Bundessozialgericht - Arbeitslosengeld: Keine nachträgliche Verschiebung der Rahmenfrist
So der Leitsatz zum Urteil des Bundessozialgerichts (BSG). Damit geht ein langer Rechtsstreit zu Ende, bei dem zwischen den Beteiligten streitig war, ob Anspruch auf Arbeitslosengeld für eine längere als die zuerkannte Dauer bestand. Während der Kläger in erster und zweiter Instanz erfolgreich war, machte ihm das Bundessozialgericht einen Strich durch die Rechnung.
Nach Bewilligung von Arbeitslosengeld späteres Ende des Arbeitsverhältnisses vereinbart
Nachdem er die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses bekam, meldete sich der Kläger zum 01.01.2009 arbeitslos; Arbeitslosengeld wurde ab diesem Zeitpunkt bewilligt. Gegen die Kündigung wehrte sich der Kläger durch Kündigungsschutzklage. Vor dem Arbeitsgericht schloss der Kläger mit seiner Arbeitgeberin einen Vergleich, wonach das Arbeitsverhältnis aufgrund einer fristgerechten Kündigung erst zum 15.04.2009 sein Ende fand. Der Kläger wurde bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses von der Arbeitsleistung freigestellt und die Arbeitgeberin verpflichtete sich, bis dahin die normale Vergütung zu zahlen.
Die Arbeitsagentur verblieb bei der Berechnung der Anspruchsdauer beim 01.01.2009; an dem Tag sei das Stammrecht auf Arbeitslosengeld entstanden und der Anspruch ruhe wegen des Bezugs von Arbeitsentgelt vom 01.01.2009 bis zum 15.04.2009.
Hiergegen legte der Kläger erfolglos Widerspruch ein. Er machte geltend, ihm stehe Arbeitslosengeld zu, berechnet ab dem 16.04.2009.
Die Besonderheit dabei: Bei einer Arbeitslosigkeit zum 01.01.2009 hatte der Kläger nur noch einen Restanspruch auf Arbeitslosengeld von 77 Tagen aus einer früheren Beschäftigung. Die letzte gekündigte Beschäftigung war - ab diesem Datum zurückgerechnet - nicht lang genug, um einen neuen Anspruch zu begründen, bestand also noch kein Jahr. Würde das Arbeitsverhältnis bis zum 15.04.2009 berücksichtigt und Arbeitslosigkeit erst ab dem 16.04.2009, wäre ein neues Stammrecht entstanden und damit Anspruch auf 180 Tage Arbeitslosengeld.
Sozialgericht und Landessozialgericht: Neues Stammrecht nach vereinbartem Ende des Arbeitsverhältnisses entstanden
Der Kläger erhob Klage beim Sozialgericht. Seine Auffassung: Die Arbeitslosigkeit sei nicht am 01.01.2009, sondern erst am 16.04.2009, also dem tatsächlichen Ende des Arbeitsverhältnisses, eingetreten.
Das Sozialgericht Frankfurt am Main gab dem Kläger Recht und verurteilte die Agentur für Arbeit dazu, Arbeitslosengeld berechnet ab einer Arbeitslosigkeit zum 16.04.2009 zu zahlen.
Die Arbeitsagentur ging in Berufung – erfolglos. Das Landessozialgericht Hessen (LSG) wies die Berufung der Beklagten zurück. Durch die Zahlung von Arbeitsentgelt bis zum 15.04.2009 sei ein neues Stammrecht entstanden und Arbeitslosengeld für 180 Tage zu zahlen.
Arbeitnehmer*innen haben Anspruch auf Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit, wenn sie arbeitslos sind, sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet und die Anwartschaftszeit erfüllt haben. Die Anwartschaftszeit beträgt 12 Monate, was bedeutet, dass der Antragsteller in den letzten 2 Jahren vor Antragstellung mindestens 12 Monate in einem versicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis gestanden haben muss. Dies ist zwingende Voraussetzung. Erfüllt er diese 12 Monate der Anwartschaftszeit in der Rahmenfrist nicht, besteht kein Anspruch auf Arbeitslosengeld.
Gleichwohlgewährung bedeutet die Leis¬tung von Arbeitslosengeld für Zeiten, in denen der Arbeitslose zwar einen rechtlichen Anspruch auf Arbeitsentgelt oder Urlaubsabgeltung hat, dieser jedoch nicht erfüllt wird.
Gewährung von Arbeitslosengeld entscheidend - nicht Fortbestand des Arbeitsverhältnisses
Die Agentur für Arbeit erhob Revision und hatte damit beim BSG Erfolg. Die Entscheidung des LSG sei falsch, der Kläger habe zum 16.04.2009 kein neues Stammrecht auf Arbeitslosengeld erworben, so die Richter.
Die Meldung als arbeitslos ist zum 01.01.2009 erfolgt und Arbeitslosengeld war auch bewilligt worden. Das allein sei erheblich. Die Erstattung der erbrachten Leistungen durch die Arbeitgeberin und die erneute Bewilligung des Arbeitslosengeldes ab dem 16.04.2009 verändere die Lage der Rahmenfrist nicht, so das BSG.
Die Rahmenfrist für den Anspruch auf Arbeitslosengeld sei vom 01.01.2009 an zurückzurechnen. Sie reiche zeitlich nicht darüber hinaus, weil die (weiteren) Voraussetzungen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit am 01.01.2009 vorgelegen haben. Der Kläger sei zu diesem Zeitpunkt arbeitslos im leistungsrechtlichen Sinne gewesen.
Nach Bezug von Arbeitslosengeld ist Änderung der Rahmenfrist durch vergleichsweise Vereinbarung rechtlich nicht mehr zulässig
Das BSG bestätigte damit seine Rechtsprechung, wonach die nachträgliche Korrektur einer für den Leistungsfall maßgeblichen Rahmenfrist nicht erfolgen kann. Eine solche Korrektur sei ausgeschlossen, wenn das Arbeitsgericht auf eine Kündigungsschutzklage hin durch Urteil oder die Arbeitsvertragsparteien in einem gerichtlichen Vergleich das Ende des Arbeitsverhältnisses auf einen späteren Zeitpunkt festlegen, als dem faktischen Ende der Beschäftigung.
Auch die Rückabwicklung der Gleichwohlgewährung von Arbeitslosengeld in der Weise, dass die Arbeitgeberin der Arbeitsagentur die erbrachten Sozialleistungen erstattet hat und die Agentur für Arbeit dem Kläger ab 16.04.2009 erneut Arbeitslosengeld bewilligte, verändere die Lage der Rahmenfrist nicht.
Der Senat berief sich auf frühere Entscheidungen, wo er schon entschieden hat, dass die Gleichwohlgewährung von Arbeitslosengeld, auch wenn sie später rückabgewickelt wird, nicht zu einer Verschiebung der Rahmenfrist führe. Vielmehr lege schon die Gewährung von Arbeitslosengeld die Rahmenfrist als Voraussetzung für die Prüfung der Anwartschaftszeit fest.
Auch bei Gleichwohlgewährung legt Arbeitslosengeldbezug Rahmenfrist fest
Im vorliegenden Fall verbleibe es deshalb bei dem Grundsatz, dass der Eintritt von Arbeitslosigkeit, die Arbeitslosmeldung und der Bezug von Arbeitslosengeld im Wege der Gleichwohlgewährung den Beginn der zurückzurechnenden Rahmenfrist festlegt, soweit ein Stammrecht auf Arbeitslosengeld bestanden hat. Die spätere Vereinbarung der Zahlung von Arbeitsentgelt in dem gerichtlichen Vergleich habe den entstandenen Anspruch auf Arbeitslosengeld nur zum Ruhen gebracht. Das Ruhen des Zahlungsanspruchs ändere aber nichts an der Lage der Rahmenfrist, so das BSG.
Da die Arbeitsagentur dem Kläger schon mit Bescheid vom 05.02.2009 Arbeitslosengeld ab dem 01.01.2009 im Wege der Gleichwohlgewährung bewilligt hatte, sei damit die Rahmenfrist ausgelöst worden und durch spätere Zeiten in einem beitragsrechtlichen Versicherungspflichtverhältnis nicht mehr zu verändern. Vielmehr sei dem Kläger ab dem 01.01.2009 rechtmäßig Arbeitslosengeld gezahlt worden.
Anmerkung der Redaktion: Zeigt BSG einen Ausweg auf?
Wir bedauern die Rechtsprechung des BSG, da sich solche Probleme bei Kündigungen, gegen die gerichtlich vorgegangen wird, häufig ergeben.
Doch das BSG nennt zumindest einen möglichen Ausweg: Am Ende der Entscheidung findet sich die Anmerkung, der Kläger habe auch nicht bestimmt, dass der Anspruch auf Arbeitslosengeld zu einem späteren Zeitpunkt als dem 01.01.2009 entstehen soll.
Das BSG verweist auf § 137 Absatz 2 SGB III wonach Arbeitnehmer*innen bis zur Entscheidung der Bundesagentur für Arbeit bestimmen können, dass der Anspruch nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt entstehen soll. Aufgrund dieser Regelung wäre es möglich gewesen, so das BSG, die Entstehung des Anspruchs zeitlich auf den 16.04.2009 zu verschieben. Der Kläger habe aber eine entsprechende Verfügung bis zur Entscheidung über seinen Antrag auf Bewilligung von Arbeitslosengeld (mit Bescheid vom 05.02.2009) nicht getätigt. Hätte der Kläger also wegen des Rechtsstreits beim Arbeitsgericht zunächst kein Arbeitslosengeld bezogen, sähe die Sache anders aus. Arbeitslosengeld wäre erstmalig zum 16.04.2009 bewilligt worden und ab diesem Zeitpunkt wäre die Rahmenfrist berechnet worden.
Der Trick soll also sein, erst gar kein Stammrecht entstehen zu lassen, sondern abzuwarten, was das arbeitsgerichtliche Verfahren ergibt. In der Praxis wird es aber leider so sein, dass viele Betroffene dazu finanziell gar nicht in der Lage sind, sondern auf die Zahlung von Arbeitslosengeld angewiesen sind, bis geklärt ist, ob das Arbeitsverhältnis ganz oder vorübergehend fortbesteht. Und: Hat man bestimmt, dass der Anspruch auf Arbeitslosengeld erst später entstehen soll, kann Arbeitslosengeld auch erst dann gezahlt werden und nicht etwa rückwirkend, falls es mit der Klage vor dem Arbeitsgericht oder einem Vergleich doch nichts wird. Mit der Möglichkeit zunächst auf Arbeitslosengeld zu verzichten, sollte also vorsichtig umgegangen werden.
In Fällen, in denen gute Chancen auf eine Verlängerung des Arbeitsverhältnisses bestehen (Kündigungsfrist nicht eingehalten oder fristlose Kündigung klar nicht gerechtfertigt), kann darüber nachgedacht werden. Lohnenswert kann es dann sein, wenn - wie in diesem Fall -der spätere Zeitpunkt dazu führt, dass ein deutlich längerer Anspruch auf Arbeitslosengeld entsteht.
Kommt es zu einer Kündigung, sollten Betroffene sich auch zum Thema Arbeitslosengeld rechtlichen Rat einholen.