Das Bundesarbeitsgericht hat in einer aktuellen Entscheidung die Anforderungen konkretisiert, unter denen Bewerber*innen des öffentlichen Dienstes Anspruch auf Entschädigung wegen Nichteinladung zu einem Vorstellungsgespräch haben können. Nun muss das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg erneut entscheiden.
Abschlussnote schlechter als gefordert
Der schwerbehinderte Bewerber hatte sich im Sommer 2018 auf eine Stelle als Referent beim Bundesamt für Verfassungsschutz beworben und dabei auch seine Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch offengelegt. In der Stellenausschreibung heißt es:
Sie verfügen über ein wissenschaftliches Hochschulstudium der Politik-, Geschichts- oder Verwaltungswissenschaften mit mindestens der Note „gut“.
Der Bewerber hatte sein Studium der Fächer Politikwissenschaften, Philosophie und Deutsche Philologie mit der Note „befriedigend“ abgeschlossen.
Eine Einladung zum Vorstellungsgespräch erhielt er nicht. Ihm wurde nur mitgeteilt, dass er nicht in die engere Auswahl einbezogen worden sei. Daraufhin klagte er auf eine Entschädigung wegen Diskriminierung.
Schwerbehinderte Bewerber*innen müssen eingeladen werden
Bei Stellen, die öffentliche Arbeitgeber bei der Bundesagentur für Arbeit ausschreiben, sind schwerbehinderte Menschen zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, wenn sie sich auf eine solche Stelle bewerben. Das gilt nur dann nicht, wenn sie offensichtlich fachlich ungeeignet sind.
Werden schwerbehinderte Bewerber*innen von öffentlichen Arbeitgebern nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen, obwohl sie auf die Behinderung hingewiesen haben und nicht offensichtlich ungeeignet sind, haben sie nach allgemeinem Gleichbehandlungsgesetz einen Anspruch auf Entschädigung.
Die Beklagte stellt sich auf den Standpunkt, sie habe den Kläger nicht zum Vorstellungsgespräch einladen müssen. Er erfülle die formalen Kriterien der Stellenausschreibung nicht, da er sein Studium nur mit der Note „befriedigend“ abgeschlossen habe.
Bestenauslese gilt auch für schwerbehinderte Bewerber*innen
Nach Ansicht des Klägers hätte ihn die Beklagte zum Vorstellungsgespräch einladen müssen. Die Ausnahme von der Einladungspflicht sei eng auszulegen. Deshalb sei die Abschlussnote eines Studiums nicht als Ausschlusskriterium anzusehen. Die Beklagte habe dieses Kriterium nicht konsequent während des gesamten Auswahlverfahrens beachtet.
Sowohl die erste Instanz, als auch das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (LAG) haben den Anspruch des Klägers abgelehnt. Das Bundesarbeitsgericht überzeugte dies jedoch nicht.
Es folgt dem LAG noch insofern, als dass es der Beklagten zugesteht, in der Stellenausschreibung eine Mindestnote festzulegen. Weil der Kläger diese Note nicht erreicht habe, sei der Kläger für die Stelle grundsätzlich ungeeignet. Das verfassungsrechtliche Gebot der Bestenauslese gelte insofern auch für schwerbehinderte Bewerber*innen.
LAG muss prüfen, wie das Verfahren tatsächlich abgelaufen ist
Das LAG habe aber nicht geprüft, ob die anderen Bewerber*innen, die zum Vorstellungsgespräch eingeladen worden sind, alle mit der Note „gut“ abgeschlossen haben, oder ob die Beklagte auch andere Bewerber*innen eingeladen hat, die -
ebenso wie der Kläger - eine schlechtere Note haben.
Im letzten Fall hätte die Beklagte die eigenen Anforderungen im Stellenbesetzungsverfahren nicht konsequent angewendet, sie könnte sich dem Kläger gegenüber deswegen auch nicht mehr auf sie berufen.
Das Bundesarbeitsgericht hat deshalb den Fall an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Dieses muss nun in einer weiteren Beweisaufnahme klären, inwiefern die geforderte Note tatsächlich ausschlaggebend dafür war, zum Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden.
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Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts
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Das sagen wir dazu:
Mit seinem Urteil stärkt das Bundesarbeitsgericht die Rechtsstellung schwerbehinderter Bewerber*innen, in dem es einen realistischen Blick auf die tatsächlichen Gegebenheiten eines Bewerbungsverfahrens wirft.
Denn auf den ersten Blick ist die Sache ganz einfach: Die Arbeitgeberin fordert eine Mindestnote, also ein objektives Kriterium. Dazu ist sie berechtigt, weil das Grundgesetz eine sogenannte Bestenauslese fordert, also die Einstellung nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung.
Der Kläger erfüllt dieses objektive Kriterium nicht. Und auch die Regelungen zum Schutz schwerbehinderter Menschen stehen nicht über den Vorgaben des Grundgesetzes. Denn bei offensichtlicher Ungeeignetheit müssen schwerbehinderte Bewerber*innen nicht eingeladen werden.
Tatsächlich haben auch öffentliche Arbeitgeber heutzutage Mühe, geeignetes Personal zu finden. Wenn kein*e Bewerber*in die geforderte Konfiguration hat, bleibt letztlich nur, die Stelle entweder neu auszuschreiben, oder sie aus dem Pool der vorhandenen Bewerber*innen zu besetzen.
Wer aber von seinem hohen Ross herabsteigt, der kann nicht zeitgleich schwerbehinderte Bewerber*innen weiterhin von diesem aus betrachten. Der öffentliche Arbeitgeber handelt widersprüchlich, wenn er schwerbehinderten Bewerber*innen die Einladung mit Argumenten versagt, die er selbst für sich nicht mehr gelten lässt.
Würde man allein auf die Ausschreibung abstellen, hätten es öffentliche Arbeitgeber in der Hand, die Hürden so hoch zu legen, dass niemand sie erreichen kann und man als Arbeitgeber letztlich freie Hand hätte.
Das Bundesarbeitsgericht legt den Fokus daher völlig zurecht nicht nur auf die formelle Ausschreibung, sondern auf die tatsächliche, widerspruchsfreie Handhabung.
Das sagen wir dazu