Aus einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) aus dem Jahre 2011 geht hervor, dass bis zu 37% der Vollzeitbeschäftigten ihren Jahresurlaub nicht ausschöpfen. Dies gilt vor allem für jüngere Beschäftigte in kleineren Betrieben und mit geringer Betriebszugehörigkeit. Folge des Urlaubsverzichts sind nach der Studie Einschränkungen der Lebensqualität und eine Zunahme von Fehlzeiten. Es besteht die Hoffnung, dass nach einem Vorlagebeschluss des Landesarbeitsgerichts (LAG) Hamm der Europäische Gerichtshof (EuGH) für Abhilfe sorgen könnte. Eine Entscheidung ist noch in diesem Jahr zu erwarten.
Wann muss Urlaub genommen werden?
Nach der gesetzlichen Regelung ist der Urlaub grundsätzlich auf das Kalenderjahr beschränkt. Er muss gemäß § 7 Absatz 3 Satz 1 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) oder entsprechenden tariflichen Regelungen im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Ist dies aus betrieblichen oder persönlichen Gründen (vor allem wegen Krankheit) nicht möglich, wird der Urlaub ins nächste Jahr übertragen. In diesem Fall muss er allerdings zwingend bis zum Ende des Übertragungszeitraums, also in der Regel bis zum 31.3. des Folgejahres genommen werden; ansonsten verfällt er.
Urlaub verschoben – Urlaub verfallen
Liegen keine betrieblichen oder persönlichen Übertragungsgründe vor, verfällt der Urlaub bereits am Ende des Kalenderjahres. Nur ausnahmsweise tritt kein Verfall ein, wenn der Urlaub aus Krankheitsgründen weder im Kalenderjahr noch im Übertragungszeitraum realisiert werden kann. Verschiebt der Arbeitnehmer seinen beantragten Urlaub also auf Bitten seines Arbeitgebers auch noch über den Übertragungszeitraum hinaus, ist der Urlaub dennoch verfallen. Da es nicht zulässig ist, sich selbst zu beurlauben, müsste der Arbeitnehmer seinen abgelehnten Urlaub also mit Hilfe des Gerichts im Wege einer einstweiligen Verfügung durchsetzen.
Es gibt viele verständliche Gründe, dass Arbeitnehmer während eines bestehenden Arbeitsverhältnisses nicht gegen ihren Arbeitgeber vor Gericht ziehen. Aus der Studie des DIW aus dem Jahre 2011 geht beispielsweise hervor, dass der Urlaubsverzicht zwar zu einem Anstieg krankheitsbedingter Fehlzeiten führt, andererseits aber auch mit einem signifikanten Lohnanstieg verbunden ist. Ist das Arbeitsverhältnis vertrauensvoll, verlässt sich der Arbeitnehmer zudem darauf, dass der Arbeitgeber sich nicht auf den Verfall des Urlaubs berufen wird. Er ist deshalb bereit, den Urlaub zu verschieben. Solange die Arbeitsparteien einig sind, ist es auch kein Problem, den Urlaub zu einem späteren Zeitpunkt zu realisieren.
Schadensersatzanspruch
Kommt es aber zum Konflikt und die Nachgewährung des Urlaubs bleibt aus, bleibt dem Arbeitnehmer rechtlich nur die Möglichkeit des Schadensersatzes. Dann tritt anstelle des ursprünglichen (verfallenen) Urlaubsanspruchs Urlaub in gleichem Umfang als Schadensersatz (sog. Ersatzurlaub). Der Anspruch auf Ersatzurlaub setzt allerdings voraus, dass der Arbeitnehmer im Kalenderjahr oder Übertragungszeitraum seinen Urlaubsanspruch erfolglos geltend gemacht hat, den Arbeitgeber also in Verzug gesetzt hat. Verzug setzt nämlich eine Mahnung voraus. Der Urlaubsantrag stellt diese Mahnung dar. Kann der Arbeitnehmer darstellen – möglichst durch die Vorlage schriftlicher Urlaubsanträge – dass er seinen Urlaub für einen bestimmten Zeitraum verlangt hat und ihm die Gewährung aber versagt wurde, ist der Schadensersatzanspruch begründet. Der Arbeitgeber hat den Urlaub auch noch nach dem 31.3. nach zu gewähren gemäß §§ 280, 286,287 BGB. Ist das Arbeitsverhältnis inzwischen beendet, so dass der Urlaub tatsächlich nicht mehr genommen werden kann, ist Schadensersatz in Geld zu leisten. Dies bedeutet, dass der Urlaub finanziell abzugelten ist.
Erfolgloser Urlaubsantrag
Ein Schadensersatzanspruch lässt sich jedoch nur dann durchsetzen, wenn der Arbeitnehmer darstellen kann, wann er für welche Zeiträume seinen Urlaub erfolglos geltend gemacht hat. Zu einem entsprechenden Vortrag wird der Arbeitnehmer kaum in der Lage sein, wenn sich der Urlaub über Jahre angesammelt hat oder der Urlaub stets formlos, also nie schriftlich beantragt worden ist. Dem Vorlagebeschluss des LAG Hamm lag ein Fall zugrunde, bei dem die Witwe des Arbeitnehmers Schadensersatz für nicht genommenen Urlaub im Umfang von 140 Tagen verlangte. Eine Darstellung, wann ihr Ehemann in der Vergangenheit Urlaubsanträge gestellt hat, die seitens des Arbeitgebers mit welcher Begründung abgelehnt wurden, wird ihr nicht mehr möglich sein. Der von ihr geltend gemachte Schadensersatzanspruch würde daher nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) scheitern, weil es an der erfolglosen Geltendmachung, also der für die Durchsetzung des Schadensersatzanspruchs erforderlichen Mahnung fehlt.
Verantwortung des Arbeitgebers für die Erholung seiner Mitarbeiter
Der Vorlagebeschluss des LAG Hamm zeigt jedoch einen Lösungsweg. Eine Mahnung des Arbeitnehmers ist nämlich entbehrlich, wenn der Arbeitgeber verpflichtet wäre, den Urlaub des Arbeitnehmers von sich aus festzulegen, also auch ohne konkrete Aufforderung des Arbeitnehmers. Grundsätzlich ist es auch nach der Rechtsprechung des BAG zulässig, dass der Arbeitgeber ohne konkreten Wunsch des Arbeitnehmers den Urlaub selbst zeitlich festlegt, soweit der Arbeitnehmer daraufhin keinen anderen Wunsch äußert. Der Beschluss des LAG Hamm geht nun noch einen Schritt weiter und legt dem EuGH die Frage vor, ob nach europäischem Recht nicht sogar eine Verpflichtung des Arbeitgebers besteht, den Urlaub seiner Beschäftigten von sich aus festzulegen.
Diese Verpflichtung lässt sich auf Artikel 7 Abs.1 Richtlinie 2003/88/EG stützen. Die Richtlinie enthält Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz, u. a. einen Anspruch auf einen Mindestjahresurlaub von vier Wochen. Der EuGH hat deshalb in seinen Entscheidungen zum Verfall des Mindesturlaubes im Falle einer langandauernden Erkrankung immer wieder betont, dass der Anspruch auf einen bezahlten Jahresurlaub ein besonders bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts der europäischen Union ist, von dem nicht abgewichen werden darf. Daraus lässt sich ableiten, dass nicht nur der Arbeitnehmer sondern auch der Arbeitgeber dafür verantwortlich ist, dass die Arbeitnehmer seines Betriebes die aus Gründen des Gesundheitsschutzes erforderliche Erholung von der Arbeit erhalten. Kommt er dieser Verantwortung nicht nach und erteilt den Urlaub nicht mehr rechtzeitig, so dass er verfällt, hätte dies zur Folge, dass er verpflichtet ist, Schadensersatz zu leisten. Er muss dem Arbeitnehmer die noch nicht genommenen Urlaubstage auf der Basis des gesetzlichen Mindesturlaubs von vier Wochen gewähren oder bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses finanziell abgelten.
Anmerkung der Redaktion:
Dieser Lösungsweg ist sachgerecht. Er verhilft dem Grundrecht auf einen Mindesturlaub im Kalenderjahr zu einer effektiven Umsetzung. Arbeitgeber und Arbeitnehmer sollen im Interesse der Gesundheit und des Arbeitsschutzes gemeinsam dafür sorgen, dass die erforderliche Erholung im Arbeitsverhältnis erfolgen kann. Ein Hinausschieben des Urlaubs verträgt sich damit nicht. Der Arbeitgeber soll deshalb wirtschaftlich auch nicht davon profitieren, dass er dem Arbeitnehmer aus betrieblichen Gründen den Urlaub verweigert und bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses möglicherweise von jeglicher Zahlungsverpflichtung frei wird.
Über den Vorlagebeschluss des LAG Hamm hat der EuGH noch nicht entschieden. Es bleibt abzuwarten, ob der EuGH seine Rechtsprechung zum Urlaubsrecht im Interesse des Gesundheitsschutzes und des Erholungsbedürfnisses der Arbeitnehmer weiter fortentwickelt.
Den Vorlagebeschluss des LAG Hamm finden Sie hier.