Beschäftigte verlieren durch den Wechsel von Vollzeit zu Teilzeit keine während der Vollzeittätigkeit erworbenen Urlaubsansprüche. Auch das LAG Niedersachsen hat jetzt bestätigt, dass der bereits erworbene Urlaubsanspruch vollständig erhalten bleibt, wenn vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer in eine Teilzeitbeschäftigung mit Verteilung der Arbeitszeit auf weniger Wochenarbeitstage als zuvor wechseln. 

Ein Fall aus der Praxis

Der Fall ist in der Praxis des Arbeitslebens und des Rechtsschutzes gar nicht selten. Es ist eher erstaunlich, dass es darüber nicht viel mehr Verfahren gegeben hat. Die klagende Arbeitnehmerin, Frau Bianca Brandes, war zunächst in Vollzeit mit einer 5-Tage-Woche beim Land Niedersachsen beschäftigt. Im Jahr 2010 wurde ihr schwangerschaftsbedingt ein Beschäftigungsverbot ausgesprochen. Aus diesem Grunde und wegen anschließenden Mutterschutzes und Elternzeit konnte sie insgesamt 22 Urlaubstage nicht nehmen. Anders als in zahlreichen anderen aktuellen Fällen im gewerkschaftlichen Rechtsschutz vor deutschen Arbeitsgerichten und auch dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) ging es hier nicht um Verfall und/oder Abgeltung. Nach § 17 Mutterschutzgesetz (MuSchG) gelten für den Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub die Ausfallzeiten wegen mutterschutzrechtlicher Beschäftigungsverbote als Beschäftigungszeiten. Sie verfallen nicht nach § 7 Absatz 3 Bundesurlaubsgesetz (BurlG) zum 31.3. des Folgejahres (europarechtlich gelesen: des übernächsten Jahres), sondern im laufenden oder nächsten Urlaubsjahr, das heißt erst nach Wiederaufnahme der Arbeit. Eine ähnliche Regelung trifft § 17 Absatz 2 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) für die Elternzeit. Der Arbeitgeber hat den Resturlaub nach der Elternzeit im laufenden oder nächsten Urlaubsjahr zu gewähren. Dies ist übrigens keine nationale Wohltat, sondern Umsetzung des § 5 Abs. 2 der Rahmenvereinbarung zur ElternurlaubsRL 2010/18/EU, also unmittelbar europarechtlich geboten (EuGH 22.04.2010, C-486/06, Tirol). Ab Ende Dezember 2011 nahm sie ihre Tätigkeit wieder auf, gemäß Vereinbarung mit dem Land Niedersachsen mit halber Stundenzahl, verteilt auf 3 (vorher 5) Tage in der Woche. Als sie ihren Resturlaub von insgesamt 29 Tagen beantragte, vertrat das beklagte Land die Ansicht, der während der Vollzeitbeschäftigung erworbene, aber noch nicht genommene Anspruch auf Urlaub sei nach der Reduzierung der Arbeitszeit der Höhe nach wie der Urlaub zu berechnen, der während des Teilzeitarbeitsverhältnisses selbst entsteht. Der in den Jahren 2010 und 2011 entstandene Urlaubsanspruch von 29 Tagen sei daher nach der Formel 29 x 3/5 auf einen verbleibenden Urlaubsanspruch von 17 Tagen zu vermindern. 

Rechtsprechung aus den 90er Jahren

Ob diese Kürzung zulässig ist, beurteilt sich zunächst nach nationalem Recht. Das BUrlG, das Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) sowie die einschlägigen Tarifverträge, etwa der TVöD, behandeln die Auswirkungen eines Wechsels von Vollzeit auf Teilzeit mit oder ohne Zusammenhang mit einer Schwangerschaft auf den Urlaubsanspruch nicht beziehungsweise treffen dazu keine besonderen Regelungen. Die Klärung dieser Frage obliegt damit der Rechtsprechung. Nach der schon etwas älteren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) aus dem Jahr 1998 ist bei einer Veränderung der Arbeitszeitdauer auch der erworbene Urlaubsanspruch ins Verhältnis zur neuen Arbeitszeit zu setzen. Das BAG hatte seinerzeit eine Verletzung des Artikel 119 EWGV (jetzt Art. 157 AEUV: Gleichstellung von Mann und Frau im Erwerbsleben) zwar geprüft, aber verneint. Es hatte sich damals nicht mit empirischen Daten auseinandergesetzt, weil es seiner Auffassung nach an einem ausreichenden Tatsachenvortrag der Klägerin fehlte. Die Vereinbarkeit seiner Rechtsprechung mit der Beweislastrichtlinie 97/80/EG, der Teilzeitrichtlinie 97/81/EG sowie der Elternurlaubsrichtlinie 96/34/EG hatte das BAG 1998 gar nicht geprüft, obwohl diese Richtlinien damals schon erlassen und bekannt waren. 

An dieser Praxis orientieren sich Personalabteilungen bis heute – so auch die Beklagte des Ausgangsverfahrens. Dies bedeutet, dass bei einem Wechsel von Vollzeit auf Teilzeit weder das Urlaubsentgelt entsprechend der früheren Vollzeitbeschäftigung ausgezahlt wurde, noch die Anzahl der erworbenen Urlaubs-Arbeitstage erhalten blieb. Vielmehr wurden diese entsprechend umgerechnet und es wurde auch das Urlaubsentgelt entsprechend der Teilzeitvergütung gekürzt. 

Anstöße aus Luxemburg

Dass diese Praxis Gleichbehandlungsprobleme aufwirft, liegt auf der Hand. Es ist eher erstaunlich, dass es so lange gedauert hat, bis diese Frage wieder virulent wurde. Den Anstoß gab wieder der EuGH. In der schon zitierten  Entscheidung vom 22.04.2010  traf er folgenden Leitsatz: „Das einschlägige Unionsrecht, insbesondere § 4 Nr. 2 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der RL 97/81 über Teilzeitarbeit in der durch die RL 98/23 geänderten Fassung, ist dahin auszulegen, dass es einer nationalen Bestimmung entgegensteht, nach der bei einer Änderung des Beschäftigungsausmaßes eines Arbeitnehmers das Ausmaß des noch nicht verbrauchten Erholungsurlaubs in der Weise angepasst wird, dass der von einem Arbeitnehmer, der von einer Vollzeit- zu einer Teilzeitbeschäftigung übergeht, in der Zeit der Vollzeitbeschäftigung erworbene Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub, dessen Ausübung dem Arbeitnehmer während dieser Zeit nicht möglich war, reduziert wird oder der Arbeitnehmer diesen Urlaub nur mehr mit einem geringeren Urlaubsentgelt verbrauchen kann.“ Schwer zu lesen, aber inhaltlich doch klar. Eine „Anpassung“ in Form von „Kürzung“ verstößt gegen das Gleichbehandlungsgebot der Teilzeit-Richtlinie. 

Bindung ans Europarecht – Vorlage an den EuGH 

Zur Erinnerung: Nach allgemeinen europarechtlichen Grundsätzen, insbesondere ständige Rechtsprechung des EuGH, ist der öffentliche Dienst unmittelbar an auch sekundäres Europarecht gebunden, also auch an Richtlinien und die dazu ergangene Rechtsprechung. Das Land hätte also dem Antrag der Klägerin stattgeben und seine umstrittene Umrechnungspraxis verabschieden müssen. Genau das erfolgte nicht. Und sicherlich kann auch heute noch davon ausgegangen werden, dass Personalabteilungen die praktisch relevante Rechtsprechung des EuGH hierzu beharrlich nicht zur Kenntnis nehmen. Frau Brandes begann also ihren Weg durch die Instanzen vor dem Arbeitsgericht Nienburg, das das Verfahren aussetzte und in Luxemburg anfragte, ob eine derartige Umrechnung des erworbenen Urlaubsanspruchs auf das neue Beschäftigungsausmaß zulässig ist oder ob es § 4 der Teilzeitrichtlinie widerspricht. Nach Art. 267 AEUV konnte das Arbeitsgericht vorlegen, musste aber nicht. Es hätte den Fall auch entscheiden können. Der Fall wäre dann über Landesarbeitsgericht (LAG) und BAG, gegebenenfalls auch Bundesverfassungsgericht (vielleicht) auch beim EuGH gelandet. Hier ist die Direktvorlage sinnvoller – vor allem wenn mit Obstruktion der Obergerichte gegen eine Einschaltung europäischer Gerichte zu rechnen ist. Deswegen gehört es zur ständigen Praxis der DGB-Rechtsschutz GmbH auch in den Eingangsinstanzen, die europarechtliche Relevanz der Verfahren aufzuzeigen und gegebenenfalls auch entsprechende Vorlagen zu beantragen. 

Gewerkschaftlicher Rechtsschutz führende Arbeitnehmervertretung vor europäischen Gerichten

Frau Brandes wurde vor dem EuGH wie in den nationalen Gerichtsinstanzen durch die DGB-Rechtsschutz GmbH vertreten, hier durch das gewerkschaftliche Centrum für Revision und Europäisches Recht. Das Kasseler Centrum hat sich auf Verfahren vor europäischen Gerichten, dem EuGH in Luxemburg und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg, besonders spezialisiert. Bezogen auf die Prozessvertretung steht es auf Arbeitnehmerseite an erster Stelle in Deutschland wie in Europa. So gesehen war Frau Brandes auch in Luxemburg gut aufgehoben. Sie konnte sich vor dem EuGH nicht nur auf oben erwähnte Entscheidung Tirol, sondern zudem auf die neuen Entscheidungen Heimann und Toltschin (08.11.2012, C-229/11 und 230/11) berufen. Danach ist die Quotierung, das heißt Reduzierung erworbener Urlaubsansprüche beim Übergang von Voll- zu Teilzeitbeschäftigung schlicht europarechtswidrig. Neben der Teilzeitrichtlinie 97/81/EG bezog sich die Klägerin auch auf die Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG sowie die Elternurlaubsrichtlinie 2010/18/EU, schließlich auf ILO-Recht. Am 13.06.2013 beantwortete der EuGH die Vorlagefrage des erstinstanzlichen Gerichts zugunsten der Klägerin und stellte zudem ein weiteres Mal heraus, dass der Anspruch jedes Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub als ein besonders bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts der Union anzusehen ist (C-415/12, Brandes, AuR 2013, 324, mit Anm. Buschmann; dazu ausführlich auch Jens Schubert, RdA 2013, 370ff.). Diese authentische Auslegung des EuGH ist auch für die nationalen Gerichte bindend.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht folgen dem EuGH

Folgerichtig konnte dann das Arbeitsgericht Nienburg (Weser) feststellen, dass der Wechsel von Vollzeit in Teilzeit und die damit einhergehende Änderung der Verteilung der Arbeitszeit auf weniger Arbeitstage in einer Kalenderwoche nicht zur Folge hat, dass sich der Umfang des zuvor im Rahmen der Vollzeitbeschäftigung erworbenen Urlaubsanspruchs verkürzt. Insbesondere wurde vom erstinstanzlichen Gericht darauf hingewiesen, dass die bisherige Rechtsprechung des BAG mit Unionsrecht nicht vereinbar sei. Das Land Niedersachsen wollte dies offenbar nicht akzeptieren. Jedoch wurde auch seine Berufung erwartungsgemäß vom LAG Niedersachsen abgewiesen. 

Fortführung vor dem BAG

Der Rechtsstreit ist damit noch nicht beendet, da Revision zugelassen wurde. Noch im Gerichtssaal kündigten die anwesenden Vertreter des Landes an, dass nun das BAG angerufen werden solle. Abgesandte des niedersächsischen Finanzministeriums erklärten, dass dies auch im Interesse der Tarifgemeinschaft der Länder geschehe, da man weitere finanzielle Belastungen der öffentlichen Haushalte vermeiden müsse. Andererseits kann eine solche Revision nur erstaunen. Die Rechtsfrage ist durch den EuGH geklärt worden. Das Bundesurlaubsgesetz ist im Lichte des europäischen Rechts, hier Art. 7 der Arbeitszeit-RL 2003/88/EG und § 4 Nr. 2 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der RL 97/81/EG und der dazu ergangenen Rechtsprechung  des EuGH auszulegen. Eine solche Auslegung ist möglich, da der Wortlaut der Norm eben keine andere Auslegung vorschreibt. Folgerichtig hat auch das BAG keine andere Wahl, als dem EuGH zu folgen. Im Interesse der Rechtssicherheit mag ein Urteil des BAG auch für andere Betroffene in gleicher Lage hilfreich sein, im öffentlichen Dienst wie in der Privatwirtschaft. Andererseits entsteht der Eindruck, dass ein Land den Verfahrensweg ausschöpft, um Zeit zu gewinnen, bevor die Rechtsprechung des EuGH flächendeckend umgesetzt wird. Ob Arbeitgeber sich derart auf die Unkenntnis von Arbeitnehmer*innen über die Rechtslage verlassen können, erscheint zweifelhaft. In der Fläche sollte die BAG-Entscheidung nicht abgewartet werden. Urlaubsanträge sind auf der Basis der erworbenen Ansprüche zu berechnen und nicht wegen späterer Reduzierung der Arbeitszeit zu kürzen. Wer nicht klagt, riskiert Verfall seiner Urlaubsansprüche.

Parallelbetrachtung

Nicht auszuschließen ist auch der umgekehrte Fall, nämlich Wechsel von Teil- zu Vollzeit. Die zu Unrecht nicht überall bekannte Vorschrift des § 9 TzBfG formuliert sogar dahingehende Ansprüche. Allerdings zeigt die Empirie eine deutliche Inkongruenz. Aufstocken auf Vollzeit erfolgt weitaus seltener als individuelle Arbeitszeitverringerung. Und regelmäßig achten Arbeitgeber darauf, dass Resturlaubsansprüche zuvor ausgeglichen werden. Gleichwohl ist auch dieser Fall zu bedenken. Was geschieht nun mit dem in Teilzeit erworbenen Urlaubsanspruch? Hier ergibt sich die Lösung aus Art. 7 der RL 2003/88/EG. Der europarechtlich garantierte Urlaubsanspruch dient dem Schutz der Arbeitskraft und der Gesundheit. In diesem Maße ist Urlaub zu gewähren und nach Maßgabe der inzwischen ausgefeilten Rechtsprechung des EuGH auch zu übertragen beziehungsweise ausnahmsweise abzugelten (zuletzt  C-118/13 (Bollacke: Abgeltung bei Tod des Arbeitnehmers). Vorrangig ist die Urlaubsgewährung in natura. Vollzeitbeschäftigte erhalten danach auch vollen Resturlaub nach Maßgabe ihrer Vollzeitbeschäftigung, unabhängig davon, ob sie während der Zeit des Erwerbs dieser Urlaubsansprüche in Vollzeit oder Teilzeit gearbeitet hatten.

Rudolf Buschmann, Kassel

 

Landesarbeitsgericht Niedersachsen am 11.6.2014, 2 Sa 125/14

Siehe auch AuR 2013, 324 und AuR 2014, 159