Das oberste deutsche Zivilgericht hob damit ein Urteil des Oberlandesgerichts Dresden auf, das einen Schadensersatzanspruch der Eltern noch abgelehnt hatte.
Kein Platz in der Kita: Eltern können nicht arbeiten
Geklagt hatten drei Frauen, die ursprünglich nach Ablauf einer einjährigen Elternzeit wieder in Vollzeit arbeiten sollten. Deshalb hatten sie ihre Kinder wenige Monate nach deren Geburt bei der Stadt Leipzig für einen Kinderbetreuungsplatz angemeldet, den sie jedoch nicht zum beantragten Zeitpunkt erhielten.
Die Mütter mussten ihren Wiedereinstieg ins Berufsleben verschieben, weil sie sich selbst um ihre Kinder kümmern mussten.
Von der Stadt Leipzig forderten sie nun den entgangenen Gewinn für den Zeitraum zwischen der beantragten und der tatsächlichen Zuweisung eines Betreuungsplatzes. Die Differenz betrung bei den drei Frauen 4.463,12 €, 2.182,20 € bzw. 7.332,93 €.
Instanzgerichte urteilen unterschiedlich
Nachdem sie vor dem Landgericht Leipzig noch Erfolg gehabt hatten, unterlagen sie vor dem Oberlandesgericht Dresden.
Seit dem 1.8.2013 besteht ein Anspruch auf Betreuung für Kinder unter drei Jahren. Dieser Pflicht sei die Stadt Leipzig nicht nachgekommen und habe damit ihre Amtspflicht verletzt. Diese Pflicht bestehe aber nur gegenüber den Kindern, da das Gesetz nur die frühkindliche Bildung stärken wolle.
Ein Anspruch der Eltern bestehe dagegen nicht. Die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf sei lediglich die notwendige Folge der breiten Schaffung von Kindertagesstätten. Ein Schaden könne daher etwa entstehen, wenn das Kind mangels Betreuungsplatz eine teurere private Einrichtung in Anspruch nehmen müsse.
Der Verdienstausfall der Eltern sei dagegen als mittelbarer Schaden nicht vom Schutzzweck der Norm umfasst.
Bundesgerichtshof gibt den Müttern Recht
Dem widersprach nun der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden: Die Plicht der Kommunen, Betreuungsplätze zu schaffen, bestehe auch zu Gunsten der Eltern, die sich um die Betreuung des Kindes kümmern müssen.
Daher fielen auch Verdienstausfallschäden in den Schutzbereich der Amtspflicht. Die Eltern könnten daher grundsätzlich den Verdienstausfall ersetzt verlangen, der dadurch entstanden ist, dass ihnen kein Betreuungsplatz zur Verfügung gestellt wurde.
Zwar stehe der Anspruch auf einen Betreuungsplatz allein dem Kind selbst zu und nicht auch seinen Eltern. Ziel des Gesetzes sei aber nicht nur die frühkindliche Förderung, sondern auch die Entlastung der Eltern, damit diese ihre Erwerbstätigkeit wieder aufnehmen oder weiterführen können.
Dem Gesetzgeber sei es auch darum gegangen, die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsleben zu verbessern und es Paaren damit zu erleichtern, sich für Kinder zu entscheiden.
Leider nur ein Etappensieg
Dennoch hat der BGH den Müttern ihre eingeklagten Forderungen nicht direkt zugesprochen. Er hat lediglich entschieden, dass ein Schadensersatzanspruch der Klägerinnen aus Amtshaftung grundsätzlich möglich ist.
Um tatsächlich einen Schadensersatzanspruch zu haben, müsste die beklagte Stadt Leipzig außerdem ein Verschulden treffen. Das Oberlandesgericht hatte hierzu nicht Stellung genommen, weil es den Schadensersatzanspruch selbst abgelehnt hatte. Dies muss es jetzt nachholen.
Die Bundesrichter*innen gaben ihren Kolleg*innen allerdings noch mit auf den Weg, dass der Beweis des ersten Anscheins für ein Verschulden spreche. Auf finanzielle Engpässe könne sich die Beklagte nicht berufen, weil der Gesetzgeber den Anspruch auf Betreuung ohne "Kapazitätsvorbehalt" eingeführt habe.
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Das sagen wir dazu:
Mit der vorliegenden Entscheidung beseitigt der Bundesgerichtshof ein unsägliches Urteil des OLG Dresden. Der Rechtsanspruch auf Betreuung diente erkennbar der besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Damit war der Verdienstausfall bei fehlender Betreuung selbstverständlich ein ersatzfähiger Schaden.
Das Urteil war umso unverständlicher, als dass das OLG die Kosten für eine private „Zwischenbetreuung“ für ersatzfähig angesehen hat. Dieses Rechtsverständnis privilegiert besserverdienende Eltern, die die Kosten für die Privatbetreuung vorstrecken können und die Kosten dann später einklagen. Geringverdienern bleibt dagegen oft keine Möglichkeit, als die Betreuung selbst zu übernehmen, auch wenn man dadurch Verdienstausfälle hat.
Die beklagte Stadt Leipzig wird nun im weiteren Verfahren beweisen müssen, dass sie sich tatsächlich nach Kräften angestrengt hat, genügend Betreuungsplätze zu schaffen. Nur wenn ihr dies gelingt, kann sie der Schadensersatzzahlung entgehen. Die Chancen der Klägerinnen stehen also nicht schlecht.
Rechtliche Grundlagen
§ 24 Abs. 2 SGB VIII
(2) Ein Kind, das das erste Lebensjahr vollendet hat, hat bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres Anspruch auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege. Absatz 1 Satz 3 gilt entsprechend.
Das sagen wir dazu