Das Jobcenter soll nach dem Gesetz „ … mit jeder erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person …“ eine Eingliederungsvereinbarung (EV) abschließen.
Rechtsnatur der EV
Das Bundessozialgericht hat klargestellt, dass die EV ein öffentlich-rechtlicher Vertrag ist. Damit sind Rechte und Pflichten für beide Beteiligte verbindlich. Leistungsempfänger*innen können also in der EV zugesagte Eingliederungshilfen verlangen. Auf der anderen Seite müssen sie die Pflichten erfüllen, die sich aus der EV ergeben.
Was letztlich in der EV steht, ist, wie bei allen Verträgen, Verhandlungssache. Es kann sich also durchaus lohnen zu versuchen, mehr Leistungen des Jobcenters oder weniger Verpflichtungen auszuhandeln. Auf jeden Fall aber haben Leistungsempfänger*innen das Recht, den Text der EV - etwa von den qualifizierten Jurist*innen der DGB Rechtsschutz GmbH - prüfen zu lassen, bevor sie den Vertrag unterschreiben.
EV als Teil der individuellen Eingliederungsstrategie
Die EV soll dazu dienen, Leistungsempfänger*innen gerade im Hinblick auf ihre spezifischen Voraussetzungen und Bedürfnisse zu fördern. Deshalb muss das Jobcenter vor der EV eine individuelle Potenzialanalyse erstellen, aus der sich vor allem ergibt, in welchem Umfang welche Eingliederungshilfen erforderlich sind.
Besteht die EV dagegen allein aus vorgefertigten Textbausteinen, darf das Jobcenter einen Verstoß gegen darin geregelte Pflichten der Leistungsempfänger*innen nicht bestrafen.
Laufzeit der EV
Zur Laufzeit einer EV bestimmt das Gesetz:
„Die Eingliederungsvereinbarung soll regelmäßig, spätestens jedoch nach Ablauf von sechs Monaten, gemeinsam überprüft und fortgeschrieben werden. Bei jeder folgenden Eingliederungsvereinbarung sind die bisher gewonnenen Erfahrungen zu berücksichtigen.“
Ändern sich die Verhältnisse während der Laufzeit einer EV, ist sie entsprechend anzupassen.
Inhalt der EV
Eine EV soll regeln,
- zu welchen Eingliederungshilfen sich das Jobcenter verpflichtet
- zu welchen Eigenbemühungen sich die Leistungsempfänger*innen verpflichten.
Leistungsempfänger*innen haben keinen Anspruch darauf, dass sich das Jobcenter zu einer bestimmten Eingliederungshilfe verpflichtet. Das ändert aber nichts daran, dass die Möglichkeit besteht, diese Leistung unabhängig von der EV beim Jobcenter zu beantragen.
Eingliederungshilfen des Jobcenters
Eingliederungshilfen können unter anderem sein:
- Vermittlung in Arbeit
- Bewerbungstraining
- Berufliche Weiterbildung
- Betreuung von minderjährigen Kindern
- Häusliche Pflege von Angehörigen
- Schuldnerberatung.
In der Eingliederungsvereinbarung kann auch vereinbart sein, welche Leistungen die Personen erhalten, die mit der oder dem erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Voraussetzung ist aber eine vorherige Beteiligung dieser Personen.
Eigenbemühungen von Leistungsempfänger*innen
Pflichten von Leistungsempfänger*innen können unter anderem sein:
- Bewerbungen auf vom Jobcenter vorgeschlagene Stellen
- Nachweis von Eigenbemühungen
- Wahrnehmung außerbetrieblicher Trainingsmaßnahmen.
Dabei sollen sich aus der EV sowohl Art als auch Häufigkeit der geforderten Eigenbemühungen ergeben.
EV ohne Verpflichtung des Jobcenters ist nichtig
Regelt die EV ausschließlich die Verpflichtung zu Eigenbemühungen der Leistungsempfänger*innen, ist sie nichtig. Verstöße dagegen darf das Jobcenter nicht bestrafen.
Vergleiche dazu:
und
Sanktionen bei Pflichtverstößen
Wer einer Verpflichtung aus der EV nicht nachkommt, begeht eine Pflichtverletzung, die das Jobcenter mit Sanktionen belegen darf. Hat es vorher über die Folgen belehrt, mindert sich das Arbeitslosengeld II für über 25-Jährige beim ersten Verstoß um 30 % des Regelbedarfs. Ein weiterer Verstoß führt zu einer Minderung von 60 %. Beim dritten Mal entfällt das Arbeitslosengeld II vollständig.
Vergleiche dazu:
Gegen einen Bescheid, mit dem das Jobcenter eine Pflichtverletzung bestraft, ist Widerspruch und Klage möglich. Beides hat jedoch keine aufschiebende Wirkung. Leistungsempfänger*innen können jedoch beantragen, dass das Sozialgericht die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnet.
Ebenfalls im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes können Leistungsempfänger*innen beim Sozialgericht beantragen, vorläufig die Rechtswidrigkeit der EV oder einzelner Teile festzustellen. Diese Vorgehensweise ist sinnvoll, wenn es noch keinen Sanktionsbescheid gibt.
Wenn keine EV zustande kommt
Das Jobcenter kann Leistungsempfänger*innen nicht zu einer EV zwingen. Wenn sie nicht unterschreiben, kommt keine EV zustande. In diesem Fall hat das Jobcenter aber die Möglichkeit, einen so genannten Eingliederungsverwaltungsakt (EVA) zu erlassen. Darin kann es ebenfalls - in diesem Fall einseitig - Eingliederungshilfen und Eingliederungsbemühungen festlegen. Sie sind genauso verbindlich für beide Seiten wie in einer EV. Und sie können zu denselben Sanktionen durch das Jobcenter führen. Für Bescheide, mit denen das Jobcenter Sanktionen verhängt, gilt dasselbe wie bei Sanktionsbescheiden wegen eines Verstoßes gegen Pflichten aus einer EV.
Gegen einen EVA sind Widerspruch und Klage möglich, die ebenfalls keine aufschiebende Wirkung haben. Aber auch hier können Leistungsempfänger*innen beim Sozialgericht beantragen, die aufschiebende Wirkung anzuordnen.
Rechtliche Grundlagen
§§ 15, 31, 31 a, 39 Sozialgesetzbuch II; § 86 b Sozialgerichtsgesetz
§ 15 Eingliederungsvereinbarung
(1) Die Agentur für Arbeit soll unverzüglich zusammen mit jeder erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person die für die Eingliederung erforderlichen persönlichen Merkmale, berufliche Fähigkeiten und die Eignung feststellen (Potenzialanalyse). Die Feststellungen erstrecken sich auch darauf, ob und durch welche Umstände die berufliche Eingliederung voraussichtlich erschwert sein wird.
(2) Die Agentur für Arbeit soll im Einvernehmen mit dem kommunalen Träger mit jeder erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person unter Berücksichtigung der Feststellungen nach Absatz 1 die für ihre Eingliederung erforderlichen Leistungen vereinbaren (Eingliederungsvereinbarung). In der Eingliederungsvereinbarung soll bestimmt werden,
1.
welche Leistungen zur Eingliederung in Ausbildung oder Arbeit nach diesem Abschnitt die leistungsberechtigte Person erhält,
2.
welche Bemühungen erwerbsfähige Leistungsberechtigte in welcher Häufigkeit zur Eingliederung in Arbeit mindestens unternehmen sollen und in welcher Form diese Bemühungen nachzuweisen sind,
3.
wie Leistungen anderer Leistungsträger in den Eingliederungsprozess einbezogen werden.
Die Eingliederungsvereinbarung kann insbesondere bestimmen, in welche Tätigkeiten oder Tätigkeitsbereiche die leistungsberechtigte Person vermittelt werden soll.
(3) Die Eingliederungsvereinbarung soll regelmäßig, spätestens jedoch nach Ablauf von sechs Monaten, gemeinsam überprüft und fortgeschrieben werden. Bei jeder folgenden Eingliederungsvereinbarung sind die bisher gewonnenen Erfahrungen zu berücksichtigen. Soweit eine Vereinbarung nach Absatz 2 nicht zustande kommt, sollen die Regelungen durch Verwaltungsakt getroffen werden.
(4) In der Eingliederungsvereinbarung kann auch vereinbart werden, welche Leistungen die Personen erhalten, die mit der oder dem erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Diese Personen sind hierbei zu beteiligen.
§ 31 SGB II Pflichtverletzungen
(1) Erwerbsfähige Leistungsberechtigte verletzen ihre Pflichten, wenn sie trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis
1.
sich weigern, in der Eingliederungsvereinbarung oder in dem diese ersetzenden Verwaltungsakt nach § 15 Absatz 3 Satz 3 festgelegte Pflichten zu erfüllen, insbesondere in ausreichendem Umfang Eigenbemühungen nachzuweisen,
§ 31a SGB II Rechtsfolgen bei Pflichtverletzungen
(1) Bei einer Pflichtverletzung nach § 31 mindert sich das Arbeitslosengeld II in einer ersten Stufe um 30 Prozent des für die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs. Bei der ersten wiederholten Pflichtverletzung nach § 31 mindert sich das Arbeitslosengeld II um 60 Prozent des für die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs. Bei jeder weiteren wiederholten Pflichtverletzung nach § 31 entfällt das Arbeitslosengeld II vollständig. Eine wiederholte Pflichtverletzung liegt nur vor, wenn bereits zuvor eine Minderung festgestellt wurde. Sie liegt nicht vor, wenn der Beginn des vorangegangenen Minderungszeitraums länger als ein Jahr zurückliegt. Erklären sich erwerbsfähige Leistungsberechtigte nachträglich bereit, ihren Pflichten nachzukommen, kann der zuständige Träger die Minderung der Leistungen nach Satz 3 ab diesem Zeitpunkt auf 60 Prozent des für sie nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs begrenzen.
(2) Bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, ist das Arbeitslosengeld II bei einer Pflichtverletzung nach § 31 auf die für die Bedarfe nach § 22 zu erbringenden Leistungen beschränkt. Bei wiederholter Pflichtverletzung nach § 31 entfällt das Arbeitslosengeld II vollständig. Absatz 1 Satz 4 und 5 gilt entsprechend. Erklären sich erwerbsfähige Leistungsberechtigte, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, nachträglich bereit, ihren Pflichten nachzukommen, kann der Träger unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles ab diesem Zeitpunkt wieder die für die Bedarfe nach § 22 zu erbringenden Leistungen gewähren.
(3) Bei einer Minderung des Arbeitslosengeldes II um mehr als 30 Prozent des nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs kann der Träger auf Antrag in angemessenem Umfang ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen erbringen. Der Träger hat Leistungen nach Satz 1 zu erbringen, wenn Leistungsberechtigte mit minderjährigen Kindern in einem Haushalt leben. Bei einer Minderung des Arbeitslosengeldes II um mindestens 60 Prozent des für den erwerbsfähigen Leistungsberechtigten nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs soll das Arbeitslosengeld II, soweit es für den Bedarf für Unterkunft und Heizung nach § 22 Absatz 1 erbracht wird, an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte gezahlt werden.
(4) Für nichterwerbsfähige Leistungsberechtigte gilt Absatz 1 und 3 bei Pflichtverletzungen nach § 31 Absatz 2 Nummer 1 und 2 entsprechend.
§ 39 SGB II Sofortige Vollziehbarkeit
Keine aufschiebende Wirkung haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt,
1.
der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende aufhebt, zurücknimmt, widerruft, entzieht, die Pflichtverletzung und die Minderung des Auszahlungsanspruchs feststellt oder Leistungen zur Eingliederung in Arbeit oder Pflichten erwerbsfähiger Leistungsberechtigter bei der Eingliederung in Arbeit regelt,
§ 86b Sozialgerichtsgesetz (SGG)
(1) 1Das Gericht der Hauptsache kann auf Antrag
1. in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung haben, die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise anordnen,
2. in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen,
3. in den Fällen des § 86a Abs. 3 die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise wiederherstellen.
2Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen oder befolgt worden, kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. 3Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung oder die Anordnung der sofortigen Vollziehung kann mit Auflagen versehen oder befristet werden. 4Das Gericht der Hauptsache kann auf Antrag die Maßnahmen jederzeit ändern oder aufheben.
(2) 1Soweit ein Fall des Absatzes 1 nicht vorliegt, kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. 2Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. 3Das Gericht der Hauptsache ist das Gericht des ersten Rechtszugs und, wenn die Hauptsache im Berufungsverfahren anhängig ist, das Berufungsgericht. 4Die §§ 920, 921, 923, 926, 928, 929 Absatz 1 und 3, die §§ 930 bis 932, 938, 939 und 945 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend.
(3) Die Anträge nach den Absätzen 1 und 2 sind schon vor Klageerhebung zulässig.
(4) Das Gericht entscheidet durch Beschluss.