Das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern hatte über folgenden Fall zu entscheiden: Die Arbeitnehmerin (Klägerin) war seit 1994 erst als Auszubildende, dann als technische Zeichnerin bei ihrem Arbeitgeber (Beklagten) beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete am 15. September 2015. Von Mitte Mai 2013 bis Ende Juni 2014 war sie erst im Mutterschutz und anschließend in Elternzeit. Sie verlangt insgesamt die Bezahlung für 30 bislang nicht genommene Urlaubstage aus den Jahren 2013 bis 2015.
Streitpunkte zwischen Arbeitnehmerin und Arbeitgeber waren im Wesentlichen zwei Fragen:
- Konnte der Arbeitgeber den Urlaubsanspruch wegen der Elternzeit kürzen?
- Konnte der Arbeitgeber den Urlaubsanspruch kürzen, weil der neue Arbeitgeber der Arbeitnehmerin bereits Urlaub für das Jahr 2015 gewährt hatte?
Kürzung der Urlaubstage während der Elternzeit
Das Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) sieht für den Arbeitgeber die Möglichkeit vor, den Erholungsurlaub um 1/12 pro vollen Kalendermonat der Elternzeit zu kürzen.
Wenn der Arbeitgeber davon Gebrauch macht, können Beschäftigte keine Urlaubsansprüche für die Dauer der Elternzeit erwerben. Sie können also auch nicht verlangen, dass diese Urlaubstage nach der Elternzeit gewährt oder bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses vergütet werden.
Arbeitgeber muss von der Kürzungsmöglichkeit Gebrauch machen
Das Gesetz enthält keine automatische Kürzungsregelung für die Elternzeit. Der Arbeitgeber muss vielmehr den betroffenen Beschäftigten gegenüber erklären, dass er Urlaubsansprüche für die Dauer der Elternzeit kürzen will.
Die Erklärung muss eindeutig sein, Urlaubsanträge und entsprechende Genehmigungen, aus denen sich die Anzahl der Urlaubstage ergibt, reichen als Mitteilung über die Kürzung weiterer Urlaubstage nicht aus, wie das Gericht ausdrücklich entschieden hat.
Fehlt eine derartige Erklärung, erwerben Beschäftigte auch während der Elternzeit Urlaubsansprüche. Diese Erklärung kann der Arbeitgeber nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr abgeben (Bundesarbeitsgericht 19.5.2015, 9 AZR 725/13).
Urlaubsansprüche können abgegolten werden
Solange das Arbeitsverhältnis besteht, können Arbeitnehmer*innen nicht verlangen, dass Urlaubstage ausbezahlt werden. Das ändert sich aber, wenn das Arbeitsverhältnis beendet wird. Dann besteht Anspruch auf Urlaubsabgeltung, also ein Vergütungsanspruch für nicht gewährte Urlaubstage.
Urlaubsabgeltung auch für Urlaubsansprüche in der Elternzeit
Auch für vor Beginn oder während der Elternzeit erworbene Urlaubsansprüche können Arbeitnehmer*innen Urlaubsabgeltung verlangen.
Der Arbeitgeber im Fall des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern war der Ansicht, eine im BEEG enthaltene Spezialregelung schließe eine Urlaubsabgeltung aus. Er meinte, die gesetzliche Regelung beschränke den Anspruch auf Urlaubsabgeltung auf Fälle, in denen entweder das Arbeitsverhältnis noch während der Elternzeit endet oder im Anschluss an die Elternzeit nicht fortgesetzt wird.
Beides lag im Fall der Klägerin nicht vor, da sie das Arbeitsverhältnis nach der Elternzeit fortgesetzt hatte. Der Rechtsauffassung des Arbeitgebers folgte das Landesarbeitsgericht nicht.
Spezialregelung soll nur Verfall der Urlaubsansprüche verhindern
In der Regel verfallen Urlaubsansprüche des laufenden Kalenderjahres, wenn sie nicht ins nächste Kalenderjahr übertragen und dann bis zum 31. März genommen werden.
Urlaubsansprüche, die vor oder während der Elternzeit erworben worden sind, können Arbeitnehmer*innen häufig nicht im Kalenderjahr oder bis 31. März des Folgejahres in Anspruch nehmen. Denn oft beginnt während dieser Zeiten bereits der Mutterschutz oder die Elternzeit.
Deshalb können diese Ansprüche auch nach der Elternzeit im laufenden oder nächsten Kalenderjahr genommen werden. Endet das Arbeitsverhältnis während der Elternzeit oder wird es im Anschluss nicht mehr fortgesetzt, bleiben die Ansprüche ebenfalls erhalten.
Sie sind dann finanziell abzugelten. Darauf bezieht sich nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts die Sonderregelung. Mit ihr soll also erreicht werden, dass Beschäftigte wegen der Elternzeit ihre Ansprüche nicht verlieren.
Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nach Elternzeit - Urlaubsabgeltung begründet
Wird das Arbeitsverhältnis nach der Elternzeit fortgesetzt, ist die Spezialregelung zur Urlaubsabgeltung nach Elternzeit nicht mehr notwendig. Denn noch bestehende restliche Urlaubsansprüche, die Beschäftigte vor und während der Elternzeit erworben haben, muss der Arbeitgeber mit Aufnahme der Beschäftigung im laufenden oder im nächsten Kalenderjahr erfüllen.
Ist das wegen einer späteren Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr möglich, sind auch die restlichen, noch bestehenden Urlaubsansprüche aus der Elternzeit finanziell abzugelten. Es gelten dann keine Besonderheiten mehr.
Lösung im Fall des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern
Die Klägerin hat Urlaubsansprüche auch für die Dauer der Elternzeit erworben. Im fortgesetzten Arbeitsverhältnis hatte sie die Urlaubstage nicht vollständig genommen. Für ihre noch bestehenden, teilweise in die Folgejahre übertragenen restlichen Urlaubsansprüche konnte sie daher Urlaubsabgeltung verlangen.
Voller Urlaubsanspruch auch für das Jahr 2015
Endet das Arbeitsverhältnis in der zweiten Kalenderhälfte, also nach dem 30. Juni, haben Arbeitnehmer*innen Anspruch auf den gesamten Jahresurlaub. Das gilt in jedem Fall für den gesetzlichen Mindesturlaub von 20 Arbeitstagen (bei einer 5-Tage-Woche). Das gilt aber auch für den darüberhinausgehenden Urlaubsanspruch, der sich aus dem Tarifvertrag oder dem Arbeitsvertrag ergeben kann, wenn dort nicht eine nur anteilige Gewährung geregelt ist.
Der Klägerin standen pro Kalenderjahr 24 Urlaubstage zu. Da sie im September 2015 ausgeschieden war, bestand auch für das Jahr 2015 ein Urlaubsabgeltungsanspruch für 24 Tage, obwohl das Arbeitsverhältnis nicht im gesamten Jahr 2015 bestanden hatte. Sie musste sich lediglich schon genommene Urlaubstage abziehen lassen.
Gewährte Urlaubstage des neuen Arbeitgebers sind nicht zu berücksichtigen
Das Bundesurlaubsgesetz sieht vor, dass der neue Arbeitgeber beim Urlaubsanspruch seiner neu eingestellten Beschäftigten berücksichtigen darf, ob der alte Arbeitgeber den vollen Jahresurlaub oder einen Teil davon bereits gewährt hat. Er darf dann die Erteilung des Urlaubsanspruchs verweigern.
Eine vergleichbare Regelung für den umgekehrten Fall besteht aber nicht. Daraus schließt die Rechtsprechung, dass der alte Arbeitgeber nicht berücksichtigen darf, ob seine früheren Beschäftigten Urlaubstage von ihrem neuen Arbeitgeber erhalten (Bundesarbeitsgericht 28.2.1991, 8 AZR 196/90).
Der alte Arbeitgeber kann deshalb auch nicht verlangen, dass seine ehemaligen Beschäftigten Auskunft darüber geben, ob und wie viele Urlaubstage sie beim neuen Arbeitgeber bekommen haben.
Auch der Beklagte im Fall des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern konnte von der Klägerin nicht die Mitteilung verlangen, ob sie von ihrem neuen Arbeitgeber für das Jahr 2015 Urlaubstage erhalten hat. Denn der Beklagte hätte diese Tage vom Urlaubsanspruch der Klägerin ohnehin nicht abziehen dürfen.
Hier gehts zum Urteil des LAG Mecklenburg-Vorpommern
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Zusammenfassung:
Arbeitnehmer*innen erwerben Urlaubsansprüche während der Elternzeit, wenn der Arbeitgeber keine Erklärung abgibt, dass er den Urlaub für die Dauer der Elternzeit kürzen will. Diese Erklärung kann nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr wirksam abgegeben werden.
Wenn das Arbeitsverhältnis nach der Elternzeit zunächst fortgesetzt wird, besteht ebenfalls ein Anspruch auf Urlaubsabgeltung für Urlaubstage, die aus der Zeit vor der Elternzeit stammen oder während der Elternzeit erworben worden sind. Voraussetzung ist lediglich, dass sie noch bestehen und nur wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr genommen werden können.
Ob ein neuer Arbeitgeber Urlaub gewährt, ist für den alten Arbeitgeber ohne Bedeutung. Er darf den Urlaubsanspruch nicht um die Urlaubstage kürzen, die Beschäftigte von ihrem neuen Arbeitgeber erhalten.
Rechtliche Grundlagen
§ 17 BEEG Urlaub
(2) Hat der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin den ihm oder ihr zustehenden Urlaub vor dem Beginn der Elternzeit nicht oder nicht vollständig erhalten, hat der Arbeitgeber den Resturlaub nach der Elternzeit im laufenden oder im nächsten Urlaubsjahr zu gewähren.
(3) Endet das Arbeitsverhältnis während der Elternzeit oder wird es im Anschluss an die Elternzeit nicht fortgesetzt, so hat der Arbeitgeber den noch nicht gewährten Urlaub abzugelten.
(4) Hat der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin vor Beginn der Elternzeit mehr Urlaub erhalten, als ihm oder ihr nach Absatz 1 zusteht, kann der Arbeitgeber den Urlaub, der dem Arbeitnehmer oder der Arbeitnehmerin nach dem Ende der Elternzeit zusteht, um die zu viel gewährten Urlaubstage kürzen.
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