Bereits 2009 wurde durch das Flexible Arbeitszeit-Verbesserungsgesetz die Möglichkeit geschaffen, Wertguthaben auf die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV) zu übertragen.
Neumann wurde gekündigt. Er hat auf seinem Langzeitkonto ein Wertguthaben von 20.000 €.
Sein Arbeitgeber bietet eine Abfindung von 30.000 € an. Und er schlägt das Mannheimer Modell vor.
Abfindung auszahlen lassen oder Wertguthaben erhöhen?
Neumann findet die 30.000 € von der Summe als Abfindung o.k. und ist bereit, sich darauf mit dem Arbeitgeber zu einigen. Fällig ist die Abfindung dann mit seinem Ausscheiden.
Die klassische Abfindung kann aber wohl nicht auf ein Wertguthaben eingezahlt werden. Der Deutsche Bundestag hat hierzu für die sozialversicherungs-und steuerrechtliche Behandlung von Abfindungen im Zusammenhang mit Wertguthaben (WD 4-3000-122/19 und WD 6-3000-120/19 2019) ausgeführt, dass jegliche Arbeitgeberleistung ins Wertguthaben eingebracht werden kann, soweit diese vom Entgeltbegriff des § 14 SGB IV erfasst ist. An anderer Stelle wird ausgeführt, dass Abfindungen für den Verlust des Arbeitsplatzes nicht unter § 14 SGB IV fallen.
Neumanns Arbeitgeber schlägt vor, dann nicht 30.000 €, sondern 25.000 € brutto auf das betriebliche Langzeitkonto einzuzahlen. Die Summe soll mit 25.000 € geringer sein, weil er ja darauf – anders als bei der Abfindung - noch Sozialabgaben entrichten muss.
Statt sich die Abfindung auszahlen zu lassen, kann es sehr viel günstiger sein, wenn der Arbeitgeber den Betrag auf ein betriebliches Langzeitkonto einzahlt. Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses kann das hierauf verbuchte Wertguthaben auf die DRV übertragen werden.
Die Abfindung ist sozialabgabenfrei, aber steuerpflichtig, so dass die Steuerprogression zuschlägt.
Anteilig zahlt man auf geringe Einkommen einen geringeren Steuersatz als auf höhere Einkommen. Wenn aber eine höhere Summe (wie eine Abfindung) zum normalen Einkommen hinzukommt, erhöht sich der Steuersatz. Das gilt selbst dann, wenn steuerlich das Günstigste angewendet wird.
Neumann muss ab Ende der Kündigungsfrist ein Jahr bis zur Rente überbrücken. Und er möchte sich nach einem langen Berufsleben nicht noch arbeitslos melden.
Eine Lösung besteht im Wertguthaben-Modell. Dies ist in den §§ 7 b -f SGB IV geregelt.
Kein Rechtsanspruch auf ein betriebliches Langzeitkonto
Neumann hatte sich die Sonderzahlungen der letzten Jahre nicht auszahlen lassen, auch nicht die Überstunden. So kam es zum Aufbau der 20.000 € auf seinem Langzeitkonto.
Der Arbeitgeber hat ein solches Konto eingeführt, weil immer mehr Mitarbeiter*innen nach der Möglichkeit einer längeren Auszeit gefragt haben. Neumann wollte sie auch für eine längere Reise nutzen.
Wie für alle Rechte muss es eine Anspruchsgrundlage geben. Das Gesetz enthält hier nichts. Das heißt, ohne Regelung kein Konto. Der Anspruch auf Führung eines Langzeitkontos kann sich aus einem Tarifvertrag, einer Betriebsvereinbarung oder aus dem Arbeitsvertrag ergeben.
Das Wertguthaben-Modell
Bevor das Arbeitsverhältnisses endet, kann Neumanns Chef einmalig die 25.000 € Einmalzahlung in das bestehende betriebliches Langzeitkonto einzahlen. Da sind dann statt 20.000 € schon 45.000 € im Pott.
Ist das Arbeitsverhältnis beendet, überträgt der Chef das Wertguthaben auf die DRV.
Erste Voraussetzung ist, dass das Arbeitsverhältnis beendet wird. Wenn das Wertguthaben eine bestimmte Mindesthöhe erreicht hat, besteht ein Rechtsanspruch auf Übertragung auf die DRV.
Konkret muss es einen Betrag in Höhe des sechsfachen der monatlichen Bezugsgröße übersteigen. 2020 liegt die monatliche Bezugsgröße bei 3.185 €. Das Wertguthaben muss daher mehr als 19.110 € umfassen. Liegen diese Voraussetzungen vor, so verwaltet die DRV ein ihr übertragenes Wertguthaben treuhänderisch - und zwar getrennt von ihrem sonstigen Vermögen.
Das Geld wird dabei von der DRV mit dem Ziel eine Verzinsung zu erreichen angelegt. Geringe Verwaltungskosten schmälern das Guthaben.
Wie läuft die Übertragung ab?
Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses überträgt der Arbeitgeber Wertguthaben plus die arbeitgeberseitig anfallenden Sozialabgaben auf die DRV.
Wie immer gibt es dazu Formulare (hier das V9110). DRV - Homepage - Übertragung des Wertguthabens auf die Deutsche Rentenversicherung Bund (deutsche-rentenversicherung.de)
Darin kann Neumann die Übertragung beantragen. Er bestätigt, dass er informiert ist, und die Personalabteilung füllt den Rest aus.
Wie funktioniert die Auszahlung?
Das Wertguthaben ist durch die Sozialbeiträge des Arbeitgebers gewachsen. Das ist für Neumann aber nur ein durchlaufender Posten. Wenn er sich jetzt monatlich einen Betrag auszahlen lässt, wird davon nicht nur der Arbeitnehmeranteil der Sozialversicherung, sondern auch der des Arbeitgebers einbehalten.
Die DRV erstellt wie ein „normaler“ Arbeitgeber monatliche Lohn/Gehaltsabrechnungen. Die Beiträge und individuellen Steuern werden von der DRV an die zuständigen Stellen abgeführt. Es wird also vom Gesetz ein Beschäftigungsverhältnis fingiert.
Die Verwendung von Wertguthaben ist in § 7c SGB IV geregelt (in Neumanns Fall Absatz 1 Nr. 2a), der typische Fall zur Überbrückung bis zur Rentenmöglichkeit.
Ein Anspruch auf Krankengeld besteht nicht
Es fällt ein etwas geringerer Krankenkassenbeitrag für Neumann an, der sog. ermäßigte Beitragssatz.
Es besteht in diesem besonderen Beschäftigungsverhältnis kein Anspruch auf Krankengeld. Während eines Krankheitsfalls in dieser Phase wird das Wertguthaben von der DRV unverändert weiterhin gezahlt.
Möglich auch nach Arbeitslosengeldbezug
Neumanns Bruder ist in der ähnlichen Situation, aber zwei Jahre jünger.
Kann er sich geringere Teilbeträge auszahlen lassen umso zwei Jahre zu überbrücken?
Unabhängig von der Frage, ob er sich das finanziell leisten kann, gibt es hier Grenzen. Das Geld was Neumanns Bruder abruft, darf nicht unangemessen von dem Arbeitsentgelt abweichen, was er in den zwölf Monaten zuvor verdient hat. Als angemessen sehen die Sozialversicherungsträger eine Abweichung bis zu 30 % nach oben oder nach unten an. Das heißt, verdiente er 3.500 € brutto kann er minimal auf brutto 2.450 € reduzieren, maximal auf 4.550 € brutto erhöhen. Mit dem Wertguthaben in Höhe von 50.000 € aus dem Beispiel ließen sich so keine zwei Jahre überbrücken.
Neumanns Bruder lässt das Wertguthaben auch auf die DRV übertragen und meldet sich arbeitslos.
Er hofft, noch einmal einen Job zu bekommen. Aber wenn es ganz blöd läuft, und er arbeitslos bleibt, kann er im Anschluss das Wertgutachten verwenden.
Weniger Steuern plus Sozialversicherungsschutz
Das sind kurz zusammengefasst die Vorteile des Modells. Aber man muss es sich leisten können.
Neumann hat auch erst überlegt, ob er sich die Beträge nicht auszahlen lassen soll. Das Geld brauchen kann ja jeder. Aber dann könnte er nicht abschlagsfrei in Rente.
Für ihn war das Gesamtpaket entscheidend: abschlagsfreie Rente, sich nicht mit der Arbeitsagentur rumschlagen, also quasi den Ruhestand schon beginnen und sich um nichts mehr kümmern. Dass er dabei unterm Strich weniger Steuern bezahlt und auch das letzte Jahr sich noch rentenerhöhend auswirkt, ist auch ein Vorteil.
Was ist im Störfall?
Das Wertguthaben geht bei einem Störfall nicht verloren und ist darüber hinaus vererbbar.
Soweit ein Störfall eintritt - also die vereinbarungsgemäße Verwendung des Wertguthabens nicht mehr möglich ist -, wird das Wertguthaben aufgelöst und ausgezahlt. Dann fallen auf das Restguthaben die vollen Sozialversicherungsbeiträge an, ebenso ist das Guthaben voll zu versteuern.
Außerdem ist das Wertguthaben auch insolvenzgesichert.
LINKS:
Das Formular zur Übertragung des Wertguthabens gibt es online bei der DRV zum Download
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Das sagen wir dazu:
Die Übertragung der Wertguthaben auf die DRV ist noch in einigen anderen Fällen möglich, auch zwischen zwei Arbeitsverhältnissen.
Das alles hilft aber nichts, so lange keine Langzeitkonten beim Arbeitgeber bestehen.
Da diese immer beliebter werden und sogar Discounter wie Aldi–Süd solche anbieten, erweitert sich der Kreis derjenigen, für den die Übertragung an die DRV erwägenswert ist.
Rechtliche Grundlagen
(1) Das Wertguthaben auf Grund einer Vereinbarung nach § 7b kann in Anspruch genommen werden
1.
für gesetzlich geregelte vollständige oder teilweise Freistellungen von der Arbeitsleistung oder gesetzlich geregelte Verringerungen der Arbeitszeit, insbesondere für Zeiten,
a)
in denen der Beschäftigte eine Freistellung nach § 3 des Pflegezeitgesetzes oder nach § 2 des Familienpflegezeitgesetzes verlangen kann,
b)
in denen der Beschäftigte nach § 15 des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes ein Kind selbst betreut und erzieht,
c)
für die der Beschäftigte eine Verringerung seiner vertraglich vereinbarten Arbeitszeit nach § 8 oder § 9a des Teilzeit- und Befristungsgesetzes verlangen kann; § 8 des Teilzeit- und Befristungsgesetzes gilt mit der Maßgabe, dass die Verringerung der Arbeitszeit auf die Dauer der Entnahme aus dem Wertguthaben befristet werden kann,
2.
für vertraglich vereinbarte vollständige oder teilweise Freistellungen von der Arbeitsleistung oder vertraglich vereinbarte Verringerungen der Arbeitszeit, insbesondere für Zeiten,
a)
die unmittelbar vor dem Zeitpunkt liegen, zu dem der Beschäftigte eine Rente wegen Alters nach dem Sechsten Buch bezieht oder beziehen könnte oder
b)
in denen der Beschäftigte an beruflichen Qualifizierungsmaßnahmen teilnimmt.
(2) Die Vertragsparteien können die Zwecke, für die das Wertguthaben in Anspruch genommen werden kann, in der Vereinbarung nach § 7b abweichend von Absatz 1 auf bestimmte Zwecke beschränken.
Das sagen wir dazu