In dem Verfahren ging es um einen Busfahrer, der im Linienverkehr eingesetzt wurde. Für die Tätigkeit in „Vollzeit“ war eine Vergütung von 1.800 € brutto vereinbart.
„Vollzeit“ = 40 Stunden / Woche
Das Gericht hatte zunächst die Frage zu beantworten, was die vertragliche Regelung „Vollzeit“ eigentlich bedeuten sollte. Eine konkrete Anzahl der wöchentlichen Stunden war nicht vereinbart. Der Arbeitgeber hat ernsthaft argumentiert, es hätten gar keine Überstunden anfallen können, weil keine Höchstarbeitszeit vereinbart worden sei.
Das Bundesarbeitsgericht hat demgegenüber aber festgestellt, dass in der Regel mit „Vollzeit“ eine Arbeitszeit von 40 Wochenstunden gemeint ist und dass eine/e Arbeitnehmer*in dies auch so verstehen darf.
Damit war für den Busfahrer die Arbeitszeit, die über 40 Wochenstunden hinaus ging Überstunden, die separat zu vergüten sind.
Erleichterung für Arbeitnehmer
Die eigentliche Schwierigkeit in einem Gerichtsverfahren wegen Überstunden tauchte aber erst jetzt auf: Der Umfang der gearbeiteten Stunden muss nachgewiesen werden. Bislang betraf das nach der Rechtsprechung jede einzelne Stunde. In diesem Fall hat das BAG jetzt entschieden, dass auch eine Schätzung der geleisteten Überstunden in Betracht kommt, wenn
- für das Gericht feststeht, dass Überstunden angefallen sein müssen,
- aber nicht jede einzelne Überstunde belegt werden kann.
In diesem Fall muss das Gericht nach eigenem Ermessen das Mindestmaß geleisteter Überstunden schätzen.
Bisher war es für Arbeitgeber oftmals ausreichend, sich im Prozess vor den Arbeitsgerichten zurückzulehnen und die geltend gemachten Überstunden einfach zu bestreiten. Das dürfte spätestens nach dieser Entscheidung des BAG künftig nicht mehr ausreichen.
Wenn ein Arbeitgeber lediglich pauschal behauptet, die Überstunden seien nicht erarbeitet worden, müsste das Gericht den Mindestumfang der Mehrarbeit schätzen. Wenn Überstunden bestritten werden, muss das durch den Arbeitgeber auch konkret untermauert werden, indem zu den geltend gemachten Arbeitszeiten im Einzelnen Stellung genommen wird.
Anmerkung der Redaktion:
In den letzten Jahren versucht das BAG offensichtlich, die Beweislast im Prozess wegen Überstunden realistischer und angemessener aufzuteilen. Bereits 2012 hatte das Gericht entschieden, was für eine schlüssige Überstundenklage zunächst ausreicht: Der/die Kläger*in muss darlegen, an welchen Tagen sie/er in welchem Stundenumfang seine Arbeitsleistung erbracht hat. Pausen müssen von der Arbeitszeit nicht abgezogen werden, wenn sie tatsächlich nicht als Pausen genommen werden konnten. Darauf muss der Arbeitgeber sich dann im Einzelnen einlassen und sich dazu äußern, welche von den Stunden nicht oder ohne seine Duldung gearbeitet worden seien.
Das jetzt vorliegende Urteil geht noch einen Schritt weiter, indem unter bestimmten Voraussetzungen auch die Schätzung der angefallenen Mehrarbeitsstunden ausreichen kann.
Trotzdem ist auch weiterhin dringend zu empfehlen, sich anfallende Mehrarbeitszeiten vom Arbeitgeber ausdrücklich bestätigen zu lassen – vor der Arbeit und möglichst schriftlich. Wenn das nicht möglich ist oder der Arbeitgeber sich weigert, sollten die Zeiten und die entsprechenden Aufgaben so genau wie möglich notiert werden. Je konkreter man im Nachhinein vortragen kann, umso schwerer wird es dem Arbeitgeber fallen, dies auch konkret zu bestreiten.
Das vollständige Urteil des Bundesarbeitsgericht vom 25.03.2015, AZ. 5 AZR 602/13 können Sie hier nachlesen.
Mehr zum Thema Überstunden:
Unbezahlte Überstunden – ein dauerhafter Skandal!
Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern: Wer Überstunden duldet, muss sie auch bezahlen
Im Praxistipp: § 287 Zivilprozessordnung - ZPO - Schadensermittlung; Höhe der Forderung
Rechtliche Grundlagen
§ 287 Zivilprozessordnung - ZPO - Schadensermittlung; Höhe der Forderung
Schadensermittlung; Höhe der Forderung
(1) Ist unter den Parteien streitig, ob ein Schaden entstanden sei und wie hoch sich der Schaden oder ein zu ersetzendes Interesse belaufe, so entscheidet hierüber das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung. Ob und inwieweit eine beantragte Beweisaufnahme oder von Amts wegen die Begutachtung durch Sachverständige anzuordnen sei, bleibt dem Ermessen des Gerichts überlassen. Das Gericht kann den Beweisführer über den Schaden oder das Interesse vernehmen; die Vorschriften des § 452 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 bis 4 gelten entsprechend.
(2) Die Vorschriften des Absatzes 1 Satz 1, 2 sind bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten auch in anderen Fällen entsprechend anzuwenden, soweit unter den Parteien die Höhe einer Forderung streitig ist und die vollständige Aufklärung aller hierfür maßgebenden Umstände mit Schwierigkeiten verbunden ist, die zu der Bedeutung des streitigen Teiles der Forderung in keinem Verhältnis stehen.
http://www.gesetze-im-internet.de/zpo/__287.html