Bundessozialgericht: Jobcenter darf zum Antrag auf vorzeitige Altersrente auffordern
Geklagt hatte ein 1950 geborener Mann, der zusammen mit seiner Ehefrau Arbeitslosengeld II bezog. Das Jobcenter Duisburg hatte diesen noch 2012 aufgefordert, bei der Deutschen Rentenversicherung einen Antrag auf Altersrente zu stellen.
Der Kläger war bei Erreichen des 63. Lebensjahres anspruchsberechtigt auf eine Altersrente, allerdings mit Abschlägen. Die Regelaltersgrenze ist erst zum 01.08.2015 erreicht worden, erst ab diesem Renteneintritt wäre die Rente also abschlagsfrei möglich. Zuvor wird die Rente für jeden Kalendermonat einer vorzeitigen Inanspruchnahme um 0,3 % gekürzt.
Jobcenter beruft sich auf Selbsthilfeverpflichtung
Die Aufforderung zur Antragstellung war durch das Jobcenter unter Hinweis auf § 12a SGB II und die Selbsthilfeverpflichtung erfolgt.
Dahinter steckt der Grundsatz der Nachrangigkeit der Sozialhilfe. Danach erhält Sozialhilfe nicht, wer sich durch Einsatz seiner Arbeitskraft, seines Einkommens und seines Vermögens selbst helfen kann oder wer die erforderliche Leistung von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält. Bevor Sozialhilfe bewilligt werden kann, müssen also alle zur Verfügung stehenden Selbsthilfemöglichkeiten ausgeschöpft worden sein.
Diese Selbsthilfeverpflichtung ist für das Arbeitslosengeld II und den Bereich der möglichen anderen Sozialleistungen in § 12a SGB II konkretisiert worden. Danach sind Leistungsberechtigte verpflichtet, Sozialleistungen anderer Träger in Anspruch zu nehmen und die dafür erforderlichen Anträge zu stellen, sofern dies zur Vermeidung, Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung der Hilfebedürftigkeit erforderlich ist. § 12a SGB II regelt weiter, dass keine Verpflichtung besteht bis zur Vollendung des 63. Lebensjahres eine Rente wegen Alters vorzeitig in Anspruch zu nehmen.
Kläger zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente verpflichtet
Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren folgten Klage und sodann Berufung. Erfolglos, da sowohl das Sozialgericht Duisburg wie auch das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen die Aufforderung zur Antragstellung durch das Jobcenter für rechtmäßig erachten.
Dies bestätigte das Bundessozialgericht nun.
Der Kläger sei nach § 12a SGB II zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente verpflichtet. Die Voraussetzungen der Norm seien erfüllt und diese sei auch mit der Verfassung vereinbar. Unerheblich fand das BSG dabei die Höhe der Rente, hier nur ca. 900 € monatlich. Die Inanspruchnahme einer vorzeitigen Altersrente durch den Kläger sei erforderlich, weil dies unabhängig von der Höhe der Rente aufgrund des Leistungsausschlusses bei Bezug einer Rente wegen Alters durch § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II zur Beseitigung seiner Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II führt. Der Verpflichtung des Klägers könne auch nicht unter dem Aspekt der Vermeidung unbilliger Härten begegnet werden. Denn in der Unbilligkeitsverordnung seien die Ausnahmetatbestände abschließend geregelt und keiner der Gründe greife hier ein.
BSG sieht weder Ermessenfehler noch eine unbillige Härte
Das Jobcenter habe weiterhin das bereits im Rahmen der Aufforderung zur Antragstellung eingeräumte Ermessen erkannt und pflichtgemäß ausgeübt. Ermessensfehler seien nicht ersichtlich, wobei das BSG es für ausreichend erachtete, dass sich das Jobcenter hinsichtlich des Ob einer Aufforderung zur Antragstellung mit den vom Kläger gegen eine vorzeitige Renteninanspruchnahme vorgebrachten Argumenten auseinander gesetzt habe. Auch sonst seien keine Gründe erkennbar, die gegen die vorzeitige Inanspruchnahme der Altersrente sprächen. Dabei käme es nicht auf eine etwaige künftige Hilfebedürftigkeit des Klägers und seiner Ehefrau bei Bezug von Regelaltersrenten an, da der Zeitpunkt der Aufforderung zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente entscheidend sei.
Anmerkung der Redaktion:
Das Bundessozialgericht liefert mit dieser Entscheidung klar nicht das für Betroffene und deren Vertreter gewünschte Ergebnis. Zwar gibt es die (unserer Ansicht nach unsägliche) Vorschrift des § 12a SGB II und daran orientiert könnte die Entscheidung richtig sein. Allerdings blieb doch die – nun leider enttäuschte – Hoffnung, dass das oberste Sozialgericht unseres Landes die Vorschrift nicht für mit der Verfassung vereinbar gehalten oder zumindest etwas weitsichtiger gedacht hätte. Stattdessen wird die Zwangsverrentung abgesegnet. Ein großer Rückschlag für all diejenigen, die langjährig gearbeitet haben und in einem rentennahen Alter arbeitslos und hilfebedürftig werden. Sie sind gezwungen mit Abschlägen in Rente zu gehen; Abschläge die bis zuletzt bleiben und dies sogar, wenn die Rente selbst nicht zum Leben reicht.
Das Urteil des Bundessozialgerichts vom 19.08.2015 kann hier im Volltext nachgelesen werden.
Im Praxistipp: § 12a Sozialgesetzbuch (SGB) II Vorrangige Leistungen
Rechtliche Grundlagen
§ 12a Sozialgesetzbuch (SGB) II Vorrangige Leistungen
Leistungsberechtigte sind verpflichtet, Sozialleistungen anderer Träger in Anspruch zu nehmen und die dafür erforderlichen Anträge zu stellen, sofern dies zur Vermeidung, Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung der Hilfebedürftigkeit erforderlich ist. Abweichend von Satz 1 sind Leistungsberechtigte nicht verpflichtet,
1.
bis zur Vollendung des 63. Lebensjahres eine Rente wegen Alters vorzeitig in Anspruch zu nehmen oder
2.
Wohngeld nach dem Wohngeldgesetz oder Kinderzuschlag nach dem Bundeskindergeldgesetz in Anspruch zu nehmen, wenn dadurch nicht die Hilfebedürftigkeit aller Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft für einen zusammenhängenden Zeitraum von mindestens drei Monaten beseitigt würde.