Die Kopfbedeckung einer Muslima gehört zur Freiheit der Religionsausübung. Copyright by Adobe Stock/PR Image Factory
Die Kopfbedeckung einer Muslima gehört zur Freiheit der Religionsausübung. Copyright by Adobe Stock/PR Image Factory

Diskriminierungen gibt es immer wieder in allen möglichen Formen. Vielfach ist die Religion Gegenstand ungerechtfertigten Handelns. Das musste auch eine junge Frau muslimischen Glaubens erfahren.
 

Die Bewerberin ist alleinerziehende Mutter

Die Bewerberin ist alleinerziehende Mutter. Sie hatte ein Studium abgebrochen und bezog Arbeitslosengeld 2. Um ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten zu können, bewarb sie sich auf die Stellenanzeige eines Steuerberaters.
 
Auf dem Bewerbungsfoto trug sie eine Kopfbedeckung. Der potenzielle Arbeitgeber nahm ihr aber nicht ab, dass sie sich wirklich bewerben wollte. Er antwortete ihr, er gehe davon aus, sie habe ihre Bewerbung nicht ganz ernst gemeint und bloß ein Alibischreiben für ALG II verfassen wollen.
 

Der Tipp des potentiellen Arbeitgebers für die Zukunft

Sein Tipp für die Zukunft an die Bewerberin: „Sollten Sie wirklich mal eine ernstzunehmende Bewerbung schreiben wollen, verzichten Sie auf Ihren Kopfschmuck“.
 
Die Stelle bekam sie daraufhin nicht. Sie sah sich allerdings in der Ausübung ihrer Religion benachteiligt und machte vor dem Arbeitsgericht eine Entschädigung geltend, weil sie deshalb den gewünschten Arbeitsplatz nicht bekommen habe. Diese Entschädigung sprach ihr das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz (LAG) in zweiter Instanz nun zu.
 

Bemerkenswert sind in dem Verfahren die Einlassungen des potentiellen Arbeitgebers

Bemerkenswert sind in dem Verfahren die Einlassungen des potentiellen Arbeitgebers. Er verwies nach den Ausführungen des LAG - ganz ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen - darauf, die meisten Arbeitgeber und Lehrbetriebe seien nämlich nicht besonders begeistert, wenn die Religion nicht im Privaten, sondern auch offiziell im Betrieb praktiziert werde.
 
Dies gelte insbesondere auch deshalb, weil ein Kopftuch nicht zwangsläufig notwendig für den gemäßigten Islam sei. Das bedeute, wenn man schon einen so katastrophalen Lebenslauf habe, solle man die geringen Chancen nicht noch dadurch minimieren, dass man während der Arbeitszeit ein Kopftuch mit aller Gewalt durchsetzen wolle.
 

Das LAG schob dieser Geisteshaltung einen Riegel vor

Das LAG schob dieser Geisteshaltung einen Riegel vor. Es verwies dabei auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Zur Glaubensfreiheit gehöre gerade auch das Recht des Einzelnen, sein gesamtes Verhalten an den Lehren seines Glaubens auszurichten und dieser Überzeugung gemäß zu handeln. Gemeint sei damit, glaubensgeleitet leben zu dürfen.
 
Das betreffe nicht nur festgelegte Glaubenssätze. Dazu zähle auch die religiös vorgegebene Wahl der Bekleidung. Diese sei entgegen der Auffassung des Beklagten zu beachten, auch wenn es im Islam unterschiedliche Auffassungen zur Kopfbedeckung gebe. Es komme nicht darauf an, ob der genaue Inhalt der Bekleidungsvorschriften für Frauen unter islamischen Gelehrten umstritten sei.
 

Es spielt keine Rolle, dass es Glaubensrichtungen im Islam gibt, nach denen eine Frau nicht die Pflicht habe, ein Kopftuch zu tragen

Es spiele keine Rolle, dass es Glaubensrichtungen im Islam gebe, nach denen eine Frau nicht die Pflicht habe, ein Kopftuch zu tragen. Solange die Klägerin es als unbedingte religiöse Pflicht ansehe, die Kopfbedeckung zu tragen, und das als einen elementaren Bestandteil ihrer am Islam orientierten Lebensweise betrachte, sei das nachvollziehbar und gerechtfertigt.
 
Die Beklagte habe in ihrem Ablehnungsschreiben auch eindeutig die Kopfbedeckung erwähnt, indem sie den „Kopfschmuck“ sogar besonders hervorhob. Sie habe die Klägerin damit unmittelbar wegen der Religion benachteiligt und wurde durch das LAG verurteilt, der Klägerin die geltend gemachte Entschädigung zu zahlen.

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16. Dezember 2019
 
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Rechtliche Grundlagen

§ 1 AGG und § 7 AGG

Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG)
§ 1 Ziel des Gesetzes

Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.


Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG)
§ 7 Benachteiligungsverbot

(1) Beschäftigte dürfen nicht wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt werden; dies gilt auch, wenn die Person, die die Benachteiligung begeht, das Vorliegen eines in § 1 genannten Grundes bei der Benachteiligung nur annimmt.
(2) Bestimmungen in Vereinbarungen, die gegen das Benachteiligungsverbot des Absatzes 1 verstoßen, sind unwirksam.
(3) Eine Benachteiligung nach Absatz 1 durch Arbeitgeber oder Beschäftigte ist eine Verletzung vertraglicher Pflichten.