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Aktuelle Unternehmensstrategien und Betriebsratsrechte
Beim 11. Hans-Böckler-Forum zum Arbeits-und Sozialrecht in Berlin referierte Wolfgang Apitzsch, der Aufsichtsratsvorsitzende der DGB Rechtsschutz GmbH über die Rolle der Betriebsräte in der historischen Entwicklung und skizzierte zukünftige Problemfelder der Betriebsratsarbeit.
Beim 11. Hans-Böckler-Forum zum Arbeits-und Sozialrecht in Berlin referierte Wolfgang Apitzsch, der Aufsichtsratsvorsitzende der DGB Rechtsschutz GmbH über die Rolle der Betriebsräte in der historischen Entwicklung und skizzierte zukünftige Problemfelder der Betriebsratsarbeit.
In seinem Vortrag berichtete Apitzsch, der als Rechtsanwalt Betriebsräte großer Unternehmen und auch Vorstände und Geschäftsführer gegen ihre Unternehmen vertritt, von seinen Erfahrungen.
Er zeigte auch neue Problemfelder auf, wie die gesteigerte Verantwortlichkeit der Akteure durch neue Haftungsregeln und den Verlust klassischer Betriebs- und Unternehmensstrukturen.
Personalinformationssysteme bei Opel
Zu Beginn berichtete Apitzsch über seine Auseinandersetzung mit der Firma Opel, die ein computergestütztes Personalinformationssystem ohne Beteiligung des Betriebsrates einführen wollte. Im Gegenzug hatten sich Teile des Betriebsrates auf den Standpunkt gestellt, Computer seinen an sich zu verbieten, unabhängig davon, zu welchem Zweck sie eingesetzt würden.
Juristisch hatte sich Opel auf die Argumentation festgelegt, eine Mitbestimmung bei technischen Einrichtungen liege nur bei Datenerhebung vor, was bei Personalinformationssystemen gerade nicht der Fall sei. Die Befürchtung der Betriebsratsseite, es könnten auch Krankheitsdaten gespeichert werden, sei als Hirngespinst abgetan worden.
Im Nachhinein konstatierte Apitzsch, sei der Betriebsrat von Opel zwar sehr aktiv gewesen, es habe aber letztlich an fachlicher Unterstützung durch Assistenten, internem juristischen Beistand oder Kommunikationsbeauftragten gefehlt. Dies sei heute anders. Denn obwohl Opel heute nur noch die Hälfte der damaligen Belegschaft aufweise, hätten die Betriebsräte aktuell sechs wissenschaftliche Referenten, sein Büro (APITZSCH SCHMIDT KLEBE Rechtsanwälte), eine Fachanwältin für Steuerrecht sowie zwei Wirtschaftsprüfer.
Aufgaben werden komplexer
Eine solche Spezialisierung sei notwendig, um die Betriebsratsarbeit überhaupt bewältigen zu können. Es sei allerdings nicht die Regel, dass eine so gute Ausstattung vorhanden sei. Insbesondere klein- und mittelständische Unternehmen enthielten Betriebsräten die elementarsten Mitbestimmungsrechte vor.
Auch die rechtlichen Regeln seinen immer komplizierter und komplexer geworden. Gerade in Bezug auf die Mitbestimmung bei technischen Einrichtungen bedürfe es genauer juristischer und technischer Prüfung und Dokumentation. Erschwerend komme hinzu, wenn in Deutschland erhobene Daten bei den amerikanischen Müttergesellschaften gespeichert und verarbeitet würden, bei denen die Sensibilität für Datenschutz nicht so stark ausgeprägt sei.
Die Komplexität ergebe sich nicht nur durch die ausdifferenzierte Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, sondern auch aus dem Einfluss des europäischen Rechts. Apitzsch: „Die Zeiten, in denen der Betriebsrat mit dem „Fitting“ in der Hand zum Bundesarbeitsgericht eilen konnte, sind vorbei!“
Haftung im Betriebs- und Aufsichtsrat
Ein weiteres Thema, das aus Apitzschs Sicht bislang nicht genügend berücksichtigt werde, sei die verschärfte Haftung der Betriebsräte, die zugleich Aufsichtsräte in ihrem eigenen Unternehmen sind.
In diesem Zusammenhang berichtete er von einem Verfahren, das er derzeit für einen Betriebs- und Aufsichtsratsmitglied führt. Der bei der Belegschaft sehr geschätzte Kollege habe sich gegen den Verkauf von Grundstücken gewehrt und dabei erreicht, dass zumindest ein Gutachten eingeholt wird.
Nachdem dieses Gutachten eines ausgewiesenen Experten zu dem Ergebnis kam, dass die geplanten Verkäufe wirtschaftlich vertretbar seien, sah er sich gezwungen, seinen Widerstand aufzugeben. Aus diesem Grund wird er derzeit mit anderen Aufsichtsratsmitgliedern auf Schadensersatz in Höhe von 140 Mio. Euro verklagt, weil er habe erkennen müssen, dass es sich um ein Gefälligkeitsgutachten gehandelt habe.
In diesem Zusammenhang wies Apitzsch darauf hin, dass der Arbeitnehmer-Bank im Aufsichtsrat kein vergleichbarer Apparat zur Verfügung stehe, wie der Arbeitgeberseite. Auch hier müsse sich einiges ändern, wenn man den Arbeitnehmervertretern die gleiche Haftung überstülpen wolle.
Veränderte Rolle der Betriebsräte
Praktische Probleme sieht Apitzsch auch in der geänderten Rolle der Betriebsräte. Der Vorsitzende sei formell „Gleicher unter Gleichen“ und die übrigen Betriebsratsmitglieder hätten ein Recht auf Information über alle den Betriebsrat betreffenden Vorgänge.
Diese rechtliche Vorgabe lasse sich in der Praxis jedoch oft nicht durchhalten, da es bei wichtigen Entscheidungen oft Gespräche in kleiner Runde mit dem Personalvorstand oder dem Geschäftsführer gebe. Hier sei Vertraulichkeit notwendig, um „die Kuh vom Eis zu bringen“. Hier sei der Gesetzgeber gefragt, den jeweiligen Akteuren einen Vertrauensvorschuss einzuräumen.
In diesem Zusammenhang gab Apitzsch auch zu bedenken, dass Betriebsräte der größten Unternehmen in Deutschland Terminkalender wie Manager hätten und auch Aufgaben hätten, die an Schwierigkeit mit denen des obersten Managements vergleichbar sind. Hier sei zu überlegen, ob das Prinzip der Ehrenamtlichkeit des Betriebsratsmandats noch angemessen sei.
Veränderte Rahmenbedingungen im Unternehmen
Bezug nehmend auf die fortschreitende Internationalisierung und Vergrößerung und den damit einhergehenden Verlust der klassischen Betriebs- und auch Unternehmensstruktur, wies Apitzsch auf neu auftretende Probleme hin:
Durch die Zersplitterung von Unternehmen in viele einzelne GmbHs gehe oft der Überblick verloren, etwa wenn der Geschäftsführer der einen GmbH zwar disziplinarischer Vorgesetzter sei, faktisch aber nicht wisse, welche operative Leistungen sein Mitarbeiter konkret erbringe.
Auf der Ebene des Betriebsrats blieben zwar Beteiligungsrechte erhalten, liefen aber vielfach ins Leere. Der Bezugspunkt zum örtlichen Vorgesetzten erweise sich bei Beurteilungen, Zeugnissen und auch Beförderungen zunehmend als Chimäre.
Und auch strategische Entscheidungen fielen oft nicht mehr so, dass sie von den Betriebsräten vorausgesehen oder gar wesentlich beeinflusst werden können. Da die Beschäftigten vor Ort trotzdem die Nachteile derartiger Entscheidungen tragen müssten, bedürfe es eines neuen Ansatzes, um eine Beteiligung zu gewährleisten.
Arbeit 4.0
Als zweiten große Problemkreis benannte Apitzsch die Entwicklung, die bislang unter dem Schlagwort „Industrie 4.0“ diskutiert wird. Hier befürchtet er eine weit rasantere Entwicklung, als dies gegenwärtig angenommen wird.
So gebe es in China bereits lernfähige Roboter zu einem Stückpreis von 20. - 25.000 US-Dollar, die langfristig alle Arbeitnehmer in der Fertigung ersetzen könnten. Apitzsch: „Man kauft einen solchen Roboter zur Hälfte der Arbeitskosten pro Jahr je Mitarbeiter. Der Roboter kann aber durcharbeiten, 24 Stunden, Samstag und Sonntag, ohne Urlaub mit vielleicht etwas Wartungszeit anstelle der Krankheitszeit des Arbeiters. Welches Unternehmen könnte sich dieser Rechnung widersetzen?“
Vor diesem Hintergrund forderte Apitzsch, es müssten schneller als bisher neue Modelle gefunden werden, etwa durch Fort- und Weiterbildung und weitere gesetzgeberische Maßnahmen, um diesen bevorstehenden Großumwälzungen zu begegnen.
Den gesamten Vortrag (Redemanunskript) von Wolfgang Apitzsch gibt es hier