Ob ein Unfall ein Arbeitsunfall ist oder nicht, hat für die Betroffenen erhebliche Auswirkungen. Die Leistungen der Unfallversicherungsträger sind umfassend. Derjenige, der einen Arbeitsunfall erleidet, hat Anspruch auf Heilbehandlung und Rehabilitationen ohne dazu zu zahlen.
Alle Ansprüche richten sich gegen die Berufsgenossenschaft
Es wird Verletztengeld (wie Krankengeld) gezahlt. Daneben kommen Teilhabeleistungen wie Umschulungen in Betracht. Wenn erhebliche Unfallfolgen bleiben, besteht Anspruch auf Verletztenrente. Auch die Hinterbliebenen haben Ansprüche, wenn der Arbeitsunfall tödlich endet.
Arbeitgeber zahlen die Beiträge zur Unfallversicherung alleine. Grundsätzlich haften daher Arbeitgeber nicht selber, sondern alle Ansprüche richten sich gegen die zuständige Berufsgenossenschaft. Die Arbeitnehmer haben damit einen zahlungsfähigen Gegner, wenn die Anerkennung als Arbeitsunfall gelingt.
Meist muss beurteilt werden, ob das erlittene Leiden ursächlich durch den Unfall entstanden ist. Da wird es ganz medizinisch und häufig erfahren die Betroffenen, dass auch vorher schon ein Verschleiß vorgelegen hat und der Unfall nicht ausreicht, um solch gravierende Folgen auszulösen.
Abgrenzung zwischen versichertem und unversichertem Lebensbereich
Zu dem Streit über mögliche Unfallfolgen gelangt man nur, wenn der Unfall sich im versichertem Bereich ereignet hat. Was ist versichert, was nicht? Jeder hat schon einmal von Wegeunfällen gehört, Der Hin-und Rückweg zur Arbeit ist auch versichert.
Rechtlich schwierig wird die Grenzziehung, wann ein versicherter Weg „privat“ und damit unversichert ist. Aber wann ist etwas noch ein versicherter Weg und wann ist es privat?
Neumann arbeitet fünf Stunden am Stück, da kommt es vor, dass er seine Arbeit unterbrechen muss, um die Firmentoilette aufzusuchen. Auf dem Weg dahin ist er grundlos gestolpert und hat sich beim Sturz erheblich verletzt.
Wege zur Toilette/Kantine sind versichert
Grundsätzlich sind die Wege zur Toilette oder Kantine versichert. Das gilt sowohl für den Hin- als auch für den Rückweg. Für den Toilettengang formulierte schon das Bundessozialgericht 1989, dass es sich dabei um regelmäßig unaufschiebbare notwendige Handlungen handele, die der Fortsetzung direkt im Anschluss daran diene und somit auch im mittelbaren Interesse des Arbeitgebers liege.
Auch beim Essen und Trinken ist anerkannt, dass es der Erholung und der Aufrechterhaltung der Arbeitsfähigkeit dient. Damit haben diese Tätigkeiten den erforderlichen engen Bezug zur versicherten Tätigkeit.
Dementsprechend gehören diese Wege zum versicherten Bereich. Wer hier stürzt und sich verletzt, erleidet einen Arbeitsunfall.
Wege beim Home-Office nicht versichert
Neumann hat in seinem Dachgeschoss einen Arbeitsraum mit Telearbeitsplatz. Er arbeitet für seinen Arbeitgeber zu Hause im Home-Office. Als er die Arbeit unterbricht und die Treppe zur Küche runtergeht um sich was zu Trinken zu holen, stürzt er schwer.
Hierzu hat das BSG am 5. Juli 2016 (AZ B 2U 5/15/R) entschieden, dass zwar die dienstliche Tätigkeit in den häuslichen Bereich verlagert worden ist. Das ändere aber nichts daran, dass es die private Sphäre bleibe und damit nicht versichert sei.
Der Arbeitnehmer habe die Risiken, die in seiner privaten Wohnung auftreten, selbst zu tragen. Anders als in betrieblichen Räumen habe der Arbeitgeber auch keine Möglichkeit präventive, gefahrenreduzierende Maßnahmen zu ergreifen. Aus Gründen der sachgerechten Risikoverteilung verbleibe das vom häuslichen und damit persönlichen Lebensbereich ausgehende Unfallrisiko beim Arbeitnehmer.
Was ist mit Unfällen im Toilettenvorraum?
Neumann hat es diesmal bis zum Vorraum der Toilette geschafft und nicht gesehen, dass dort die Fliesen nass waren. Er rutscht aus und hat sich wiederum erheblich verletzt. Die Rechtsprechung nennt es „Die Verrichtung der Notdurft“ und rechnet diese dem privaten und damit unversicherten Lebensbereich zu.
Da die Unfallversicherung das absichern soll, was noch in einem inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit liegt, ist es nachvollziehbar, dass das reine Urinieren nicht versichert ist. Genauso wird die Nahrungsaufnahme in der Kantine als „privat“ angesehen.
Also wäre Neumann in der Toilettenkabine beim Urinieren gestürzt, ist es klar privat und damit kein Arbeitsunfall. Neumann ist aber im Vorraum gestürzt - ist das denn auch schon privat?
Ist es anders beim Unfall im Toilettenraum oder in der Kantine?
Ja und daher scheitert Neumann mit seinem Verfahren. Das Sozialgericht Stuttgart ( Gerichtsbescheid vom 29. Juni 2018 - S 12 U 1746/17) lehnte die Klage in einem solchen Fall ab. Der unversicherte Bereich umfasse nicht nur das Verrichten der Notdurft selbst, sondern den gesamten Aufenthalt in der Toilettenanlage (Anschluss an LSG Baden_Württemberg, Urteil vom 30. Juli 2015, L 6 U 526/13). Mit einem nassen Boden müsse da gerechnet werden, es sei keine besondere Gefahrensituation.
Dies gilt auch, wenn ein Versicherter auf seinem Arbeitsweg eine öffentliche Toilette aufsucht und dort im Vorraum stürzt und sich verletzt. Dazu hat das Bayrische Landessozialgericht geurteilt (Urteil vom 15. Januar 2014 L 2 U 204/13): Unterbricht ein Versicherter den Weg nach oder von dem Ort der Tätigkeit, um eine öffentliche Toilette zur Verrichtung der Notdurft aufzusuchen, endet der Versicherungsschutz spätestens mit Durchschreiten der Außentür der Toilettenanlage, nicht erst mit der Tür der Toilettenkabine.
Ist es bei der Kantine anders?
Neumann hat in der Kantine nicht gesehen, dass sein Vordermann so ambitioniert seinen Teller vollgeladen hat, dass die Oberflächenspannung der Suppe nicht ausreichte und ein ordentlicher Klatsch auf den Kantinenboden fiel. Die Zeit, die der Kollege brauchte, um sein Tablett abzustellen und einen Putzlappen zu holen, war zu lang. Neumann stürzte und verletzte sich schwer.
Das Sozialgericht Heilbronn (Urteil vom 26. März 2012 - S 5 U 1444/11) führt zu einem Unfall an der Salatbar aus, dass der dortige Kläger zum Zeitpunkt seines Sturzes in der Werkskantine keine Handlung verrichtet habe, die der unfallversicherten Tätigkeit zuzurechnen sei. Nahrungsaufnahme sei privat und hier gelte nichts Anderes.
In allen geschilderten Fällen lag kein Arbeitsunfall vor. Entscheidend ist, wo genau sich der Unfall ereignet hat. Danach ist der versicherte Weg also mit dem Durchschreiten der Tür zum Vorraum zu Ende. Das gleiche dürfte für die Kantine gelten.
In den versicherten Bereich hineinfallen kann ausreichend sein.
Das Leben ist gefährlicher, als man denkt. Neumann knickt beim Rausgehen aus dem Vorraum um (unversichert), und fällt in den versicherten Bereich. Das LSG Berlin Brandenburg hatte mit Urteil vom 20. September 2012 (L 2 U 3/12) darüber zu entscheiden, ob es sich um einen Arbeitsunfall handelt, wenn jemand sein Haus verlässt (unversichert), dann innen ins Straucheln kommt und über die Schwelle nach draußen auf den Arbeitsweg stürzt.
Die Verletzung erfolgte durch den Aufprall im versicherten Bereich. Dies hielt das Gericht für ausschlaggebend. Da der Kläger sich im versicherten Bereich verletzte war es unerheblich, dass sich die Ursache des Sturzes noch im unversicherten Bereich ereignete.
Die Verfasserin versteht das Urteil so: Wenn Neumann im unversicherten Bereich umknickt und in den versicherten Bereich fällt, kommt es ganz genau darauf an, wo er die Verletzung erlitten hat. Im entschiedenen Fall war es klar durch den Aufprall im versicherten Bereich. Hätte er sich durch ein Umknicken im unversicherten Bereich die Bänder gerissen, wären nur die Aufprallfolgen Arbeitsunfall und nicht der Bänderriss. Das scheint konsequent.
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Das sagen wir dazu:
Auch wir haben wieder so einen Toilettenfall. Der Betroffene bekommt ja nicht zu sehen, was die Ärzte in den Unfallbericht schreiben, so kam es zu unterschiedlichen Schilderungen und nach dem dargelegten hängt es davon ab, wo genau der Sturz erfolgte und gegebenenfalls auch wohin man gefallen ist.
Es kann daher nicht genau genug beschrieben werden, wo und auch wie sich Unfälle ereignet haben. Wird das im Verfahren nachgeholt, dann schlägt dem Betroffenen Misstrauen entgegen, weil man meint, der Vortrag sei so angepasst worden, dass eine Anerkennung als Arbeitsunfall rausspringen könne.
Rechtliche Grundlagen
§ 8 SGB VII
(1) Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen.
(2) Versicherte Tätigkeiten sind auch
1. das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit,
2. das Zurücklegen des von einem unmittelbaren Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit abweichenden Weges, um
a) Kinder von Versicherten (§ 56 des Ersten Buches), die mit ihnen in einem gemeinsamen Haushalt leben, wegen ihrer, ihrer Ehegatten oder ihrer Lebenspartner beruflichen Tätigkeit fremder Obhut anzuvertrauen oder
b) mit anderen Berufstätigen oder Versicherten gemeinsam ein Fahrzeug zu benutzen,
3. das Zurücklegen des von einem unmittelbaren Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit abweichenden Weges der Kinder von Personen (§ 56 des Ersten Buches), die mit ihnen in einem gemeinsamen Haushalt leben, wenn die Abweichung darauf beruht, daß die Kinder wegen der beruflichen Tätigkeit dieser Personen oder deren Ehegatten oder deren Lebenspartner fremder Obhut anvertraut werden,
4. das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden Weges von und nach der ständigen Familienwohnung, wenn die Versicherten wegen der Entfernung ihrer Familienwohnung von dem Ort der Tätigkeit an diesem oder in dessen Nähe eine Unterkunft haben,
5. das mit einer versicherten Tätigkeit zusammenhängende Verwahren, Befördern, Instandhalten und Erneuern eines Arbeitsgeräts oder einer Schutzausrüstung sowie deren Erstbeschaffung, wenn diese auf Veranlassung der Unternehmer erfolgt.
(3) Als Gesundheitsschaden gilt auch die Beschädigung oder der Verlust eines Hilfsmittels.
Das sagen wir dazu