Unterhaltszahlungen
Unterhaltszahlungen

Mit Urteil vom 21.01.2016 hat das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen entschieden, dass ein Arbeitslosengeld II-Empfänger aus seinen Grundsicherungsleistungen keinen Unterhalt an seine Kinder zahlen muss. Dies, so die Richter*innen des 6. Senats, gilt auch dann, wenn er eigenes Einkommen hat und nur ergänzend Arbeitslosengeld II erhält.

Auch Erwerbstätigen-Freibetrag ist geschützt.

In Höhe des Erwerbstätigen-Freibetrages wird sein Einkommen nicht auf die ergänzenden Grundsicherungsleistungen angerechnet, sodass er mehr zur Verfügung hat, als wenn er nicht arbeiten würde. Aber auch diesen Freibetrag muss er nach der rechtskräftigen Entscheidung des Berufungsgerichts nicht an seine Kinder als Unterhalt zahlen.
Der im Raum Hannover wohnende und grundsätzlich zum Kindesunterhalt verpflichtete Vater, der Grundsicherungsleistungen nach dem Sozialgesetzbuch II bezieht schuldet seiner zwölfjährigen Tochter Unterhalt. Neben seinem monatlichen Bruttoverdienst in Höhe von 700 Euro, erhielt er ergänzend Arbeitslosengeld II.
Da er erwerbstätig war, stand ihm ein Freibetrag zu, der im Rahmen des Arbeitslosengeldes nicht als Einkommen angerechnet wurde. Er hatte somit mehr Geld zur Verfügung, als wenn er gar nicht gearbeitet, sondern stattdessen in voller Höhe Grundsicherungsleistungen erhalten hätte. Unterhalt für seine Tochter wurden von dem zuständigen Jugendamt in Form von Unterhaltsvorschussleistungen gezahlt.

Jugendamt verlangt Abzweigung von ALG II-Leistungen zur Erfüllung der Unterhaltspflichten. Sozialgericht gibt Antrag des Jugendamts statt.

Das Jugendamt beantragte beim Jobcenter, das vom Freibetrag des Vaters ein Betrag in Höhe von 50 Euro monatlich zur Erfüllung der Unterhaltspflichten abgezweigt wird.
Das Jugendamt vertrat die Auffassung, der Freibetrag sei höher als der übliche Arbeitslosengeld II-Satz und gehöre nicht zum Existenzminimum, das jedem Arbeitslosengeldempfänger bleiben müsse.
Erstinstanzlich hob das Sozialgericht Hannover mit Urteil vom 27.06.2013 die vom Jugendamt angefochtene Entscheidung auf und verpflichtete das Jobcenter, über den Antrag auf Abzweigung neu zu entscheiden. Gegen die für den unterhaltspflichtigen Vater im Ergebnis negative Entscheidung, ließ das Sozialgericht Hannover wegen grundsätzlicher Bedeutung das Rechtsmittel der Berufung zu.

Landessozialgericht: „Aus Arbeitslosengeld II sind keine Unterhaltszahlungen zu leisten“.

Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen führte in seinem Urteil aus, dass das gesamte Arbeitslosengeld II als soziokulturelles Existenzminimum geschützt sei. Aus dem Arbeitslosengeld II seien keine Unterhaltszahlungen zu leisten.
Dies gelte auch dann, wenn der Grundsicherungsempfänger arbeitstätig sei und aufgrund der Freibeträge nicht sein gesamtes Einkommen auf den Arbeitslosengeld II-Anspruch angerechnet werde.
Ziel des Erwerbstätigenfreibetrages sei es, die Arbeitstätigkeit durch eine Vergünstigung zu fördern und damit die öffentlichen Kassen durch Erzielung eigenen Einkommens zu entlasten. Das Arbeitslosengeld II könne daher in Höhe des Freibetrages nicht für Unterhaltsverpflichtungen abgezweigt werden.

Anmerkung:


Nach § 48 Absatz 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch I können laufende Geldleistungen, die der Sicherung des Lebensunterhalts bestimmt sind, in angemessener Höhe unter anderen an Kinder des Leistungsberechtigten ausgezahlt werden, wenn dieser ihnen gegenüber seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht nachkommt. Hiervon ist in dem vom Landessozialgericht entschiedenen Fall auszugehen.

Da ein Unterhaltstitel zu Gunsten des Jugendamtes vorliegt, steht die Unterhaltspflicht und somit auch die Leistungsfähigkeit des Beziehers von Grundsicherungsleistungen fest.

Bei dem dem Vater des Kindes gewährten Arbeitslosengeld II handelt es sich um eine laufende Geldleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts, so dass die tatbestandlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Somit ist das Begehren des Jugendamtes auf Auszahlung eines Teils des Arbeitslosengeldes II, in Höhe eines Teils der Freibeträge grundsätzlich zulässig. Denn eine Abzweigung „in angemessener Höhe“ schließt, nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, immer die Möglichkeit ein, nur Teile einer Leistung zu erfassen.

Die Frage der „angemessenen Höhe“ ist im Rahmen der Ermessenausübung durch das beklagte Jobcenter zu beantworten. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts hat das Jobcenter mit dem Widerspruchsbescheid eine rechtmäßige Ermessensentscheidung getroffen, indem der Antrag des Jugendamtes auf Abzweigung mit der Begründung abgelehnt wurde, das Arbeitslosengeld II gewährleiste das soziokulturelle Existenzminimum und sei deshalb dem Zugriff im Wege der Vollstreckung entzogen.

Erstinstanzlich wurde das dem unterhaltspflichtigen Vater zustehende soziokulturelle Existenzminimum nicht ausreichend berücksichtigt. Aus Artikel 1 Abs. 1 Grundgesetz in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz ergibt sich, dass dies ein menschenwürdiges Existenzminimum gewährleisten soll. Es enthält einen Anspruch auf die Zurverfügungstellung derjenigen Mittel, die zur Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich sind. So gehören neben Nahrung und Kleidung, Miet- und Heizkosten sowie Kosten für medizinische Notfallversorgung auch Aufwendungen für Freizeit und Kultur dazu.

Bei Streitigkeiten vor den Sozialgerichten sind Urteile nur dann berufungsfähig, wenn der Streitwert von 750 Euro überschritten wird. Im vorliegenden Fall betrug der Streitwert nur 500 Euro. Da die Sache aus Sicht des erstinstanzlichen Gerichts von grundsätzlicher Bedeutung war, hat das Sozialgericht die Berufung zum Landessozialgericht zugelassen. Dieses kam unter Aufhebung der Entscheidung des Erstgerichts zu dem Ergebnis kam, dass das Jobcenter sich zu Recht einer Abzweigung des Arbeitslosengeldes II in Höhe von 50 Euro monatlich verweigerte. Begründet wurde dies damit, dass das gesamte Arbeitslosengeld II als soziokulturelles Existenzminimum geschützt sei.

Die rechtskräftige Entscheidung des Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen dürfte bundesweit sicherlich Einfluss auf zukünftige Entscheidungen der Jobcenter haben, die nicht selten das soziokulturelle Existenzminimum außer Betracht lassen und zur Befriedigung von Gläubiger*innen Abzweigungen aus den Grundsicherungsleistungen vornehmen.

Arbeitslosengeld II – Empfänger*innen, von deren Grundsicherungsleistungen durch das zuständige Jobcenter Abzweigungen vorgenommen werden, sollten sich unter Hinweis auf die Entscheidung des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 21.01.206 auf den Schutz des soziokulturellen Existenzminimums berufen.

Das Urteil des Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen vom 21.01.2016 - L 6 AS 1200/13 - finden Sie hier im Volltext:

Rechtliche Grundlagen

§ 48 Sozialgesetzbuch I
Auszahlung bei Verletzung der Unterhaltspflicht

(1) Laufende Geldleistungen, die der Sicherung des Lebensunterhalts zu dienen bestimmt sind, können in angemessener Höhe an den Ehegatten, den Lebenspartner oder die Kinder des Leistungsberechtigten ausgezahlt werden, wenn er ihnen gegenüber seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht nachkommt. Kindergeld, Kinderzuschläge und vergleichbare Rentenbestandteile (Geldleistungen für Kinder) können an Kinder, die bei der Festsetzung der Geldleistungen berücksichtigt werden, bis zur Höhe des Betrages, der sich bei entsprechender Anwendung des § 54 Abs. 5 Satz 2 ergibt, ausgezahlt werden. Für das Kindergeld gilt dies auch dann, wenn der Kindergeldberechtigte mangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig ist oder nur Unterhalt in Höhe eines Betrages zu leisten braucht, der geringer ist als das für die Auszahlung in Betracht kommende Kindergeld. Die Auszahlung kann auch an die Person oder Stelle erfolgen, die dem Ehegatten, dem Lebenspartner oder den Kindern Unterhalt gewährt.

(2) Absatz 1 Satz 1, 2 und 4 gilt entsprechend, wenn unter Berücksichtigung von Kindern, denen gegenüber der Leistungsberechtigte nicht kraft Gesetzes unterhaltspflichtig ist, Geldleistungen erbracht werden und der Leistungsberechtigte diese Kinder nicht unterhält.


Artikel 1 Grundgesetz
(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

Artikel 20 Grundgesetz
(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.
(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.
(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.
(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.