Mit Urteil vom 23.02.2016 hat das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen entschieden, dass ein gegen die Bescheide des Jobcenters gestellter Überprüfungsantrag konkret begründet sein muss. Im Sozialrecht gebe es zwar die Besonderheit, dass grundsätzlich jeder Bescheid überprüft werden kann, auch wenn nicht rechtzeitig Widerspruch eingelegt wurde und der Bescheid bestandskräftig ist. Ein solcher Überprüfungsantrag müsse aber konkret begründet werden und - so die Richter*innen des 11. Senats - kann nicht pauschal alle ergangenen Bescheide beanstanden.
Zugrunde lag dem Verfahren der Fall eines jungen Mannes, der zunächst in einer Jugendhilfeeinrichtung wohnte. Als er seine erste eigene Wohnung anmietete, bekam er vom Jobcenter Grundsicherungsleistungen und ein Darlehen für die Mietkaution. Widerspruch legte der Kläger gegen diese Bescheide nicht ein.
Anwalt des Klägers stellt Überprüfungsanträge, begründet diese aber nicht!
Einige Monate später beantragte der Kläger mit Hilfe seines Anwaltes mit mehreren gleichlautenden Anträgen die Überprüfung sämtlicher Bescheide, die er bisher vom Jobcenter erhalten hatte. Er begründete seine Überprüfungsanträge jedoch nicht, sodass für das Jobcenter nicht ersichtlich war, was er konkret für falsch hielt. Die Überprüfungsanträge wurden abgelehnt, da der Mann nicht im Ansatz eine Rechtswidrigkeit der gerügten Bescheide dargelegt habe.
Sozialleistungsträger ist ohne erkennbaren Grund nicht zur inhaltlichen Überprüfung seiner Bescheide verpflichtet
In seinem Urteil vom 23.02.2016 führte das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen aus, dass ein Sozialleistungsträger nicht zur inhaltlichen Überprüfung seiner Bescheide verpflichtet sei, wenn er den Einzelfall, der überprüft werden solle, objektiv gar nicht ermitteln könne. Der Überprüfungsantrag des Klägers sei zu unkonkret, da er sämtliche ergangenen Bescheide überprüft wissen wollte, ohne dass klar sei, welcher konkrete Bescheid und welche konkrete Regelung gerügt werden. Es sei unerheblich, ob ein Überprüfungsantrag gegen "sämtliche ergangene Bescheide" gestellt werde, oder ob eine Vielzahl von Überprüfungsanträgen einzeln gegen die Bescheide gestellt werde. In beiden Fällen, seien im Ergebnis alle ergangenen Bescheide zur Überprüfung gestellt. In einem solchen Fall könne die Behörde nicht herausfinden, was genau gerügt werde.
Am Tag der mündlichen Verhandlung beim Sozialgericht Braunschweig, zu der weder der Kläger, noch dessen Prozessbevollmächtigter erschienen, erfolgte per Telefax um 6:49 Vortrag zum Überprüfungsantrag. Das Gericht wies darauf hin, dass der Betroffene seine Rügen noch im Verwaltungsverfahren konkret darlegen müsse und nicht erst im Gerichtsverfahren. Der Vortrag kam also zu spät.
Anmerkung:
Ist die Widerspruchsfrist von einem Monat nach Bekanntgabe gegen einen vom Jobcenter oder einer anderen Leistungsbehörde erlassenen Bescheid (Verwaltungsakt) abgelaufen, wird dieser nach § 77 SGG bestandskräftig und damit unanfechtbar. Eine Klage gegen diesen Bescheid ist nach Ablauf der Widerspruchsfrist nicht mehr möglich.
Der Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X bietet im deutschen Sozialrecht jedem Betroffenen die Möglichkeit, einen nicht rechtskonform erlassenen Verwaltungsakt durch die zuständige Behörde überprüfen zu lassen. Auch, wenn der Verwaltungsakt bereits bestandskräftig geworden ist, besteht noch die Möglichkeit den Fall nochmal „aufzurollen“, indem man einen Überprüfungsantrag bei dem Jobcenter stellt um einen Verwaltungsakt durch die zuständige Behörde überprüfen zu lassen.
Wenn man einen bereits bestandskräftigen Bescheid überprüfen lassen will, reicht es nicht aus nur einen Antrag auf Überprüfung zu stellen. Ein solcher Antrag ist selbstredend auch zu begründen. Das dies dem Anwalt des Klägers offenkundig nicht bekannt war und der Rechtsstreit durch zwei Instanzen getrieben wurde, ist für den Autor mehr als verwunderlich.
Das Urteil des Landessozialgericht Niedersachsen vom 23.02.2016, Az: - L 11 AS 1392/13 - finden Sie hier im Volltext.
Hinweise der Bundesagentur zur Arbeit zu Überprüfungsanträgen nach § 44 SGB X
Rechtliche Grundlagen
Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X)
(1) Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.
(2) Im Übrigen ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.
(3) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.
(4) Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag.