LSG NRW: Grundsicherungsträger muss Kosten für Cannabis-Selbsttherapie zur Schmerzbekämpfung nicht tragen
LSG NRW: Grundsicherungsträger muss Kosten für Cannabis-Selbsttherapie zur Schmerzbekämpfung nicht tragen


Im Streit steht die Versorgung eines 31-jährigen Mannes mit Medizinal-Cannabisblüten. Der Mann erlitt bei einem Badeunfall mehrfache Frakturen der Halswirbelsäule. Zu den schweren Nachfolgeschäden zählt ein dauerhafter chronischer Schmerzzustand. Der behandelnde Arzt hält eine Behandlung mit Cannabisblüten für dringend erforderlich. Auch die nach dem Betäubungsmittelrecht erforderliche Ausnahmeerlaubnis für eine Selbsttherapie wurde erteilt.

 
Da der Mann erwerbsunfähig ist und von Grundsicherungsleistungen lebt, ist die Frage, wer diese Therapie finanziert.
 

Was ist mit der Krankenkasse?

 
Natürlich ist auch bei der Krankenkasse beantragt worden, die Kosten für die Selbsttherapie mit Cannabis zu übernehmen. Hier steht eine endgültige Entscheidung noch aus. Das Sozialgericht Dortmund hatte die Krankenkasse verurteilt, die Kosten für die monatliche Versorgung des Klägers mit 56 g Cannabisblüten entsprechend der ärztlichen Verordnung zu tragen. Das Verfahren ist beim Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen anhängig.
 
Auch das Sozialamt, das für die Grundsicherungsleistungen zuständig ist, lehnte eine Kostenübernahme ab. Es geht um die Finanzierung einer monatlichen Dosis von 94g Cannabisblüten, also über das hinaus, was  - möglicherweise  - die Krankenkasse bezahlen muss. Die Kosten der medizinischen Versorgung liegen bei etwa 1.500 Euro.
 

Gibt es Alternativen zur Cannabis-Therapie?

 
Das Sozialgericht Dortmund hatte im Rahmen einstweiligen Rechtsschutzes dem Antrag auf Übernahme der Kosten stattgegeben. Dies mit der Begründung, aus der Stellungnahme des behandelnden Arztes ergebe sich, dass zur Cannabis-Therapie keine Alternativen bestünden.
 
Gegen die Entscheidung legte das Sozialamt Beschwerde beim Landessozialgericht (LSG) in Essen ein und bekam Recht. Die Richter dort schätzen die medizinischen Möglichkeiten anders ein. Für die Behandlung einer chronischen Schmerzerkrankung gebe es vorrangige und zumutbare Alternativen, zu finanzieren über die gesetzliche Krankenversicherung.
 
Deshalb hat das LSG in Essen entschieden, dass das Sozialamt dem Empfänger von Grundsicherungsleistungen die Versorgung mit Medizinal-Cannabisblüten verweigern durfte. Es hat im Eilverfahren die erstinstanzliche Entscheidung vom Sozialgericht Dortmund aufgehoben.
 

Ist die Versorgung mit Medizinal-Cannabisblüten ein unabweisbarer Bedarf?

 
Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass im Rahmen der Grundsicherung neben den „normalen“ Bedarfen, die mit der Regelleistung abgedeckt sind, auch besondere Bedarfe zu decken sind. Das allerdings nur, wenn der Bedarf auf einer besonderen Situation beruht und nicht anders gedeckt werden kann. Das Gesetz spricht  von einem unabweisbaren Bedarf.  Ein solcher Mehrbedarf ist vom Leistungsberechtigten vorrangig durch alle ihm verfügbaren Mittel zu decken, was auch die Leistungspflicht anderer Träger wie die Krankenkassen einschließt.
 
Die Richter beim LSG halten die Versorgung des schmerzgepeinigten Klägers nicht für unabweisbar.
 

Erst herkömmliche Schmerztherapie, dann Cannabis-Selbsttherapie?

 
Im Verfahren tauchte auch die Frage auf, inwiefern es eine Rolle spielt, dass es um ein Arzneimittel geht, welches nicht zum anerkannten Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung gehört. Ob eine Finanzierung aus Mitteln der Sozialhilfe in einem solchen Fall überhaupt zulässig ist, hat das LSG aber bewusst offen gelassen. Für die Entscheidung reichte aus, dass nach Einschätzung der Richter die Versorgung des Antragstellers mit Medizinal-Cannabisblüten nicht unabweisbar ist.
 
Dabei geht das Gericht sogar so weit, die Befürwortung einer erhöhten Dosis Cannabis durch den behandelnden Arzt als "geradezu verantwortungslos" zu bezeichnen. Dies vor dem Hintergrund, dass eine interdisziplinäre multimodale Schmerztherapie nicht einmal im Ansatz stattgefunden habe.
 
Nun bietet das Thema Legalisierung von Cannabis viel Diskussionsstoff. Die grundsätzliche Debatte wollen wir hier nicht führen. Umhin kommen wir aber nicht zu fragen, welchen Sinn es hat, die legale Möglichkeit zur Therapie mit Cannabis zu schaffen, wenn dann bei einer ärztlichen Versorgung zur Schmerzbekämpfung letztlich der Kostenträger fehlt!?

Neues Gesetz erlaubt Cannabis auf Rezept

„Hilfe“ in dieser Sache kommt aktuell nicht aus Richtung der Rechtsprechung, sondern der Gesetzgebung. Der Bundestag hat die Ausgabe von Cannabis an Schwerkranke auf Rezept erlaubt und das entsprechende Gesetz am 19.01.2017 einstimmig beschlossen. Damit ist eine Ausnahmeerlaubnis nicht mehr erforderlich und die Krankenkassen müssen die Therapie bezahlen. Für die Zukunft wird die Versorgung des Klägers mit Cannabis zur Schmerzbekämpfung also geklärt sein.

 

Interessierte können den Referentenentwurf des Bundesministeriums für Gesundheit
(„Entwurf eines Gesetzes zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften“) hier einsehen.

 

Zur Pressemitteilung vom LSG geht es hier

 

Das erstinstanzliche Urteil des Sozialgerichts Dortmund zur Frage der Kostentragungspflicht der Krankenkasse kann hier nachgelesen werden (Sozialgericht Dortmund, Urteil vom 22.01.2016, S 8 KR 435/14)



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