, 5 AZR 767/13, hier im Volltext
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