Posttraumatische Belastungsstörung nach SEK –Einsatz begründet Dienstunfall
Posttraumatische Belastungsstörung nach SEK –Einsatz begründet Dienstunfall


Der Sachverhalt

Der Kläger war Mitglied und Leiter eines Spezialeinsatzkommandos (SEK) der Polizei.

Am 07.02.2010 wurde das SEK des Klägers zu einem Einsatz gerufen. Ein 26-jähriger Mann hatte seine 18-jährige Ex-Freundin in ihrem Elternhaus erschossen, deren Mutter mit der Schusswaffe schwer verletzt und anschließend Suizid begangen.

Nach dem eigentlichen Einsatz wurde der Kläger zur Betreuung der Angehörigen des Tatverdächtigen wieder in dessen Wohnung zurückgeschickt.

Ab dem 15.03.2010 begab sich der Kläger in die Behandlung eines Facharztes für Psychotherapeutische Medizin. Der Beamte war in der Zeit nach dem Einsatz mehrfach dienstunfähig erkrankt und ist inzwischen polizeidienstunfähig. Es liegen Gutachten vor, die zum Ergebnis kommen, dass bei ihm eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) vorliegt. Der Polizist wird voraussichtlich seinen Dienst nicht mehr verrichten können.

Liegt ein Dienstunfall vor, der einen körperlichen Schaden hervorgerufen hat?

Der Beamte hat die Anerkennung des Geschehens als Dienstunfall beantragt. Mit Bescheid vom 02.07.2012 wurde das abgelehnt. Hiergegen hatte er erfolglos Widerspruch eingelegt. Das Verwaltungsgericht Bremen hat die hiergegen erhobene Klage mit Urteil vom 22.11.2013 ohne mündliche Verhandlung abgewiesen. Aus den dienstlichen Einsätzen am 07.02.2010 folge nach Auffassung des Gerichts weder ein Anspruch auf Anerkennung eines Dienstunfalls noch ein Anspruch, die PTBS als eine dem Dienstunfall gleichgestellte Berufskrankheit anzuerkennen. Das Gericht hatte unter anderem argumentiert, es habe kein „plötzliches Ereignis“ stattgefunden, das eine PTBS ausgelöst habe.

Das Oberverwaltungsgericht Bremen hat mit Urteil vom 29.08.2017 der Berufung des Beamten stattgegeben. Der Kläger hat einen Anspruch auf Anerkennung des Unfallereignisses am 07.02.2010 als Dienstunfall mit der Dienstunfallfolge „Posttraumatische Belastungsstörung“ und „Affektive depressive Störung nach Traumatisierung“.

Kann ein mehrstündig andauernder Polizeieinsatz ein „auf äußere Einwirkung beruhendes plötzliches Ereignis“ sein?

Ein Dienstunfall ist nach der gesetzlichen Definition

¾ ein auf äußerer Einwirkung beruhendes, 

¾ plötzliches, örtlich und zeitlich bestimmbares, 

¾ einen Körperschaden verursachendes Ereignis, 

das in Ausübung oder infolge des Dienstes eingetreten ist.

Diese Voraussetzungen lagen nach Auffassung des OVG vor. Für eine ‚äußere Einwirkung` reicht es aus, wenn die Krankheit durch äußere Umstände oder Vorgänge entsteht. Eine physikalische Einwirkung auf den Körper ist nicht erforderlich.

Das gelte insbesondere auch für psychische Reaktionen auf einen äußeren Vorgang, der einen Körperschaden zur Folge habe. Das schädigende Ereignis müsse seiner Art nach allerdings geeignet sein, die psychischen Reaktionen hervorzurufen, die als Schädigungsfolge geltend gemacht werden.

Es habe ich auch um ein „plötzliches“ Ereignis gehandelt. Dieses Merkmal diene der Abgrenzung eines Einzelgeschehens von dauernden Einwirkungen. Das Unfallgeschehen müsse unvermittelt eintreten und sich in einem relativ kurzen Zeitraum ereignen und wirken. Die Abgrenzung eines plötzlichen Ereignisses von einer Dauersituation sei nur aufgrund einer wertenden Betrachtung möglich. Dabei können auch Begebenheiten mit einer Dauer von mehreren Stunden noch ein plötzliches Ereignis sein. In der obergerichtlichen Rechtsprechung werden dabei die Maßstäbe der gesetzlichen Unfallversicherung herangezogen.  Die obergerichtliche Rechtsprechung zieht dabei die Maßstäbe der gesetzlichen Unfallversicherung heran. Danach sei ein Ereignis noch „plötzlich“, wenn es im Zeitraum längstens einer Arbeitsschicht eingetreten sei. Dementsprechend könne im Dienstunfallrecht Ereignisse noch als „plötzlich“ angesehen werden, die während einer Dienstschicht stattgefunden haben.

Es liege beim Beamten auch ein Körperschaden vor, der auf das Ereignis zurückzuführen sei, denn durch die Traumatisierung sei eine seelische Störung eingetreten.

Praktische Bedeutung

Beamtinnen und Beamte können in Ausübung ihres Berufs so erheblich verletzt werden, dass sie nicht mehr dazu in der Lage sind, diesen auszuüben. Anders als Arbeiter und Angestellte können sie nicht entlassen werden. Allerdings hat der Dienstherr die Möglichkeit, Beamte vorzeitig in den Ruhestand zu versetzen. Das hat erhebliche Folgen für die Ruhestandsbezüge.

Beamte sind in den Ruhestand zu versetzen, wenn sie aus gesundheitlichen Gründen zur Erfüllung der Dienstpflichten dauernd unfähig sind. Als dienstunfähig können sie dabei auch angesehen werden, wenn sie infolge Erkrankung innerhalb von sechs Monaten mehr als drei Monate keinen Dienst getan hat und wenn keine Aussicht besteht, dass innerhalb weiterer sechs Monate die Dienstfähigkeit wieder voll hergestellt ist. Das gilt allerdings dann nicht, wenn sie anderweitig verwendet werden können.

Bei Polizeibeamten gibt es noch den Sonderfall der Polizeidienstfähigkeit. Polizeibeamte müssen für den Polizeivollzugsdienst die gesundheitlichen Voraussetzungen mitbringen, nach herrschender Auffassung auch, wenn sie Innendienst ausüben. Sie müssen also körperlich, geistig und seelisch fähig sein, alle diejenigen Tätigkeiten zu verrichten, die von einem Polizeibeamten gefordert sind.

Wird ein Ereignis mit Gesundheitsschaden als Dienstunfall anerkannt, haben der Beamte oder seine Hinterbliebenen Anspruch auf Unfallfürsorge. Es werden nicht nur die Heilverfahren bezahlt, sondern auch eventuelle Sachschäden ersetzt. Ist er in seiner Erwerbsfähigkeit länger als sechs Monate um mindestens 25 % gemindert, so erhält er, solange dieser Zustand andauert, neben den Dienstbezügen, den Anwärterbezügen oder dem Ruhegehalt einen Unfallausgleich. Ist der Beamte infolge des Dienstunfalles dienstunfähig geworden und deswegen in den Ruhestand versetzt worden, so erhält er Unfallruhegehalt. Er bekommt also eine höhere Pension als jemand, der ohne Dienstunfall dienstunfähig geworden ist.

Wann wird eine psychische Erkrankung als Folge eines Dienstunfalls anerkannt?

Das betreffende Ereignis muss sich zunächst einmal dem Dienst zurechnen lassen. Daraus folgt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass sich genau bestimmen lassen muss, wann und wo sich das Ereignis abgespielt hat.

Voraussetzung ist zudem, dass das Ereignis der Grund für den Körperschaden ist.  Es reicht nicht aus, wenn der Vorfall nur der Anlass für den Schaden gewesen ist. Die Rechtsprechung verlangt Kausalität, also dass der Unfall das wesentliche Ereignis war. Das kann man vergleichen mit einem Stuhl, der zusammenbricht, weil ich mich auf ihn setze. In diesem Fall war das Setzen auf den Stuhl nur der Anlass und nicht die Ursache für den Schaden, weil der Stuhl ja geradezu zu Darauf sitzen gemacht worden ist. Die Ursache für den Schaden lag also in der Beschaffenheit des Stuhls und nicht daran, dass ich mich auf ihn setzen wollte.

Im besprochenen Fall geht es um eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). Das ist eine psychische Erkrankung, die ein oder mehrere belastende Ereignisse von außergewöhnlichem Umfang oder katastrophalem Ausmaß (psychisches Trauma) voraussetzt. Es reicht also nicht aus, wenn der Beamte in Ausübung seines Dienstes alltäglichen Belastungssituationen eines Polizeibeamten ausgesetzt gewesen ist.

Eine PTBS ist eine 

¾ verzögerte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder 

¾ eine Situation kürzerer oder längerer Dauer mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß (kurz- oder langanhaltend), die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde.

Beispiele sind Naturereignisse oder von Menschen verursachte Katastrophen. Des Weiteren gelten auch Kampfhandlungen und schwere Unfälle oder auch die Tatsache, Zeuge des gewaltsamen Todes anderer geworden zu sein, als Auslöser.

Zudem ist noch ein bestimmtes Krankheitsbild Voraussetzung. Gefordert wird ein ständiges „Wiedererleben“ der Ereignisse. Sie können auftreten in Form von wiederkehrenden, unfreiwilligen und eindringlichen belastenden Erinnerungen oder sogenannten „Flash-Backs“. Ein „Nicht Vergessen können“ reicht dabei nicht aus. Ob ein Ereignis letztlich wesentlich zu einer psychischen Erkrankung geführt hat, wird kein Gericht ohne ein Sachverständigengutachten eines kompetenten Facharztes entscheiden können. Bei psychischen Erkrankungen besteht zudem das Problem, dass es keine eindeutig gemessenen Befunde gibt. Die Diagnose erfolgt in der Regel nach dem klinischen Verlauf. Auch der Facharzt trifft sie schließlich anhand der bisherigen Behandlungen und den Schilderungen des Betroffenen. Das führt leider dazu, dass bei der Diagnose immer ein Zufallselement mitspielt.

Hier geht es zur vollständigen Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts der Freien Hansestadt Bremen vom 29.08.2017

Rechtliche Grundlagen

§ 1 Abs. 2 Bremisches Beamtenversorgungsgesetz (BremBeamtVG) in Verbindung mit § 31 Abs. 1 Satz 1 Beamtenversorgungsgesetz (BeamtVG)

§ 1 Abs. 2 Bremisches Beamtenversorgungsgesetz (BremBeamtVG)
Geltungsbereich
(1) Dieses Gesetz regelt die Versorgung der Beamtinnen und Beamten sowie der Richterinnen und Richter des Landes Bremen, der Beamtinnen und Beamten der Stadtgemeinde Bremen, der Stadtgemeinde Bremerhaven und der sonstigen der Aufsicht des Landes unterstehenden Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts; ausgenommen sind die Ehrenbeamtinnen und Ehrenbeamten sowie die ehrenamtlichen Richterinnen und Richter.

(2) Für die Versorgung der in Absatz 1 genannten Personen gelten die am 31. August 2006 geltenden bundesrechtlichen Vorschriften fort, soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt.

(3) Dieses Gesetz gilt nicht für die öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaften und ihre Verbände.


§ 31 Abs. 1 Satz 1 Beamtenversorgungsgesetz (BeamtVG)
Einsatzversorgung
(1) 1Unfallfürsorge wie bei einem Dienstunfall wird auch dann gewährt, wenn ein Beamter auf Grund eines in Ausübung oder infolge des Dienstes eingetretenen Unfalls oder einer derart eingetretenen Erkrankung im Sinne des § 31 bei einer besonderen Verwendung im Ausland eine gesundheitliche Schädigung erleidet (Einsatzunfall).
2Eine besondere Verwendung im Ausland ist eine Verwendung, die auf Grund eines Übereinkommens oder einer Vereinbarung mit einer über- oder zwischenstaatlichen Einrichtung oder mit einem auswärtigen Staat auf Beschluss der Bundesregierung im Ausland oder außerhalb des deutschen Hoheitsgebietes auf Schiffen oder in Luftfahrzeugen stattfindet, oder eine Verwendung im Ausland oder außerhalb des deutschen Hoheitsgebietes auf Schiffen oder in Luftfahrzeugen mit vergleichbar gesteigerter Gefährdungslage.
3Die besondere Verwendung im Ausland beginnt mit dem Eintreffen im Einsatzgebiet und endet mit dem Verlassen des Einsatzgebietes.
(2) Gleiches gilt, wenn bei einem Beamten eine Erkrankung oder ihre Folgen oder ein Unfall auf gesundheitsschädigende oder sonst vom Inland wesentlich abweichende Verhältnisse bei einer Verwendung im Sinne des Absatzes 1 zurückzuführen sind oder wenn eine gesundheitliche Schädigung bei dienstlicher Verwendung im Ausland auf einen Unfall oder eine Erkrankung im Zusammenhang mit einer Verschleppung oder einer Gefangenschaft zurückzuführen ist oder darauf beruht, dass der Beamte aus sonstigen mit dem Dienst zusammenhängenden Gründen dem Einflussbereich des Dienstherrn entzogen ist.
(3) § 31 Abs.5 gilt entsprechend.
(4) Die Unfallfürsorge ist ausgeschlossen, wenn sich der Beamte vorsätzlich oder grob fahrlässig der Gefährdung ausgesetzt oder die Gründe für eine Verschleppung, Gefangenschaft oder sonstige Einflussbereichsentziehung herbeigeführt hat, es sei denn, dass der Ausschluss für ihn eine unbillige Härte wäre.