Geschieht während der Arbeit oder auf dem Hin- oder Nachhauseweg ein Unfall, greift die gesetzliche Unfallversicherung ein. Aber wie sieht es nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts aus, wenn der Unfall in der Mittagspause passiert?
Damit ein versicherter Unfall vorliegt, muss immer ein enger Bezug zwischen dem Unfallereignis und der beruflichen Tätigkeit bestehen. Das ist dann unproblematisch, wenn der Unfall unmittelbar bei der Arbeit geschieht. Ebenfalls keine Schwierigkeiten bereitet es, wenn ein Arbeitnehmer auf der direkten Fahrt zur oder von der Arbeit einen Unfall erleidet.
Beruflicher Bezug während der Mittagspause
Bei einem Unfall in der Mittagspause unterscheidet das Bundessozialgericht zwei Bereiche:
- die Nahrungsaufnahme selbst
- den Weg zur und von der Stelle, an der der Arbeitnehmer isst.
Die Nahrungsaufnahme
Soweit es um die Nahrungsaufnahme geht, ist das Bundessozialgericht der Auffassung, dass das Essen nicht zur versicherten Tätigkeit selbst gehört. Wer isst, arbeitet in aller Regel nicht gleichzeitig. Essen ist demnach eine Privatangelegenheit, die in erster Linie ein menschliches Grundbedürfnis befriedigen soll. Die Folge davon ist, dass das Essen selbst nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung steht.
Eine Ausnahme kommt allenfalls dann in Betracht, wenn beispielsweise jemand beim Trinken verunglückt und das Trinken deshalb erforderlich ist, weil er oder sie vorher eine besonders schweißtreibende Arbeit verrichtet hat. Das Gericht spricht dann von einer spezifischen Stärkung der Arbeitsleistung. In diesen Fällen ist ein überwiegender beruflicher Bezug vorhanden und der Versicherungsschutz gegeben.
Dagegen sind neben dem Essen auch alle anderen Tätigkeiten in der Mittagspause wie etwa rauchen, Karten spielen, in-der Sonne-liegen oder Fitnessübungen rein private Aktivitäten, die nicht in den Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung fallen. Auch ein Erholungsspaziergang ist in aller Regel eine reine Privatsache.
Der Weg zur und zurück von der Nahrungsaufnahme
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgericht ist nicht nur der Weg vom Wohnort zum Arbeitsplatz und zurück, sondern auch der Hin- und Rückweg zur Nahrungsaufnahme versichert. Dies gilt für die Betriebskantine ebenso wie für außerhalb des Betriebsgeländes liegende Restaurants oder Imbissbuden. Das Gericht begründet dies damit, dass die Nahrungsaufnahme der Erholung und der Aufrechterhaltung der Arbeitsfähigkeit dient und deshalb den erforderlichen engen Bezug zur versicherten Tätigkeit hat.
Zwischenergebnis
Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass nach den Entscheidungen des Bundessozialgerichts zwar der Hin- und Rückweg zur Nahrungsaufnahme, nicht aber die eigentliche Nahrungsaufnahme unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung steht.
Einzelfragen zum versicherten Weg
- Auch der Weg, den jemand zurücklegt, um Nahrungsmittel zu kaufen, die er oder sie alsbald im Betrieb verzehren möchte, ist versichert. Nicht versichert ist dagegen, wenn in der Mittagspause gleichzeitig der wöchentliche Lebensmitteleinkauf für die gesamte Familie erledigt wird. An diesem Beispiel lässt sich gut verdeutlichen, worauf es für die Abgrenzung von versichertem und nicht versichertem Weg ankommt. Entscheidend ist, welcher Zweck in erster Linie mit dem Weg verfolgt wird. Geht die so genannte Handlungstendenz dahin, die aktuelle Arbeitsfähigkeit zu erhalten, ist der Weg versichert. Geht die Handlungstendenz dagegen zu einer privaten Verrichtung, ist er es nicht.
- Wenn der Weg versichert ist, stellt sich die Frage, an welcher Stelle er beginnt und wo er endet. Nach der Rechtsprechung beginnt er am Arbeitsplatz. Gibt es eine Betriebskantine, endet der versicherte Weg mit Durchschreiten der Kantinentür. Geschieht der Unfall jenseits der Kantinentür auf dem Weg zum Tisch, besteht kein Unfallschutz mehr. Dasselbe gilt für den Fall, dass der Arbeitnehmer das Betriebsgelände zum Essen verlässt. Dann endet der Versicherungsschutz ebenfalls, wenn er die Haustür des entsprechenden Gebäudes passiert hat. Auch wenn sich beispielsweise das Restaurant im vierten Stock des Gebäudes befindet, ist ein Sturz im Treppenhaus beim Hinauf- oder Hinabgehen nicht versichert.
- Nicht erforderlich ist, dass der Arbeitnehmer den nächstgelegenen Ort zur Nahrungsaufnahme aufsucht. Er hat das Recht, sich auszusuchen, wo er welche Lebensmittel zu sich nimmt. Das heißt, dass er auch dann ein außerhalb des Betriebsgeländes liegendes Restaurant ansteuern darf, wenn es eine Werkskantine gibt. Das findet aber seine Grenze dort, wo das Restaurant weiter entfernt liegt als die Wohnung des Arbeitnehmers.
- Versichert ist der direkte Weg zur Nahrungsaufnahme. Weicht der hungrige Mitarbeiter von diesem Weg ab, um beispielsweise Kleider aus der Reinigung abzuholen, verliert er seinen Versicherungsschutz solange, bis er auf den direkten Weg zurückkehrt. Lediglich eine Unterbrechung des direkten Weges, die keine nennenswerte zeitliche Verzögerung zur Folge hat, schadet nicht, wenn die private Erledigung „ganz nebenher“ erfolgt. Ein Beispiel dafür ist, dass jemand auf dem Weg zum Dönerstand eine Schachtel Zigaretten aus dem Automaten zieht. Auf jeden Fall nicht versichert ist eine Unterbrechung des Weges, bei der der Arbeitnehmer den öffentlichen Straßenraum verlässt. Sobald er also ein Gebäude oder Grundstück abseits seines Weges betritt, trägt er das Unfallrisiko allein.
Spezialfall Home Office
Hierzu sind bisher Entscheidungen ergangen, die einen Versicherungsschutz ablehnen.
- Erst in diesem Jahr hatte das Bundessozialgericht einen Fall zu entscheiden, bei dem eine Frau auf dem Weg von ihrem Arbeitsplatz zuhause in die Küche gehen wollte, um ein Glas Wasser zu trinken. Die Frau leidet an Asthma und muss deshalb viel trinken. Das Gericht lehnte einen versicherten Weg mit der Begründung ab, ein Glas Wasser zu holen sei eine typisch eigenwirtschaftliche Angelegenheit. Eine enge Beziehung zur beruflichen Tätigkeit bestehe nicht.
Vergleiche hierzu: Bundessozialgericht zu Arbeitsunfällen im „Homeoffice“ (Bundessozialgericht, Urteil vom 05.07.2016 – B 2 U 5/15 R)
In diesem Fall überzeugt die Argumentation des Gerichts nicht. Die Frau stürzte auf der Treppe ins Erdgeschoss. Sie hatte sich auf den Weg gemacht, weil sie aufgrund ihrer Krankheit viel trinken muss. Deshalb stellt der Weg nach unten eine unaufschiebbare, notwendige Handlung dar, die geeignet ist, ihre Arbeitskraft zu erhalten und die es ihr ermöglicht, ihre Arbeit fortzusetzen. Mit genau diesen Worten begründet das Gericht an anderer Stelle, dass der Weg zu Nahrungsaufnahme versichert ist.
- Bereits in einer Entscheidung aus dem Jahr 2013 ging es unter anderem und vereinfacht um die Frage, ob Versicherungsschutz besteht, wenn ein Arbeitnehmer von seinem Home Office zu einem Restaurant fährt und auf dem Rückweg von dort einen Unfall erleidet.
Das Gericht hat dies abgelehnt. Der Weg sei nur versichert, wenn eine „ … direkte zeitliche und örtliche Einbindung in eine objektiv bestehende betriebliche Ablauforganisation …“ bestehe. Daran fehlt es nach Ansicht des Gerichts beim Home-Office. Dort unterliege der Arbeitnehmer „ … weder räumlich noch zeitlich … betrieblichen Vorgaben oder Zwängen.“ Vielmehr sei es „ … völlig ins zeitliche Belieben des jeweiligen Versicherten gestellt … wann und wie er … den Versicherungsschutz … begründen könnte.“
Anmerkung
Die Rechtsprechung des Bundessozialgericht zum Versicherungsschutz überzeugt aus mehreren Gründen nicht (Essen/Trinken einerseits als reine Privatsache, andererseits als notwendige Maßnahme zu Erhaltung der Arbeitsfähigkeit; nicht mehr zeitgemäße Fixierung auf althergebrachte Formen der betrieblichen Ablauforganisation beim Home Office). Dennoch ist davon auszugehen, dass sich die Sozial- und Landessozialgerichte an die Vorgaben des Bundessozialgerichts halten.