Die Entscheidung des Bundessozialgerichts ist eine erhebliche Erleichterung für Arbeitnehmer*innen und ihre Prozessvertreter. Es ist in Zukunft einfacher, eine unwiderrufliche Freistellung zu vereinbaren.
Freistellung nach Kündigung oder Aufhebungsvertrag
Wenn sich Arbeitgeber und Beschäftigte trennen, ist eine unwiderrufliche Freistellung oft sinnvoll: Der Arbeitnehmer kann die bezahlte Freizeit nutzen, sich ohne finanziellen Druck eine neue Arbeit zu suchen. Anders als bei einer Abfindung frisst nicht die Steuer einen Großteil des Geldes auf und er zahlt noch in die Rentenversicherung ein.
Arbeitgeber haben - besonders bei verhaltensbedingten Kündigungen - kein Interesse mehr daran, den Arbeitnehmer im Betrieb zu haben. Da der Lohn ohnehin zu zahlen ist, entsteht nicht der Eindruck, der gekündigte Arbeitnehmer hätte noch etwas extra bekommen. Das lässt sich auch intern besser verkaufen.
Die Freistellung hatte aber bislang für Beschäftigte einen erheblichen Nachteil: Die Zeiten der unwiderruflichen Freistellung wurden bei der Bemessung des Arbeitslosengeldes nicht anerkannt, so dass erhebliche finanzielle Einbußen drohten.
900 Euro mehr Arbeitslosengeld durch Anrechnung der Freistellung
Das sieht das Bundessozialgericht jetzt anders und hat in seiner Entscheidung vom 30. August 2018 festgestellt, dass auch die bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses während der Freistellung gezahlte Vergütung einzubeziehen ist.
Für die Klägerin, eine Pharmareferentin, bedeutet dies fast 900 Euro mehr Arbeitslosengeld, statt der zunächst festgesetzten 862 Euro jetzt monatlich 1.752 Euro.
Die Klägerin hatte mit ihrer Arbeitgeberin einen Aufhebungsvertrag geschlossen, nachdem der Arbeitsvertrag zum April 2012 enden sollte. Bereits ein Jahr vorher, ab Mai 2011, war sie unwiderruflich von der Arbeitsleistung freigestellt. Ihr Gehalt bekam sie weiterhin gezahlt.
BSG: Auch Zeiten der Freistellung sind zu berücksichtigen
Nach Ende des Arbeitsverhältnisses bezog sie zunächst Krankentagegeld bis Ende März 2013, also fast ein weiteres Jahr. Die Bundesagentur für Arbeit berechnete ihr Arbeitslosengeld, ohne die Freistellungsphase zu berücksichtigen.
Die Klägerin sei faktisch zu Mai 2011 aus der Beschäftigung ausgeschieden. Damit lag im üblicherweise zu Grunde zu legenden Zeitraum des letzten Jahres kein sozialversicherungspflichtiges Einkommen vor, so dass die Bundesagentur eine fiktive Bemessung vornahm und auf ein Arbeitslosengeld von täglich 28,72 Euro, monatlich also 862 Euro kam.
Das Bundessozialgericht bezog dagegen die bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses gezahlten Vergütung ein und errechnete das Arbeitslosengeld auf Basis der zurückliegenden zwei Jahre. Damit musste das Arbeitslosengeld auf Grundlage des tatsächlichen Entgelts berechnet werden. Dies betrug täglich 58,41 Euro, im Monat also 1.752 Euro.
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Das sagen wir dazu:
„Eine großartige Entscheidung“ – so kommentiert Bastian Brackelmann, der im Gewerkschaftlichen Centrum für Revision und Europäisches Recht für das Sozialrecht zuständig ist, das Urteil des BSG. Und tatsächlich hat die Entscheidung erhebliche Vorteile für die Beschäftigten, wie sich schon an der Tatsache zeigt, dass die Klägerin fast 900 Euro mehr Arbeitslosengeld bekommt.
Entscheidend sind die Beiträge
Grade in diesem Fall, wo im Anschluss an die Freistellung eine lange Phase geringen Einkommens, hier Krankentagegeld, folgte, wird der Nachteil offenbar, wenn man die Freistellungszeit nicht berücksichtigt.
Dabei ist eine solche Nichtberücksichtigung im Ergebnis nicht zu rechtfertigen: Auch, wenn die Klägerin nicht mehr gearbeitet hat, so hat sie doch in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt und auch ihr Arbeitgeber hat seine Beiträge entrichtet. Warum sollen ihr diese dann nicht zu Gute kommen?
Die Differenzierung zwischen dem Arbeitsverhältnis – das fortbestand – und einem Beschäftigungsverhältnis - das nicht mehr praktiziert wird – ist an dieser Stelle nicht überzeugend. Anders als im Falle eines dauererkrankten Mitarbeiters, bei dem keinerlei Leistungsbeziehungen mehr bestehen, ist bei der Freistellung nur die Arbeitspflicht suspendiert.
Freistellungen können bedenkenlos vereinbart werden
Die Freistellung mag als Belohnung für den Arbeitnehmer gedacht sein, etwa anstelle einer Abfindung, oder als Sicherheitsmaßnahme des Arbeitgebers, der einen gekündigten Arbeitnehmer nicht mehr im Betrieb sehen möchte.
Ein Ende des Beschäftigungsverhältnisses im sozialversicherungsrechtlichen Sinn zu konstruieren ginge daher zu weit, zumal eine wichtige Pflicht eben nicht suspendiert ist – die Beitragszahlung!
Für Prozessvertreter bedeutet die Entscheidung, dass sie in Zukunft ohne rechtliche Bedenken Freistellungen aushandeln können. Der Behelf, nur eine widerrufliche Freistellung zu vereinbaren, verbunden mit der Zusage des Arbeitgebers, er werde hiervon keinen Gebrauch machen, ist nicht mehr notwendig. Er war ohnehin riskant. Zum einen, weil nicht klar war, ob die Bundesagentur dies anerkennen würde. Zum anderen bestand für den Arbeitnehmer immer das Risiko, doch wieder zur Arbeit gerufen zu werden.
Das Bundessozialgericht rückt mit dem Urteil die Maßstäbe wieder zurecht. Es ist eine erhebliche Erleichterung für die betroffenen Arbeitnehmer und ihre Prozessvertreter, auch wenn sich die Unterschiede in der Regel wohl nicht so drastisch auswirken wie im vorliegenden Fall. Denn selten sind Freistellungsphasen so lang, meistens nur einige Monate. Die Diskrepanz ergab sich in diesem Fall vor allem aus der fiktiven Berechnung.
Rechtliche Grundlagen
§ 150 SGB III - Bemessungszeitraum und Bemessungsrahmen
[...]
(3) 1Der Bemessungsrahmen wird auf zwei Jahre erweitert, wenn
1. der Bemessungszeitraum weniger als 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt enthält, …
§ 24 SGB III - Versicherungspflichtverhältnis
(1) In einem Versicherungspflichtverhältnis stehen Personen, die als Beschäftigte oder aus sonstigen Gründen versicherungspflichtig sind.
(4) Das Versicherungspflichtverhältnis endet für Beschäftigte mit dem Tag des Ausscheidens aus dem Beschäftigungsverhältnis …
Das sagen wir dazu