Was bedeutet die Entscheidung des Bundessozialgerichts für den Kläger? Er musste die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes, die er in den Monaten August, September und Oktober 2013 erhalten hatte, nicht zurückzahlen.
Aber die Entscheidung ist über den Einzelfall hinaus wichtig für die Frage, ob Leistungen als Zuschuss oder als Darlehen zu gewähren sind.
Jobcenter bewilligt Leistungen als Darlehen
Der Kläger stand zum damaligen Zeitpunkt in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis. Er hatte wegen langer Krankheit zunächst Krankengeld und dann bis März 2012 Arbeitslosengeld I bezogen. Im Anschluss hatte er keinen Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung, weil er Vermögen unter anderem in Form von Sparguthaben hatte.
Nachdem seine Barmittel so gut wie aufgebraucht waren, stellte der Kläger im August 2013 erneut einen Antrag auf Leistungen. Das Jobcenter bewilligte diese, allerdings als Darlehen. Begründet hat das Jobcenter das mit dem Hauseigentum, welches verwertbares Vermögen darstelle, nur nicht sofort verwertet werden könne.
Eigenheim als verwertbares Vermögen
Rechtlich gelten folgende Grundsätze:
Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II (sogenanntes „Hartz IV“) hat man nur, wenn der Lebensunterhalt nicht aus zu Eigentum oder Vermögen bestritten werden kann. Zu berücksichtigen ist dabei nicht jedes Einkommen und Vermögen. Wohneigentum ist „frei“, solange es selbst bewohnt wird und angemessen groß ist.
Ist das Eigenheim zu groß - wie in diesem Fall - fällt es unter das anzurechnende Vermögen. Das Bundessozialgericht erachtet dabei für eine Person 90 m² als angemessen. Grundsätzlich wäre das Haus des Klägers damit verwertbares Vermögen gewesen. Da das nicht unmittelbar dazu führt, dass man Geld für den Lebensunterhalt in der Tasche hat, wird das Arbeitslosengeld II als Darlehen bewilligt.
Dem Grundsatz kann zum einen entgegenstehen, wenn eine Immobilie nur offensichtlich unwirtschaftlich zu verwerten wäre.
Besondere Härte
Zum anderen ist eine besondere Härte zu prüfen, wenn ein selbstbewohntes, unangemessen großes Haus verwertet werden soll.
Eine solche Härte erfordert nach dem Bundessozialgericht „außergewöhnliche Umstände, die dem Betroffenen ein deutlich größeres Opfer abverlangen als die mit der Vermögensverwertung stets verbundenen Einschnitte“.
Der Kläger hatte sich darauf berufen, dass er nur kurzzeitig Leistungen beziehen musste. Schon bei Antragstellung war dem Jobcenter die damals anstehende Wiedereingliederung bekannt.
Wiedereingliederung in das Arbeitsleben stand bevor
Folgende Besonderheit lag hier vor: Der Kläger hatte bei der Deutschen Rentenversicherung am ERGOS-Verfahren teilgenommen. Das ist ein computergestütztes Arbeitsplatzsimulationssystem zur Erfassung komplexer körperlicher Funktionen und Fähigkeiten. Über das Ergebnis hatte die Rentenversicherung den Arbeitgeber informiert, woraufhin dieser Einsatzmöglichkeiten prüfte und einen leidensgerechten Arbeitsplatz schuf.
Für den Monat September 2013 war eine Arbeitserprobung geplant, die auch stattfand. Ende Oktober 2013 konnte der Kläger wie erhofft in das Erwerbsleben zurückkehren.
Klage und Berufung gingen zu Gunsten des Jobcenters aus
Der Kläger wehrte sich gegen die Bewilligung als Darlehen mit Hilfe des DGB Rechtsschutzes in Herford mit Widerspruch und Klage. Zunächst erfolglos.
Auch in der Berufung unterlag der Kläger. Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen vertrat die Ansicht, die Verwertung des Hauses stelle keine besondere Härte dar, wenn bei Antragstellung noch nicht klar sei, dass der Leistungsbezug nur kurzfristig sein wird.
Dem tritt das Bundessozialgericht nun entgegen: Die Forderung nach einer mit ganz überwiegender Wahrscheinlichkeit bestehenden begründeten Aussicht auf Wiedereingliederung in das Erwerbsleben überspanne die Voraussetzungen für eine besondere Härte.
Aus dem Umstand, dass bei Erlass des Bescheides die ernste Möglichkeit bestand, der Kläger werde zeitnah wieder in das Erwerbsleben eingegliedert, folge eine besondere Härte. Dabei berücksichtigen die Richter das ungekündigte Arbeitsverhältnis und die Ermittlung seines Leistungsvermögens mittels der ERGOS-Untersuchung.
LINKS:
Hier geht es zum Terminbericht des Bundessozialgerichts vom 30.08.2017
Zu große Immobile muss nicht unwirtschaftlich verschleudert werden
Hartz IV: Tilgungsraten für Eigenheim in Ausnahmefällen als Zuschuss
Das sagen wir dazu:
Eine erfreuliche Entscheidung des Bundessozialgerichts. Und ein Fall der aufzeigt: Der Weg bis hin zum obersten Instanz der Sozialgerichtsbarkeit kann sich lohnen, auch wenn es rechtlich zunächst nicht rosig aussieht.
Dem Terminbericht des Bundessozialgerichts ist im Zusammenhang mit den nicht zu überspannenden Voraussetzungen der besonderen Härte dieser wichtige Satz zu entnehmen: (…), „zumal die Eingliederung in Arbeit und die Vermeidung einer zukünftigen Hilfebedürftigkeit zentrale Ziele des SGB II sind.“ Jawohl, so ist es und es ist gut, dass das BSG die Jobcenter daran erinnert!
Das Landessozialgericht NRW war der Ansicht, eine ex-post-Betrachtung, also rückwirkend darauf, ob der Kläger wirklich wieder arbeiten konnte und nur kurz Leistungen bezog, verbiete sich. Konkret haben sich die Richter im Termin nicht dazu eingelassen. Es ist davon auszugehen, dass das BSG dem zustimmt. Es hat die besondere Härte auch nicht mit dem sich später herausstellenden kurzen Leistungsbezug begründet. Eine besondere Härte ergebe sich für den Kläger, wenn er trotz des absehbar kurzzeitigen Leistungsbezugs das Haus als Lebensmittelpunkt verwerten müsse. Es kommt also nicht darauf an, was sich später herausstellt, sondern, was zum Zeitpunkt des Antrags absehbar ist.
Verkauf des Hauses nicht nur besondere Härte, sondern auch unwirtschaftlich?
Bastian Brackelmann vom Gewerkschaftlichen Centrum teilt aus der mündlichen Verhandlung noch einen interessanten Aspekt am Rande mit: Die Richter machten Andeutungen, wonach es möglicherweise nicht nur besonders hart, sondern auch offensichtlich unwirtschaftlich sein kann, wenn jemand in fortgeschrittenem Alter sein schuldenfreies Grundeigentum verkaufen muss. Denn zum einen drohe eventuell Altersarmut. Zum anderen müsse das Jobcenter künftig möglicherweise für Mietkosten aufkommen. Insgesamt könne eine Veräußerung zwar zur kurzfristigen Beseitigung der Hilfebedürftigkeit, langfristig aber zur Verschlimmerung derselben führen.
In künftigen Verfahren sollte man diesen Punkt bedenken. Denn Folge kann sein, dass Hilfebedürftige in bestimmten Situationen ihre Immobilien gar nicht mehr verwerten müssen, auch wenn sie nicht angemessen sind.
Das sagen wir dazu