Der 1968 geborene Kläger war bereits seit 1989 als Verwaltungsfachangestellter in der Stadtverwaltung beschäftigt. Die Stadt Siegen kündigte im November 2020 das Beschäftigungsverhältnis außerordentlich.
Der Kläger meldete sich arbeitssuchend und beantragte Arbeitslosengeld. Gegen die Kündigung erhob er Kündigungsschutzklage beim örtlichen Arbeitsgericht.
Sperrzeit für den Zeitraum vom 05.11.2020 bis 27.01.2021
Die Stadt teilte auf Nachfrage der Agentur für Arbeit mit, der Grund für die Kündigung sei der Verkauf und die Weitergabe von Drogen an einen anderen Beschäftigten gewesen, was während der Arbeitszeit in seinem Büro im Rathaus erfolgt sei.
Der gekündigte Mitarbeiter räumte ein, während der Dienstzeit Amphetamine eingenommen und gegen die Allgemeine Geschäftsanweisung der Stadt verstoßen zu haben. Es sei jedoch Niemandem ein Nachteil entstanden. Weder Arbeitsleistung noch Arbeitsqualität seien in irgendeiner Weise beeinträchtigt gewesen. Im Übrigen habe die Stadt gegen ihre eigene Dienstvereinbarung über die Betreuung suchtgefährdeter und suchtkranker Beschäftigter bei der Stadtverwaltung verstoßen.
Er habe mit einem Arbeitskollegen, immer derselbe, im Dienstgebäude Drogen konsumiert. Er habe aber nie Drogen an Dritte verkauft oder weitegegeben. Es sei ihm nicht klar gewesen, dass er seinen Arbeitsplatz gefährdet, da er suchtkrank sei. Inzwischen sei er sich seiner Erkrankung bewusst und habe bereits Kontakt mit der Diakonie aufgenommen, um schnellstmöglich eine Therapie zu beginnen.
Vergleich im Kündigungsschutzverfahren
Im März 2021 fand ein Gütetermin beim Arbeitsgericht statt. Es gab eine vergleichsweise Einigung, wonach das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht fristlos, sondern zu Ende Juni 2021 sein Ende gefunden hat.
Noch im gleichen Monat teilte der Kläger der Arbeitsagentur mit, dass ihm die Deutsche Rentenversicherung eine stationäre medizinische Rehabilitation von 15 Wochen bewilligt hat.
Arbeitgeber hält an Kündigungsgründen fest
Nachdem die Stadt der Agentur für Arbeit mitteilte, sie halte trotz des Vergleichs über eine ordentliche Kündigung an den Kündigungsgründen fest, verblieb es auch bei der Sperrzeit.
Der DGB Rechtsschutz Siegen erhob deshalb Klage beim Sozialgericht. Das Urteil fiel positiv aus.
Die Arbeitsagentur habe zu Unrecht den Eintritt einer Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe festgestellt.
Grundsätzlich löse jede Kündigung wegen objektiv vertragswidrigen Verhaltens die Sperrzeitrechtsfolge aus. Eine Sperrzeit könne auch ausgesprochen werden, wenn das vertragswidrige Verhalten keine verhaltensbedingte Kündigung rechtfertige. Allerdings könnte auch im Falle einer rechtmäßigen verhaltensbedingten Kündigung eine Sperrzeit unrechtmäßig sein, wenn der Arbeitnehmer subjektiv nicht mit der Kündigung rechnen musste. Insoweit sei zwischen dem arbeitsvertragswidrigen Verhalten und einem Verschulden bei Herbeiführung der Arbeitslosigkeit zu unterscheiden.
Sozialgericht hört den Arbeitskollegen als Zeugen
Der Kläger erklärte im Rahmen seiner persönlichen Anhörung zu Protokoll, er habe ausschließlich bei sich zuhause Drogen an den Zeugen weitergeben und zum Selbstkostenpreis verkauft. Der Zeuge sagte aus, er habe für sich immer die Drogen mit in das Büro gebracht, die der Kläger ihm in seiner Wohnung zuvor gegeben hat. Er könne sich heute nicht mehr daran erinnern, ob er dem Kläger auch mal während der Arbeitszeit Geld für die Drogen gegeben hat.
Nach der Beweisaufnahme war das Gericht nicht zweifelsfrei davon überzeugt, dass der Kläger überhaupt Drogen während der Arbeitszeit an den Zeugen weitergegeben oder verkauft hätte. Warum die Geldübergabe im Büro, die Übergabe der Drogen aber bei dem Kläger zuhause stattgefunden haben sollen, erschließe sich nicht. Im Ergebnis war das Gericht also von den Kündigungsgründen - die Weitergabe und den Verkauf von Drogen während der Arbeitszeit an den Zeugen - nicht überzeugt.
Es konnte aber offenlassen, ob tatsächlich die Gründe vorliegen, auf die sich die Stadt in der Kündigung beruft.
Kläger ist weder Vorsatz noch grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen
Denn jedenfalls sei man davon überzeugt, dass der Kläger subjektiv nicht mit der Kündigung rechnen musste, da ihm kein Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit vorgeworfen werden könne.
Für die grobe Fahrlässigkeit ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ein subjektiver Verschuldensbegriff unter Berücksichtigung des persönlichen Urteils-, Einsichts- und Kritikvermögens des Arbeitslosen zugrunde zu legen. Sie ist nur gegeben, wenn der Arbeitslose die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße dadurch verletzt, dass er einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellt und ferner nicht beachtet, was jedem einleuchten muss.
Daran orientierte sich auch das Sozialgericht bei seiner Entscheidung.
Hier scheitere der Vorsatz oder die grobe Fahrlässigkeit des Klägers bereits an der fehlenden der verhaltensbedingten Kündigung vorausgegangenen Abmahnung. In der Regel müsse einer verhaltensbedingten Kündigung nämlich eine Abmahnung vorausgehen. Dem Arbeitnehmer fehle es ansonsten im Hinblick auf die eingetretene Arbeitslosigkeit am Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit.
Stadt hatte den Kläger vor der Kündigung nicht abgemahnt
Nach der Beweisaufnahme stehe fest, dass die Stadt dem Kläger ohne vorherige Abmahnung außerordentlich gekündigt hatte. Gründe, warum hier eine Ausnahme vom Grundsatz vorliegen sollte, seien nicht ersichtlich. Gerade aufgrund der langen Betriebszugehörigkeit des Klägers, der immerhin seit 1989 bei der Stadt beschäftigt war, wäre eine vorherige Abmahnung zwingend erforderlich gewesen. Dies insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass der Kläger von vornherein abgestritten hat, Drogen während der Arbeitszeit an den Kollegen weitergegeben und verkauft zu haben.
Das Gericht sah sich in seiner Auffassung, dass eine Abmahnung erforderlich gewesen wäre, auch dadurch bestätigt, dass der Kündigungsschutzprozess durch Abschluss eines Vergleichs endete, mit dem die außerordentliche Kündigung in eine ordentliche Kündigung umgewandelt wurde. Selbst, wenn also die verhaltensbedingte ordentliche Kündigung gerechtfertigt gewesen wäre, sei die Sperrzeit jedenfalls nicht Anfang November 2020, sondern erst mit Ablauf der für den Arbeitgeber maßgebenden Kündigungsfrist eingetreten. Ein früherer Eintritt der Arbeitslosigkeit sei nicht durch das Verhalten des Klägers verursacht.
Einsichtsfähigkeit fehlte aufgrund der Suchtabhängigkeit
Darüber hinaus habe der Kläger nicht grob fahrlässig gehandelt, da er, wovon das Gericht überzeugt war, bereits im Oktober 2020 derart suchtabhängig war, dass ihm die Einsicht für die Rechtsfolgen seines Handelns fehlte.
Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung des BSG liege keine grobe Fahrlässigkeit vor, wenn die Sucht bereits als Krankheit zu beurteilen ist. Dies sei hier der Fall. Das schloss das Gericht auch daraus, dass der Kläger schon kurz nach dem Verlust des Arbeitsplatzes, im Februar 2021, bei der Deutschen Rentenversicherung einen Antrag auf eine stationäre medizinische Rehabilitation gestellt hatte, der auch bewilligt wurde. Dadurch habe er sich aktiv mit seiner Suchterkrankung auseinandergesetzt.
Nach alledem sei die Sanktionsentscheidung aufzuheben.