Die Straßenverkehrsbehörden können nach § 46 Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) in bestimmten Einzelfällen oder allgemein für bestimmte Gruppen Ausnahmen für das Parken genehmigen. Auf Antrag stellen sie schwerbehinderten Menschen eine Parkerleichterung aus, wenn die Voraussetzungen dafür vorliegen. Diese sind unterschiedlich je nach Art der Parkerleichterung. Die Hürden sind jedoch immer sehr hoch.
Parkerleichterung außerhalb der Regelung bei außergewöhnlicher Gehbehinderung (aG)
Dem Kläger geht es nicht um das Parken auf den sogenannten Behindertenparkplätzen, also auf Plätzen, die mit dem Rollstuhlsymbol gekennzeichnet sind.
Den hierfür erforderlichen blauen Parkausweis erhalten Schwerbehinderte mit außergewöhnlicher Gehbehinderung und damit Personen, die sich wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können (z.B. Querschnittsgelähmte).
Parkerleichterung für besondere Gruppen behinderter Menschen
Was der Kläger begehrt, ist eine Parkerleichterung für besondere Gruppen behinderter Menschen. Damit können schwerbehinderte Menschen mit Einschränkungen in der Mobilität Parkerleichterungen in Anspruch nehmen, auch wenn sie nicht als außergewöhnlich gehbehindert gelten. Diese Personen können die Erlaubnis erhalten, an Stellen zu parken, an denen das üblicherweise nicht erlaubt ist. Außerdem können sie länger als vorgesehen in bestimmten Bereichen parken.
Unter anderem fallen darunter Personen, bei denen die Merkzeichen G und B anerkannt sind. Außerdem muss ein Grad der Behinderung von wenigstens 80 allein wegen der Funktionsstörungen an den unteren Gliedmaßen vorliegen. Darunter fallen auch Funktionseinschränkungen der Lendenwirbelsäule, soweit sich diese auf das Gehvermögen auswirken.
Der Kläger machte geltend, zu dieser Gruppe zu gehören. Sein Grad der Behinderung beträgt 100. Zudem sind die Merkzeichen G (erheblich gehbehindert) und B (auf ständige Begleitung bei Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel angewiesen) festgestellt.
Voraussetzungen nach Aktenlage nicht erfüllt
Die beklagte Stadt hatte den Fachbereich für Soziales und Gesundheit - Hilfe für Behinderte des Ennepe-Ruhr-Kreises beteiligt. Es ist üblich, dass die Straßenverkehrsbehörden (Gemeinde- oder Stadtverwaltungen) bei Anträgen auf Parkerleichterungen die Stellen einschalten, die die Schwerbehinderung und die Merkzeichen feststellen (früher: Versorgungsämter).
Im Wege der Amtshilfe teilte der Fachbereich mit, der Kläger erfülle die Voraussetzungen für die Erteilung einer Parkerleichterung für schwerbehinderte Menschen außerhalb der aG-Regelung nicht. Dies sei so „nach derzeitiger Aktenlage“.
Bescheid - Widerspruch - Klage
Die Stadt Witten hatte den Antrag des Klägers abgelehnt und auch der Widerspruch war nicht von Erfolg gekrönt. Deshalb erfolgte die Klage beim Verwaltungsgericht.
In diesem Verfahren legte die Klägerseite ein Gutachten vor, welches im Rahmen eines Antrags nach dem Schwerbehindertenrecht im Februar 2016 erstellt worden war. Die Beeinträchtigungen „Zustand nach Kinderlähmung, Muskelminderung rechtes Bein, Beinverkürzung rechts, Spitzfuß rechts, Gangstörung und Unsicherheit“ sind dort mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 60 bewertet. Hinzu kommt die Behinderung „Skoliose, statische Wirbelsäulenbeschwerden“ mit einem GdB von 30.
GdB von 80 wegen Funktionsstörungen an den unteren Gliedmaßen?
Die Frage war: Hat der Kläger einen GdB von wenigstens 80 allein wegen der Funktionsstörungen an den unteren Gliedmaßen (und der Lendenwirbelsäule, soweit sich diese auf das Gehvermögen auswirken)?
Ja, meint der Kläger, der auf die Verstärkung der Funktionsstörungen im Bereich des rechten Beines und der Wirbelsäule hinweist. Beide Behinderungen bildeten einen Gesamt-GdB von 80.
Nein, meint die Verwaltungsrichterin. Die beklagte Stadt sei zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger nicht unter den Personenkreis fällt. Denn es läge kein GdB von 80 allein für Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen vor. Entscheidend dabei: Hinsichtlich der Skoliose und der statischen Wirbelsäulenbeschwerden stellte das Gutachten nicht ausdrücklich fest, dass sich diese auf das Gehvermögen auswirken.
Anspruch auf Neubescheidung wegen atypischer Besonderheiten
Aus dem vorgelegten Gutachten ergibt sich nach Ansicht des Gerichts zwar nicht, dass der Kläger unter einen der geregelten Personenkreise fällt. Aber es ergibt sich daraus etwas anders, nämlich das Vorliegen von atypischen Besonderheiten. Diese könnten im Falle des Klägers ein Abweichen von den in der Verwaltungsvorschrift genannten Fallgruppen rechtfertigen.
Möglich sei insbesondere ein Zusammenwirken der Erkrankungen. Die Beklagte habe ihr Ermessen insoweit nicht richtig ausgeübt, als bisher die mögliche atypische Besonderheit (hier der besondere Gesundheitszustand des Klägers) nicht berücksichtigt wurde. Daraus ergebe sich die Verpflichtung der Beklagten, im Einzelfall des Klägers erneut über seinen Antrag zu entscheiden.
Gericht überprüft nur das Ermessen
Und warum verpflichtet das Gericht die Stadt nicht dazu, die Parkerleichterung zu erteilen? Weil es das schlichtweg nicht kann. Die Straßenverkehrsbehörde ist bei den Ausnahmegenehmigungen ein Ermessen eingeräumt. Das bedeutet, dass sie einen Entscheidungsspielraum hat. In der Rechtsgrundlage der Straßenverkehrsordnung heißt es: „Die Straßenverkehrsbehörden können in bestimmten Einzelfällen oder allgemein für bestimmte Antragsteller Ausnahmen genehmigen…“
Bei einer solchen Kann-Vorschrift überprüft ein Gericht nur, ob die Behörde das Ermessen überhaupt ausgeübt hat, ob sie bei ihrer Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens eingehalten hat und ob sie das Ermessen dem Gesetzeszweck entsprechend angewandt hat.
Straßenverkehrsbehörden sind nicht an die Stellungnahmen nach Aktenlage gebunden
Bei der Entscheidung über einen Antrag auf Erteilung einer Parkerleichterung nach § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO sind die Straßenverkehrsbehörden nicht an die Stellungnahmen der Sozialbehörden gebunden, die diese im Wege der Amtshilfe nach Aktenlage abgeben.
Insbesondere, wenn es um eine nicht von den Fallgruppen erfasste Behinderung geht, hat die Straßenverkehrsbehörde den ihr durch das Ermessen eingeräumten Entscheidungsspielraum wahrzunehmen. Sie hat in besonders gelagerten atypischen Fällen eine Einzelfallwürdigung vorzunehmen. Dazu gehört die Feststellung, ob sonstige besondere Umstände vorliegen, die bei einem wertenden Vergleich mit den in der Verwaltungsvorschrift angeführten Fallgruppen eine vergleichbare Entscheidung rechtfertigen.
Hat der Kläger eine vergleichbare Funktionsbeeinträchtigung?
Nach der Rechtsprechung ist es ausreichend, wenn eine den aufgelisteten Behinderungsbildern „vergleichbare Funktionsbeeinträchtigung“ vorliegt. Dies ist im Einzelfall nach Sinn und Zweck der Regelung zu bestimmen. Dieser liegt darin, die Voraussetzungen für die Erteilung einer Parkerleichterung für schwerbehinderte Menschen im Straßenverkehr näher zu bestimmen. Dementsprechend kommt es für die Bewertung der Vergleichbarkeit der Funktionseinschränkungen darauf an, wie und ob die schwerbehinderte Person sich im öffentlichen Straßenverkehr nach dem Parken eines Fahrzeugs bewegen kann.
Die Stadt Witten wird dies erneut prüfen und dabei den besonderen Gesundheitszustand des Klägers berücksichtigen müssen.
Link:
Das vollständige Urteil des Verwaltungsgerichts Arnsberg können Sie hier nachlesen
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Rechtliche Grundlagen
§ 46 Straßenverkehrs-Ordnung (StVO)
(1) Die Straßenverkehrsbehörden können in bestimmten Einzelfällen oder allgemein für bestimmte Antragsteller Ausnahmen genehmigen
1. von den Vorschriften über die Straßenbenutzung (§ 2);
2. vom Verbot, eine Autobahn oder eine Kraftfahrstraße zu betreten oder mit dort nicht zugelassenen Fahrzeugen zu benutzen (§ 18 Absatz 1 und 9);
3. von den Halt- und Parkverboten (§ 12 Absatz 4);
4. vom Verbot des Parkens vor oder gegenüber von Grundstücksein- und -ausfahrten (§ 12 Absatz 3 Nummer 3);
4a. von der Vorschrift, an Parkuhren nur während des Laufens der Uhr, an Parkscheinautomaten nur mit einem Parkschein zu halten (§ 13 Absatz 1);
4b. von der Vorschrift, im Bereich eines Zonenhaltverbots (Zeichen 290.1 und 290.2) nur während der dort vorgeschriebenen Zeit zu parken (§ 13 Absatz 2);
4c. von den Vorschriften über das Abschleppen von Fahrzeugen (§ 15a);
5. von den Vorschriften über Höhe, Länge und Breite von Fahrzeug und Ladung (§ 18 Absatz 1 Satz 2, § 22 Absatz 2 bis 4);
5a. von dem Verbot der unzulässigen Mitnahme von Personen (§ 21);
5b. von den Vorschriften über das Anlegen von Sicherheitsgurten und das Tragen von Schutzhelmen (§ 21a);
6. vom Verbot, Tiere von Kraftfahrzeugen und andere Tiere als Hunde von Fahrrädern aus zu führen (§ 28 Absatz 1 Satz 3 und 4);
7. vom Sonn- und Feiertagsfahrverbot (§ 30 Absatz 3);
8. vom Verbot, Hindernisse auf die Straße zu bringen (§ 32 Absatz 1);
9. von den Verboten, Lautsprecher zu betreiben, Waren oder Leistungen auf der Straße anzubieten (§ 33 Absatz 1 Nummer 1 und 2);
10. vom Verbot der Werbung und Propaganda in Verbindung mit Verkehrszeichen (§ 33 Absatz 2 Satz 2) nur für die Flächen von Leuchtsäulen, an denen Haltestellenschilder öffentlicher Verkehrsmittel angebracht sind;
11. von den Verboten oder Beschränkungen, die durch Vorschriftzeichen (Anlage 2), Richtzeichen (Anlage 3), Verkehrseinrichtungen (Anlage 4) oder Anordnungen (§ 45 Absatz 4) erlassen sind;
12. von dem Nacht- und Sonntagsparkverbot (§ 12 Absatz 3a).
Vom Verbot, Personen auf der Ladefläche oder in Laderäumen mitzunehmen (§ 21 Absatz 2), können für die Dienstbereiche der Bundeswehr, der auf Grund des Nordatlantik-Vertrages errichteten internationalen Hauptquartiere, der Bundespolizei und der Polizei deren Dienststellen, für den Katastrophenschutz die zuständigen Landesbehörden, Ausnahmen genehmigen. Dasselbe gilt für die Vorschrift, dass vorgeschriebene Sicherheitsgurte angelegt sein oder Schutzhelme getragen werden müssen (§ 21a).
(1a) Die Straßenverkehrsbehörden können zur Bevorrechtigung elektrisch betriebener Fahrzeuge allgemein durch Zusatzzeichen Ausnahmen von Verkehrsbeschränkungen, Verkehrsverboten oder Verkehrsumleitungen nach § 45 Absatz 1 Nummer 3, Absatz 1a und 1b Nummer 5 erste Alternative zulassen. Das gleiche Recht haben sie für die Benutzung von Busspuren durch elektrisch betriebene Fahrzeuge. Die Anforderungen des § 3 Absatz 1 des Elektromobilitätsgesetzes sind zu beachten.
(2) Die zuständigen obersten Landesbehörden oder die nach Landesrecht bestimmten Stellen können von allen Vorschriften dieser Verordnung Ausnahmen für bestimmte Einzelfälle oder allgemein für bestimmte Antragsteller genehmigen. Vom Sonn- und Feiertagsfahrverbot (§ 30 Absatz 3) können sie darüber hinaus für bestimmte Straßen oder Straßenstrecken Ausnahmen zulassen, soweit diese im Rahmen unterschiedlicher Feiertagsregelung in den Ländern (§ 30 Absatz 4) notwendig werden. Erstrecken sich die Auswirkungen der Ausnahme über ein Land hinaus und ist eine einheitliche Entscheidung notwendig, ist das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur zuständig; das gilt nicht für Ausnahmen vom Verbot der Rennveranstaltungen (§ 29 Absatz 1).
(3) Ausnahmegenehmigung und Erlaubnis können unter dem Vorbehalt des Widerrufs erteilt werden und mit Nebenbestimmungen (Bedingungen, Befristungen, Auflagen) versehen werden. Erforderlichenfalls kann die zuständige Behörde die Beibringung eines Sachverständigengutachtens auf Kosten des Antragstellers verlangen. Die Bescheide sind mitzuführen und auf Verlangen zuständigen Personen auszuhändigen. Bei Erlaubnissen nach § 29 Absatz 3 und Ausnahmegenehmigungen nach § 46 Absatz 1 Nummer 5 genügt das Mitführen fernkopierter Bescheide oder von Ausdrucken elektronisch erteilter und signierter Bescheide sowie deren digitalisierte Form auf einem Speichermedium, wenn diese derart mitgeführt wird, dass sie bei einer Kontrolle auf Verlangen zuständigen Personen lesbar gemacht werden kann.
(4) Ausnahmegenehmigungen und Erlaubnisse der zuständigen Behörde sind für den Geltungsbereich dieser Verordnung wirksam, sofern sie nicht einen anderen Geltungsbereich nennen.