Ein gewisses Durchhaltevermögen muss man schon haben, um eine solche höchstrichterliche Entscheidung zu erreichen. Glücklicherweise hatte das Gewerkschaftsmitglied genug davon, denn nur so sind wichtige Urteile wie dieses zu erzielen. An der Seite der Klägerin stand der DGB Rechtsschutz, zuletzt in Person von Bastian Brackelmann vom Gewerkschaftlichen Centrum für Revision und Europäisches Recht.
Kündigung wegen Betriebsstilllegung - Lohnverzicht wird ausgeglichen
Der Anfang der Geschichte liegt schon einige Jahre zurück. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin wurde zum 30.06.2012 wegen einer Stilllegung des Betriebs gekündigt. Mit der letzten Abrechnung erhielt die Klägerin anteilig Lohn nachgezahlt, auf den sie zuvor verzichtet hatte.
Die Arbeitsagentur war der Ansicht, die Klägerin habe diese Nachzahlung „wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses“ erhalten. Deshalb sei der Betrag nicht für das Bemessungsentgelt zu berücksichtigen. Das sahen schon das Sozialgericht Halle als auch das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt anders.
Nachzahlung erfolgte nicht im Wesentlichen wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses
Rechtlich stand in diesem Verfahren die Vorschrift des § 151 SGB III im Fokus Die Höhe des Arbeitslosengeldes richtet sich nach dem Bemessungsentgelt. Dieses wird im Gesetz definiert als das durchschnittlich auf den Tag entfallende beitragspflichtige Arbeitsentgelt, das die oder der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat.
Außer Betracht bleiben nach der weiteren gesetzlichen Regelung solche Arbeitsentgelte, die Arbeitslose wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses erhalten oder die im Hinblick auf die Arbeitslosigkeit vereinbart worden sind.
Darauf gestützt hatte die Agentur für Arbeit den nachgezahlten Lohn nicht miteinbezogen. Das Arbeitsentgelt, auf das die Klägerin verzichtet hatte, habe sie ja anlässlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses erhalten.
Erfolglosigkeit des vereinbarten Lohnverzichts stand im Vordergrund
Das stimmt so weit auch. Die Richter beim Bundessozialgericht kamen dennoch wie ihre Kollegen zuvor zu dem Ergebnis, dass der Nachzahlungsbetrag nicht unter den Ausschluss des § 151 SGB III fällt. Gemessen daran, was wesentlich für die Zahlung war, sei diese nicht „wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses“ erfolgt, sondern wegen Erfolglosigkeit des vereinbarten Lohnverzichts.
Die Klägerin hatte auf Teile des Lohns in der Hoffnung verzichtet, dass sich die wirtschaftliche Lage des Unternehmens bessert und sie langfristig ihren Arbeitsplatz behalten kann. Dabei hatten Arbeitnehmer und Arbeitgeber auch im Blick, was passieren soll, wenn das Erhoffte nicht eintritt: Wenn der Lohnverzicht seinen Zweck verfehlt, sollten zumindest Teile des entgangenen Entgelts nachgezahlt werden.
So kam es dann auch. Trotz Lohnverzichts kam das Unternehmen nicht wieder auf die Beine, der Betrieb wurde stillgelegt und die Klägerin erhielt anteilig den Lohn gezahlt, auf den sie zuvor verzichtet hatte. In einem solchen Fall gehöre die Nachzahlung zum Bemessungsentgelt, so die Richter beim Bundessozialgericht. Die Agentur für Arbeit muss das Arbeitslosengeld neu berechnen und die Differenz an die Klägerin auszahlen.
Anderes Ergebnis möglich, wenn Arbeitgeber Lohnverzicht nicht oder zu spät ausgleicht
Aber Achtung: Zu dem Ergebnis konnten die Richter nur kommen, da der ehemalige Arbeitgeber den Vergütungsanspruch der Klägerin tatsächlich noch abgerechnet und ausgezahlt hatte.
Der Bemessungszeitraum umfasst nach dem Gesetz (§ 150 SGB III) die beim Ausscheiden aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume. Danach hätte die Klägerin schon in die Röhre geguckt, wenn sie erst wegen des Lohnverzichts hätte streiten müssen und der Arbeitgeber später Lohn nachgezahlt hätte.
Wenn ein Anspruch bestanden hätte, das Geld daraus allein wegen Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers nicht zugeflossen wäre, würde es wiederum berücksichtigt.
Einen ähnlichen Fall hat das BSG anders entschieden, da dort der Lohn, auf den die Mitarbeiter verzichtet hatten, dem Kläger gar nicht mehr zugeflossen war. Da der unterbliebene Zufluss nicht allein auf der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers beruhte, sondern die Insolvenz erst später dazu kam, galt der entgangene Lohn hier auch nicht als zugeflossen.
Man kann also nicht grundsätzlich sagen, ein Lohnverzicht schmälere das Arbeitslosengeld nicht.
Hier muss im Einzelfall differenziert werden und eine rechtliche Beratung ist sinnvoll.
Die Pressemitteilung des Bundessozialgerichts zum Urteil vom 24.08.2017 Bundessozialgericht, Az.: B 11 Al 16/16 R, gibt es hier
Hier gibt es weitere Informationen:
Bei Kündigung Nachteile beim Arbeitslosengeld vermeiden
Arbeitslosengeld: Keine nachträgliche Verschiebung der Rahmenfrist
Rechtliche Grundlagen
Auszüge aus §§ 150, 151 Sozialgesetzbuch (SGB) Drittes Buch (III) - Arbeitsförderung -
§ 150 SGB III Bemessungszeitraum und Bemessungsrahmen
(1) Der Bemessungszeitraum umfasst die beim Ausscheiden aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume der versicherungspflichtigen Beschäftigungen im Bemessungsrahmen. Der Bemessungsrahmen umfasst ein Jahr; er endet mit dem letzten Tag des letzten Versicherungspflichtverhältnisses vor der Entstehung des Anspruchs.
§ 151 SGB III Bemessungsentgelt
(1) Bemessungsentgelt ist das durchschnittlich auf den Tag entfallende beitragspflichtige Arbeitsentgelt, das die oder der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat. Arbeitsentgelte, auf die die oder der Arbeitslose beim Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis Anspruch hatte, gelten als erzielt, wenn sie zugeflossen oder nur wegen Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers nicht zugeflossen sind.
(2) Außer Betracht bleiben Arbeitsentgelte,
1. die Arbeitslose wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses erhalten oder die im Hinblick auf die Arbeitslosigkeit vereinbart worden sind,(…)