Trotz Homeoffice werden Unfälle in der Wohnung nicht als Arbeitsunfälle anerkannt
Trotz Homeoffice werden Unfälle in der Wohnung nicht als Arbeitsunfälle anerkannt

Erstmals hat das Bundessozialgericht (BSG) einen Fall entschieden, in dem es um den Unfallversicherungsschutz im sogenannten Homeoffice ging. 

Sturz auf der Treppe

In dem vom Bundessozialgericht entschiedenen Fall war die Klägerin aufgrund einer Dienstvereinbarung mit ihrem Arbeitgeber in einem gesonderten Raum im Dachgeschoss ihrer Wohnung an einem Telearbeitsplatz beschäftigt.

Als sie diesen Arbeitsraum verließ, um sich in der Küche, die einen Stock tiefer lag, Wasser zu holen, rutschte sie auf der Treppe aus und verletzte sich. 

Die Unfallkasse weigerte sich, dieses Ereignis als Arbeitsunfalls anzuerkennen. Auch die daraufhin erhobene Klage zum Sozialgericht hatte keinen Erfolg. Dagegen erkannte das Landessozialgericht (LSG) den Arbeitsunfall an.

Bundessozialgericht: Weg zur Küche ist eigenwirtschaftliche Betätigung

Das Bundessozialgericht hat am 5. Juli 2016 entschieden, dass kein Arbeitsunfall vorlag. Die Klägerin habe sich zum Zeitpunkt des Unfalls nicht auf einem Betriebsweg, sondern auf einem privaten Weg befunden.

Der Weg von der Arbeitsstätte zur Küche gehöre in den persönlichen Lebensbereich. Diesen Weg habe sie auch nicht zurückgelegt, um ihre versicherte Beschäftigung auszuüben, sondern um Wasser zum Trinken zu holen. 

Damit sei sie einer typischen eigenwirtschaftlichen, nicht versicherten Tätigkeit nachgegangen. Anders als Beschäftigte in Betriebsstätten außerhalb der eigenen Wohnung habe die Klägerin dabei keinen betrieblichen Vorgaben oder Zwängen unterlegen. 

Homeoffice führt nicht dazu, dass Arbeitgeber Risiken des persönlichen Lebensbereichs trägt

Zwar führe die Vereinbarung von Homeoffice zu einer Verlagerung dienstlicher Tätigkeiten in den häuslichen Bereich, es bleibe aber dennoch die private Sphäre und sei damit nicht vom Unfallversicherungsschutz erfasst.

Nur weil der Arbeitnehmer "zu Hause" für den Arbeitgeber arbeite, sei die Wohnung trotzdem eine private, nicht versicherte Lebenssphäre. Damit habe der Arbeitnehmer die Risiken, die in seiner privaten Wohnung auftreten auch selbst zu tragen.

Diese Wertung begründete das BSG damit, dass es dem Arbeitgeber hier kaum möglich sei, präventive, gefahrenreduzierende Maßnahmen zu ergreifen. Aus Gründen der sachgerechten Risikoverteilung verbleibe das vom häuslichen und damit persönlichen Lebensbereich ausgehende Unfallrisiko beim Arbeitnehmer.

Anmerkung

Die Entscheidung zum Unfallversicherungsschutz im Homeoffice war mit Spannung erwartet worden: Da die Grenzen zwischen Arbeit und Privatsphäre zunehmend verschwimmen, ist eine unfallversicherungsrechtliche Einordnung dringend notwendig. Nun herrscht dahingehend Klarheit, dass der daheim arbeitende Arbeitnehmer nicht mit dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung rechnen kann.

Dies gilt zumindest dann, wenn die Aktivität nicht unmittelbar der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist. Hätte sich die Klägerin an ihrem Telearbeitsplatz selbst verletzt, wäre dies wohl anders zu bewerten gewesen. Ansonsten verbleibt es bei der paradoxen Situation, dass der Gang zur Toilette im Betrieb versichert ist, im Homeoffice nach den Maßstäben des BSG wohl nicht. 

Beschäftigten, die sich mit dem Gedanken tragen, ihre Tätigkeit ganz oder teilweise von zu Hause aus zu verrichten, sollten bedenken, dass der Unfallversicherungsschutz schlechter ist, als bei der Arbeit im Betrieb selbst.

 

Pressemitteilung des Bundessozialgerichts zum Urteil vom 05.07.2016 – B 2 U 5/15 R

 

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Im Praxistipp: § 8 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - Arbeitsunfall

Rechtliche Grundlagen

§ 8 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - Arbeitsunfall

Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254)

§ 8 Arbeitsunfall

(1) Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen.

(2) Versicherte Tätigkeiten sind auch
1. das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit,
2. das Zurücklegen des von einem unmittelbaren Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit abweichenden Weges, um
a) Kinder von Versicherten (§ 56 des Ersten Buches), die mit ihnen in einem gemeinsamen Haushalt leben, wegen ihrer, ihrer Ehegatten oder ihrer Lebenspartner beruflichen Tätigkeit fremder Obhut anzuvertrauen oder
b) mit anderen Berufstätigen oder Versicherten gemeinsam ein Fahrzeug zu benutzen,
3. das Zurücklegen des von einem unmittelbaren Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit abweichenden Weges der Kinder von Personen (§ 56 des Ersten Buches), die mit ihnen in einem gemeinsamen Haushalt leben, wenn die Abweichung darauf beruht, daß die Kinder wegen der beruflichen Tätigkeit dieser Personen oder deren Ehegatten oder deren Lebenspartner fremder Obhut anvertraut werden,
4. das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden Weges von und nach der ständigen Familienwohnung, wenn die Versicherten wegen der Entfernung ihrer Familienwohnung von dem Ort der Tätigkeit an diesem oder in dessen Nähe eine Unterkunft haben,
5. das mit einer versicherten Tätigkeit zusammenhängende Verwahren, Befördern, Instandhalten und Erneuern eines Arbeitsgeräts oder einer Schutzausrüstung sowie deren Erstbeschaffung, wenn diese auf Veranlassung der Unternehmer erfolgt.

(3) Als Gesundheitsschaden gilt auch die Beschädigung oder der Verlust eines Hilfsmittels.