Nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin kann sich ein Dienstunfall eines Beamten auch in den Toilettenräumen des Dienstgebäudes ereignen.
Dienstherr: Toilettengang ist Privatgeschäft
Die Klägerin ist bei der Stadt Berlin als Stadtamtfrau im Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg beschäftigt. Im August 2013 stieß sie während der Dienstzeit im Toilettenraum des Dienstgebäudes gegen den Flügel eines weit geöffneten Fensters.
Sie erlitt dadurch eine blutende Platzwunde sowie eine Prellung und musste deshalb ärztlich versorgt werden. Sie beantragte daraufhin beim Dienstherren, dieses Ereignis als Dienstunfall anzuerkennen.
Der Dienstherr lehnte dies ab und berief sich dabei auf die Rechtsprechung bayerischer Verwaltungsgerichte: Der Aufenthalt in einer Toilettenanlage sei eine rein private Angelegenheit, die in keinem Zusammenhang mit der dienstlichen Tätigkeit stehe. Das Risiko sei daher allein der privaten Sphäre zuzuordnen.
Verwaltungsgerichts: Toilette ist vom Dienstherrn beherrschter Risikobereich
Die Stadtamtfrau klagte gegen die Ablehnung und hatte Erfolg. Das Verwaltungsgericht verpflichtete das Land Berlin, das Ereignis als Dienstunfall anzuerkennen.
Als Dienstunfall sei ein Ereignis anzuerkennen, wenn in Ausübung oder infolge des Dienstes durch ein plötzliches Ereignis ein Körperschaden eintrete. Dies sei bei dem Stoß an dem Fensterflügel in der Toilette der Fall gewesen.
Der Zusammenhang des Unfalls mit dem Dienst bestehe, weil er sich während der Dienstzeit am Dienstort ereignet habe. Die Toilettenräume gehörten zum unmittelbar beherrschbaren räumlichen Risikobereich des Dienstherrn.
Sozialrechtliche Rechtsprechung nicht übertragbar
Unerheblich sei dagegen, dass das Aufsuchen der Toilette selbst keine dienstlich geprägte Tätigkeit sei, sondern in die private Sphäre des Beamten falle.
Die sozialgerichtliche Rechtsprechung, wonach der Aufenthalt im Toilettenraum als „eigenwirtschaftliche Tätigkeit“ nicht vom Versicherungsschutz erfasst sei, sei auf das Beamtenrecht nicht übertragbar.
Wegen der grundsätzlichen Bedeutung hat das Gericht die Berufung und die Sprungrevision zugelassen.
Anmerkung
Das Berliner Verwaltungsgericht legt den Begriff des Dienstunfalls weit aus und lässt es insofern genügen, dass ein zeitlich-räumlicher Bezug zur Diensttätigkeit besteht. Es kann sich dabei auf das Beamtenversorgungsrecht stützen.
Danach genügt es, dass sich der Unfall des Beamten in Ausübung oder infolge des Dienstes ereignet hat. Demgegenüber hat sich für Arbeitnehmer eine sehr ungünstige Rechtsprechung entwickelt, wonach Unfälle schon dann nicht mehr als Arbeitsunfälle zu werten sind, wenn ein Bezug zur Arbeitsleistung selbst nicht besteht.
Von dieser Rechtsprechung hat das Verwaltungsgericht sich bewusst distanziert. Das ist für die Beamtin erfreulich, weil eine weitere Auslegung sehr viele sachnäher ist als die zum Teil kleinliche Unterscheidung der Sozialgerichte.
Es ist zu wünschen, dass das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin auch in den höheren Instanzen bestehen bleibt und sich die Sozialgerichte in ihrer Rechtsprechung in diese Richtung bewegen.
Hier zur Pressemitteilung des Verwaltungsgerichts Berlin
Hier das Urteil des Verwaltungsgericht Berlin vom 4. Mai 2016 - Az.: VG 26 K 54.14 im Volltext
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Im Praxistipp: § 31 Beamtenversorgungsgesetz (Dienstunfall)
Rechtliche Grundlagen
§ 31 Beamtenversorgungsgesetz (Dienstunfall)
§ 31 Dienstunfall
(1) Dienstunfall ist ein auf äußerer Einwirkung beruhendes, plötzliches, örtlich und zeitlich bestimmbares, einen Körperschaden verursachendes Ereignis, das in Ausübung oder infolge des Dienstes eingetreten ist. Zum Dienst gehören auch
1. Dienstreisen und die dienstliche Tätigkeit am Bestimmungsort,
2. die Teilnahme an dienstlichen Veranstaltungen und
3. Nebentätigkeiten im öffentlichen Dienst oder in dem ihm gleichstehenden Dienst, zu deren Übernahme der Beamte gemäß § 98 des Bundesbeamtengesetzes verpflichtet ist, oder Nebentätigkeiten, deren Wahrnehmung von ihm im Zusammenhang mit den Dienstgeschäften erwartet wird, sofern der Beamte hierbei nicht in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert ist (§ 2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch).
(2) Als Dienst gilt auch das Zurücklegen des mit dem Dienst zusammenhängenden Weges nach und von der Dienststelle; hat der Beamte wegen der Entfernung seiner ständigen Familienwohnung vom Dienstort an diesem oder in dessen Nähe eine Unterkunft, so gilt Halbsatz 1 auch für den Weg von und nach der Familienwohnung. Der Zusammenhang mit dem Dienst gilt als nicht unterbrochen, wenn der Beamte von dem unmittelbaren Wege zwischen der Wohnung und der Dienststelle in vertretbarem Umfang abweicht, weil sein dem Grunde nach kindergeldberechtigendes Kind, das mit ihm in einem Haushalt lebt, wegen seiner oder seines Ehegatten beruflichen Tätigkeit fremder Obhut anvertraut wird oder weil er mit anderen berufstätigen oder in der gesetzlichen Unfallversicherung versicherten Personen gemeinsam ein Fahrzeug für den Weg nach und von der Dienststelle benutzt. Ein Unfall, den der Verletzte bei Durchführung des Heilverfahrens (§ 33) oder auf einem hierzu notwendigen Wege erleidet, gilt als Folge eines Dienstunfalles.
(3) Erkrankt ein Beamter, der nach der Art seiner dienstlichen Verrichtung der Gefahr der Erkrankung an bestimmten Krankheiten besonders ausgesetzt ist, an einer solchen Krankheit, so gilt dies als Dienstunfall, es sei denn, dass der Beamte sich die Krankheit außerhalb des Dienstes zugezogen hat. Die Erkrankung an einer solchen Krankheit gilt jedoch stets als Dienstunfall, wenn sie durch gesundheitsschädigende Verhältnisse verursacht worden ist, denen der Beamte am Ort seines dienstlich angeordneten Aufenthaltes im Ausland besonders ausgesetzt war. Die in Betracht kommenden Krankheiten bestimmt die Bundesregierung durch Rechtsverordnung.
(4) Dem durch Dienstunfall verursachten Körperschaden ist ein Körperschaden gleichzusetzen, den ein Beamter außerhalb seines Dienstes erleidet, wenn er im Hinblick auf sein pflichtgemäßes dienstliches Verhalten oder wegen seiner Eigenschaft als Beamter angegriffen wird. Gleichzuachten ist ferner ein Körperschaden, den ein Beamter im Ausland erleidet, wenn er bei Kriegshandlungen, Aufruhr oder Unruhen, denen er am Ort seines dienstlich angeordneten Aufenthaltes im Ausland besonders ausgesetzt war, angegriffen wird.
(5) Unfallfürsorge wie bei einem Dienstunfall kann auch gewährt werden, wenn ein Beamter, der zur Wahrnehmung einer Tätigkeit, die öffentlichen Belangen oder dienstlichen Interessen dient, beurlaubt worden ist und in Ausübung oder infolge dieser Tätigkeit einen Körperschaden erleidet.
(6) (weggefallen)